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Aus der Art geschlagen. Diese beiden Kätzchen in einem Zoo im chinesischen Weihai sind die Nachkommen der Tigerdame Hua Hua, die sich mit einem Löwen fortgepflanzt hat. Sie werden als Liger bezeichnet und sind nur eines von zahlreichen Beispielen von Hybriden bei Tieren.

© picture alliance / Newscom

Erfolgreiche Bastarde: Kreuzungen in der Evolution

Tier-Hybride werden unterschätzt: Nachkommen von Eltern verschiedener Tierarten sind meist unfruchtbar – manchmal aber auch ein Glücksfall der Evolution. So wurde eine Kreuzung der Hausmaus resistent gegen Rattengift.

Das Wort „Bastard“ ist in aller Regel nicht als Kompliment gemeint. Und auch die wissenschaftliche Bezeichnung „Hybride“ für Nachkommen von Eltern zweier verschiedener Arten ist nicht gerade schmeichelhaft. Immerhin stammt sie von der „Hybris“, dem Verstoß gegen die göttliche Ordnung.

Doch so ein Verstoß kann offenbar auch Vorteile haben. Das haben Wissenschaftler der Rice University in Houston, Texas nun erstmals nachweisen können – an deutschen Hausmäusen. Einige von ihnen haben eine Genvariante, die sie vor dem Rattengift Warfarin schützt, von einer anderen Mausart übernommen.

Warfarin, das beim Menschen als Medikament eingesetzt wird, um die Gefahr von Blutgerinnseln zu verringern, hemmt ein Eiweiß namens VKOR. Das Eiweiß recycelt gewissermaßen Vitamin K, ein wichtiges Molekül in der Blutgerinnung. Ist VKOR gehemmt, gibt es nicht ausreichend Vitamin K und die Blutgerinnung ist behindert. Nehmen die Tiere genug der geruchs- und geschmacklosen Substanz zu sich, verbluten sie innerlich.

Das war jedenfalls der Plan, als das Gift in den 50er Jahren erstmals eingesetzt wurde. Doch nur zehn Jahre später wurden die ersten Ratten entdeckt, denen Warfarin nichts mehr anhaben konnte, 1964 gab es die ersten Berichte über resistente Hausmäuse.

Die naheliegende Erklärung: Zufällige winzige Änderungen (Mutationen) im VKOR-Gen einiger Mäuse änderten das Eiweiß so, dass es weniger anfällig für Warfarin war. Diese Nager hatten eine bessere Chance, zu überleben und so sammelten sich diese Veränderungen über Generationen an, bis schließlich Mäuse entstanden, deren VKOR so stark verändert war, dass sie mit Warfarin versetzte Happen ohne Probleme fressen konnten.

So logisch diese Erklärung ist, sie trifft offenbar nicht auf alle Mäuse zu. Als Michael Kohn eine resistente Maus (Mus musculus domesticus) aus Deutschland untersuchte, entdeckte er eine seltsame genetische Signatur: „Das Erbgut sah überhaupt nicht nach einer Hausmaus aus“, sagt der Biologe. „Zuerst dachten wir, da sei ein Fehler passiert.“ Weitere Untersuchungen zeigten aber, dass es sich tatsächlich um eine Hausmaus handelte. Doch in ihren Zellkernen trug sie ein großes Stück DNS einer anderen Art, der Algerischen Maus (Mus spretus), die von Natur aus gegen das Nagergift resistent ist.

Weitere Untersuchungen zeigten, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelte. In Spanien, wo Mus spretus und Mus musculus beide vorkommen, trugen 27 von 29 untersuchten Hausmäusen die fremde Version des VKOR-Gens. In Deutschland, wo Mus spretus nicht vorkommt, trugen 16 von 50 Hausmäusen das fremde Erbgut, schreiben die Forscher im Fachblatt „Current Biology“.

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Nach Berechnungen der Wissenschaftler muss es vor etwa 20 Jahren zu einer Kreuzung der beiden Arten gekommen sein. Danach verloren die Hausmäuse einen Großteil des fremden Erbguts wieder. Sie behielten lediglich ein Stück DNS auf Chromosom 7, das auch die resistente Form des VKOR-Gens enthält, vermutlich weil es einen Überlebensvorteil bot.

„Aber diese Mäuse sind seit eineinhalb bis drei Millionen Jahren getrennte Arten“, sagt Kohn – und Fortpflanzung zwischen verschiedenen Arten gilt eigentlich als Tabu. Auch wo beide Mausarten gemeinsam vorkommen, in Südeuropa und Nordafrika, kommt es kaum zu Kreuzungen. In den seltenen Fällen, wo das passiert, sind alle männlichen Nachkommen und ein Großteil der weiblichen unfruchtbar. „Dieses schmale Fenster einiger fruchtbarer weiblicher Nachkommen muss ausgereicht haben“, sagt Kohn.

Für Pflanzen ist seit vielen Jahren bekannt, dass Kreuzungen eine wichtige Rolle in der Evolution spielen. So hat sich vor etwa 50 000 Jahren aus zwei verschiedenen Sonnenblumenarten eine neue Hybrid-Art entwickelt, die sich im Gegensatz zu beiden Elternarten in Wüsten angesiedelt hat. Auch bei Bakterien spielt der Austausch von Erbgut eine große Rolle. So werden etwa Antibiotikaresistenzen und andere Gene von Art zu Art übertragen.

Es gibt auch zahlreiche Beispiele von Tier-Hybriden. Besonders bekannt ist das Maultier, Nachkomme eines weiblichen Pferdes und eines männlichen Esels. In Gefangenschaft sind aber auch Liger (Produkt der Kreuzung eines männlichen Löwen und eines weiblichen Tigers), Töwen (aus männlichen Tigern und weiblichen Löwen) und zahlreiche andere Varianten gezüchtet worden. Und auch ohne die helfende Hand des Menschen ist es etwa bei Vögeln, Fischen und Schmetterlingen immer wieder zu Kreuzungen gekommen.

„Aber bei Tieren wurden Hybride meist als etwas Schlechtes angesehen, als Sackgassen der Evolution“, sagt Diethard Tautz, Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön. Tautz ist überzeugt, dass die Rolle von Hybridisierungen bei der Evolution der Tiere bisher unterschätzt wurde. „Diese Arbeit wirft ein Schlaglicht darauf, was an Übertragungen auch zwischen verschiedenen Arten möglich ist“, sagt er. „Das ist ein neuer Aspekt, an den sich Zoologen gewöhnen müssen.“

Andere Forscher sind skeptischer. „Die Studie zeigt, dass Hybridisierung ein weiterer Mechanismus ist, durch den Varianten entstehen, unter denen die natürliche Selektion dann die erfolgreichsten auswählt“, sagt der Evolutionsbiologe Jerry Coyne von der Universität Chicago. „Ich glaube aber nicht, dass das ein wichtiger Mechanismus in der Evolution von Tieren ist.“ Denn in den allermeisten Fällen seien Hybride benachteiligt und würden schnell wieder verschwinden. So gebe es etwa 1500 Arten der Fruchtfliege Drosophila. Es seien aber nur ungefähr ein Dutzend Hybride bekannt. „Diese Entdeckung ist deshalb eine große Nachricht, weil so etwas so selten ist“, sagt er.

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