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Seismogramm des Erdbebens vor Indonesien

© picture alliance / dpa

Erdbeben: Der Alarm lässt auf sich warten

Frühwarnsysteme für sich ausbreitende Erdbebenwellen retten Leben - zum Beispiel, indem sie Züge und Lifts anhalten oder Gasleitungen unterbrechen. Aber es kostet Zeit, sie einzurichten.

Seit 2012 leben Bahnpendler in San Francisco sicherer. Beginnt dort die Erde zu beben, werden Nahverkehrszüge vom Tempo 110 Kilometer pro Stunde auf Tempo 40 abgebremst. Das ist aber eine Ausnahme. Der Rest Kaliforniens muss auf die Einrichtung eines Frühwarnsystems für Erdbeben warten. Immerhin wurde im September 2013 ein Gesetz verabschiedet, das den Bau eines Frühwarnsystems vorsieht. Doch bis es fertig ist, sind in Kalifornien ebenso wie in Europa noch viele Hürden zu überwinden: finanzielle, wissenschaftliche, juristische.

Japan, Taiwan und Mexiko besitzen schon Frühwarnsysteme für Erdbeben. Punktuell gibt es auch in Rumänien und der Türkei solche Einrichtungen. Frühwarnsysteme schlagen Sekunden nach dem Beginn eines Bebens Alarm – bevor die zerstörerischen Bodenwellen die Umgebung des Epizentrums erreichen. Das funktioniert, weil Erdbebenwellen unterschiedlich schnell sind.

Aktiviert wird die Frühwarnung durch die harmlosen Primärwellen, die sich am schnellsten ausbreiten. Einige Sekunden später treffen die schadensträchtigen Sekundärwellen ein (die Dauer hängt von der Entfernung ab). Die kurze Karenzzeit ist entscheidend: Das japanische Frühwarnsystem zum Beispiel, das am besten ausgebaut ist, hält Schnellzüge und Lifts an, unterbricht Gasleitungen und stoppt gefährliche Operationen im Krankenhaus oder sensible Prozesse in der Industrie. Auch die Bevölkerung wird informiert, vor allem über Handy oder Fernsehen. Beim großen Beben vor der Nordostküste Japans mit nachfolgendem Tsunami am 11. März 2011 wurden die Einwohner Tokios 80 Sekunden vor Eintreffen der Bebenwellen gewarnt.

Wer zahlt bei einem Fehlalarm?

Das japanische System ist ein Vorbild für viele andere Länder. Wenn es bloß nicht so teuer wäre, zumindest für den Bundesstaat Kalifornien, der knapp bei Kasse ist. Das geplante Frühwarnsystem würde allein in den ersten fünf Jahren 80 Millionen US-Dollar kosten. Die Finanzierung steht noch in den Sternen. Und Geld ist nicht das einzige Problem.

Eine wichtige Frage ist zum Beispiel, was bei einem Fehlalarm passiert. Werden Industrieprozesse angehalten, kann das kostspielig werden. Wer zahlt dann? Man müsse die Fachleute juristisch absichern, sagt Paolo Gasparini vom Kompetenzzentrum für Naturgefahren AMRA in Neapel. In Japan, so der Italiener, existiere ein Gesetz zur Frühwarnung, das die Experten von der Verantwortung für Fehlalarme entlaste. Eine vergleichbare gesetzliche Regelung gibt es bisher weder in Kalifornien noch in Italien.

Gasparini berichtete auf einem deutsch-italienischen Workshop in Berlin, wie es um Frühwarnsysteme in Europa steht. Zurzeit laufen erst Vorarbeiten. Wissenschaftler seiner Institution prüfen zusammen mit Kollegen der Universität von Neapel eine Software für Frühwarnung namens „Presto“. Getestet wird in Italien, Rumänien, der Türkei und Südkorea. Software ist aber nur ein Element unter vielen.

Eine aktuelle Studie aus Kalifornien demonstriert, dass die Seismometer des Messnetzes im Durchschnitt einen Abstand von zehn bis 20 Kilometern haben sollten, sonst hapert es bei der Frühwarnung wegen des Datenmangels. Meistens sind die Abstände zwischen den Seismometern aber größer. Man muss also auch in die Messnetze investieren.

In Italien und vielen anderen europäischen Ländern ist es daher noch ein weiter Weg bis zu einem funktionierenden, effizienten Frühwarnsystem. Übertriebene Hoffnungen sollte man sich davon aber nicht machen, solange es in erdbebengefährdeten Ländern oft noch an anderer entscheidender Stelle hakt. Während des Workshops in Berlin sprachen die Experten viel über mangelhafte Bausubstanz, nicht nur in Italien.

Nicht einmal die Schweizer setzen alle Bauvorschriften um

Selbst in der Schweiz seien nicht alle Bauvorschriften umgesetzt, erklärte ein Versicherungsfachmann. Den größten Nachholbedarf haben aber Entwicklungs- und Schwellenländer, vor allem in Asien, wo ständig Megastädte entstehen. „Schon eine kleine Änderung im Baustil kann Leben retten“, sagte Frederik Tilmann vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam bei dem Workshop. Das könne in Entwicklungsländern wie Iran bedeuten, Lehm- durch Holzbauten zu ersetzen.

Viele Laien setzen ihre Hoffnung darauf, eine rechtzeitige Evakuierung könnte sie vor einem Erdbeben schützen. Doch die Annahme trügt. Seismologen haben zwar schon vor langer Zeit herausgefunden, dass sich die Erdbebengefährdung mit der Zeit ändert. Zum Beispiel wird in Regionen, die gerade von schweren Erdstößen erschüttert wurden, meist eine Neigung zu Nachbeben beobachtet. Bloß kann man dieses Wissen nur schwer zum Schutze der Menschen nutzen.

In der Phase der Nachbeben sei die Wahrscheinlichkeit für Erdstöße zwar erhöht, aber immer noch winzig, sagte Warner Marzocchi vom römischen Istituto Nazionale die Geofisica e Vulcanologia auf dem Workshop. Selbst in Erwartung von Nachbeben sei es nicht sinnvoll, eine Siedlung im großen Stil zu evakuieren. Eine nüchterne Kosten-Nutzen-Rechnung zeigt: Evakuierungen kosten Geld und bergen außerdem technische und medizinische Risiken. Tritt der Nutzen der Evakuierung aber zu selten ein, etwa nur einmal in 1000 Fällen, dann lohnt sie sich nicht, sondern schadet vielmehr.

Stabiler bauen, Frühwarnsysteme einrichten – wenn man Fachleute fragt, sind es diese Maßnahmen, die wirklich vor Erdbeben schützen.

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