zum Hauptinhalt
Das Bild zeigt einen Jaguar.

© imago/Mint Images

Evolution: Liger und Cappuccino-Bären

Mischungen zwischen verwandten Arten sind häufiger als angenommen – und helfen der Evolution auf die Sprünge.

Liger sind in den wenigen Zoos, in denen solche Tiere leben, schon allein aufgrund ihrer Abstammung eine Attraktion. Ihr Vater ist ein Löwe, die Mutter eine Tigerin. Solche Mischungen zweier Arten pflanzen sich untereinander normalerweise nicht fort. Entsprechend selten und sensationell sind sie dann auch.

Es sei denn, der Mensch greift wie beim Maultier ein. Diese Nachkommen eines Eselhengstes und einer Pferdestute waren für den Transport von Lasten zuständig und wurden gezüchtet.

Mutter Eisbärin, Vater Grizzlybär: Hybride kommen häufiger vor, als gedacht

In der Natur spielen solche als Hybride bezeichnete Mischungen zweier Arten kaum eine Rolle, vermuteten Evolutionsbiologen. Bis in der kanadischen Arktis Cappuccino-Bären mit einer Eisbären-Mutter und einem Grizzlybären-Vater auftauchten. Und bis Forscher im Erbgut verschiedener Arten so unterschiedlicher Gruppen wie Bären, Großkatzen und Mäusen Hinweise fanden, dass solche Hybride nicht nur relativ häufig vorkommen, sondern auch eine Rolle in der Evolution spielen können.

Axel Janke von der Universität Frankfurt am Main und seine Kollegen berichten im Fachblatt „Scientific Reports“, dass vom Erbgut der Braunbären bis zu 8,8 Prozent offensichtlich eher zu den Eisbären gehören. „Das Erbgut der ,Mitochondrien‘ genannten Mini-Kraftwerke in ihren Zellen haben die Eisbären anscheinend vor 150.000 Jahren von einer Braunbärin beschlagnahmt“, sagt Janke.

Erbmerkmale, die dem Empfänger einen Vorteil bringen

Im Norden Kambodschas wurde 2005 ein junger Bär gefangen, der nach Körperbau und Erbgutanalysen eine Mischung aus Schwarzbär und Malaienbär sein musste. Auch im Erbgut der Kragen-, Lippen- und Malaienbären sowie von Brillenbären fanden Janke und Kollegen Spuren intimer Begegnungen zwischen den sieben Bärenarten, die in den vergangenen fünf Millionen Jahren stattfanden.

„Ungefähr alle zehn bis 100 Jahre kommen solche Hybride vor und hinterlassen Spuren im Erbgut“, schließt Janke aus diesen Analysen. Das klingt erst einmal wenig. In einigen Hunderttausend oder sogar Millionen Jahren aber häuft sich einiges an. Das berichten Eduardo Eizirik von der Pontifical Catholic University of Rio Grande do Sul im brasilianischen Porto Alegre und Kollegen im Fachblatt „Science Advances“ auch von den Großkatzenarten Löwe, Leopard, Jaguar, Tiger und Schneeleopard, die offensichtlich ebenfalls die Grenzen zwischen den Arten ignorieren. In diesen Tieren fanden die Forscher Erbmerkmale, die eine andere Art mitgebracht hatte und die dem Empfänger einen Vorteil brachten.

Ohne das Erbgut anderer Arten wäre der Jaguar nicht so stark

Diese Erbeigenschaften beeinflussen zum Beispiel die Entwicklung des Kopfes oder der Gliedmaßen, den Stoffwechsel, die Fortpflanzung, Farbe und Muster des Fells oder die Sinnesorgane. So besitzt der Jaguar zwei Gene, die offensichtlich von einer anderen Großkatze wie dem Leoparden stammen. Beide Erbeigenschaften könnten eine Rolle bei der Entwicklung des Jaguarkopfes gespielt haben, der im Vergleich mit den anderen Großkatzen auffallend kräftig ist. Mit seinem Gebiss kann ein Jaguar doppelt so stark beißen wie ein Löwe.

Seine Zähne durchdringen so den Schädel vieler Säugetiere, während andere Großkatzen ihre Beute ersticken oder ihnen das Genick brechen. Besonders wichtig war dieser Superbiss, als am Ende der letzten Eiszeit viele große Säugetierarten in Südamerika ausstarben, die der Jaguar vorher erbeutet hatte. In dieser Situation konnten die Großkatzen auf die gut gepanzerten Kaimane und Schildkröten ausweichen, an denen andere Großkatzen sich die Zähne ausbeißen würden. Ohne das Erbgut von anderen Arten hätten die Jaguare schlechte Karten gehabt.

Ein ähnliches Muster fanden Diethard Tautz und Kollegen vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön in einer mit Fachkollegen auf der Internetplattform „BioRXiv“ diskutierten Studie bei Mäusen. Bei diesen Nagetieren gibt es ähnlich wie bei Bären und Großkatzen einen Austausch zwischen Arten und Unterarten.

Widerstandskräfte gegen Infektionen

„Solche Hybridisierungen treten offensichtlich deutlich häufiger auf, als wir das bisher angenommen hatten“, sagt Tautz. Ins Auge stechen vor allem Erbeigenschaften, die Widerstandskräfte gegen bestimmte Infektionen verleihen. In solchen Fällen liegen die Vorteile dieser Überschreitungen der Artgrenzen auf der Hand.

Wie entstehen solche Mischungen? Schließlich häufen sich im Erbgut zwischen zwei Arten umso mehr Veränderungen an, je länger beide bereits eigene Wege gehen. Nach einiger Zeit sind die Unterschiede so groß, dass Hybride ähnlich wie bei den Maultieren kaum noch eigene Nachkommen haben können. Geht die Entwicklung weiter, entstehen irgendwann keine Hybride mehr.

Die Bildung einer neuen Art beobachten Forscher auf Helgoland. Dort kam vor rund 400 Jahren die Hausmaus Mus musculus domesticus an und musste ihre Ernährung umstellen. Schließlich gab es praktisch keine Landwirtschaft und die Mäuse stiegen von Getreide auf tierische Proteine um, etwa in toten Vögeln.

Austausch von Erbgut, auch wenn die Paarung erfolglos bleibt

Vermutlich veränderte sich auch die Verständigung zwischen den Tieren, die sich mit einer Art Ultraschallsprache zu unterhalten scheinen. Vielleicht versteht eine Maus, die heute vom Festland nach Helgoland kommt, ihre Artgenossen dort nicht mehr, die inzwischen als eigene Unterart Mus musculus helgolandicus geführt werden. Wenn man ihn nicht mehr versteht, ist es natürlich schwer, einen Partner zu einer Paarung zu überreden.

In seltenen Fällen klappt es doch. Vielleicht wirft das Weibchen dann Mischlinge. Sollte das scheitern, werden die Samenzellen des Männchens im Leib des Weibchens rasch abgebaut. „Das Erbgut darin ist allerdings sehr stabil“, sagt Tautz. Kommt es in dieser Zeit zu einer Paarung mit einem Partner aus der eigenen Gruppe, könnte dieses nackte Erbgut aus der fremden Gruppe bei der Befruchtung mit in die Eizelle schlüpfen und anschließend dort in das Erbgut eingebaut werden. Unterschiedliche Arten können also auch Erbgut austauschen, wenn die Paarung zwischen ihnen erfolglos bleibt. Da wundert es nicht, wenn Forscher im Erbgut vieler Arten ein paar Prozent finden, die von einer anderen Art stammen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false