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Im Blickpunkt. 2013 gab die Schauspielerin Angelina Jolie bekannt, dass ein Test auf das Brustkrebsgen BRCA1 positiv ausgefallen sei. Danach ließ sie sich vorsorglich die Brüste amputieren. Ihr Fall löste weltweit eine Welle von Gentests auf Brustkrebs aus. Jolie ist auch als Sondergesandtin des UN-Flüchtlingshochkommissars tätig.

© Andrew Gombert/picture alliance / dpa

Erbgutanalysen: „Wir brauchen bessere Standards für Gentests“

Der Blick ins Erbgut ermöglicht bessere Therapien – wenn die Qualität der Tests gut ist. Sagt Mark Capone, Chef der Test-Firma Myriad, im Interview

Der Brustkrebstest hat Myriad bekannt gemacht. Die Firma, zu Hause im amerikanischen Salt Lake City, zählt zu den führenden Unternehmen in der molekularen Diagnostik. Das Unternehmen hat 2600 Mitarbeiter und entwickelt und vertreibt molekulardiagnostische Tests. Sie sollen das Risiko einer Krankheitsentstehung abschätzen, eine präzise Diagnose ermöglichen, Behandlungsentscheidungen leiten und das Risiko zum Fortschreiten oder Wiederauftreten einer Erkrankung beurteilen. Ein Gespräch mit Mark Capone, dem Vorstandsvorsitzende von Myriad.

Nachdem sich Angelina Jolie wegen ihres erheblichen genetischen Risikos für Brust- und Eierstockkrebs vorsorglich operieren ließ, haben sich viele andere Frauen ebenfalls auf Veränderungen in den Genen BRCA1 und BRCA2 testen lassen. Gentests, mit denen Myriad weltweit bekannt wurde. Im selben Jahr hat der Oberste Gerichtshof der USA entschieden, dass natürlich vorkommende Erbgutsequenzen nicht patentiert werden dürfen. Welche Konsequenzen hatte das für die Firma?

Die unmittelbare Auswirkung war, dass geistiges Eigentum, das wir in Bezug auf bestimmte Erbgutabschnitte hatten, ab 2013 nichts mehr galt. Das erlaubte es Wettbewerbern, mit eigenen Tests auf den Markt zu kommen. BRCA1 und BRCA2 sind dafür die prominentesten Beispiele. Allerdings wären diese Patente ohnehin 2016 ausgelaufen, gleichzeitig gab es mit dem Next Generation Sequencing enorme Fortschritte. Diese Technik ermöglicht es uns, nun viele weitere Genkombinationen zu testen. Man wusste immer, dass erbliche Krebsformen nicht nur mit BRCA1 und BRCA2 assoziiert sind. Nach vielen Jahren haben wir realisiert, dass wir dabei nicht nach BRCA3 suchen. Vielmehr tragen Dutzende Gene zu dem erhöhten Krebsrisiko bei, die alle für sich genommen nicht besonders häufig sind. In der Summe spielen sie aber eine ähnlich bedeutende Rolle. Das Ergebnis ist der Test „myRisk“, ein Testpanel von 28 Genen. Wir glauben, dass wir an der Schwelle zu einer goldenen Ära der personalisierten Medizin stehen. Millionen Patienten kennen ihr Risiko nicht. Erbliche Krebsformen waren seit 20 Jahren unser Fokus, und da gibt es noch viel zu tun. Aber wir entwickeln auch Tests für die Neurologie, die Dermatologie und andere Fächer. Das kann die Gesundheitsversorgung revolutionieren.

Mark Capone leitet Myriad Genetics.
Mark Capone leitet Myriad Genetics.

© Myriad

Bleiben wir zunächst bei „myRisk“. Bei erblichem Brustkrebs haben Sie einen enormen Erfahrungsschatz und können daher das Risikoprofil einer Patientin zuverlässig bestimmen. Wie aussagekräftig kann dagegen so ein Testpaket sein?

Wir haben sehr stringente Kriterien, welche Gene in das Panel eingeschlossen werden. Es bringt Ärzten und Patienten nichts, wenn wir zwar sagen können, dass es eine Mutation gibt, aber nicht, was daraus folgt. So ein Ergebnis will niemand. Also gibt es für jedes der Gene mindestens drei Publikationen, die eine aus der Mutation folgende Therapieänderung nahelegen. 22 der Gene sind sehr stark mit erblichem Krebs assoziiert, eine Mutation verdoppelt oder verdreifacht das Risiko, zu erkranken. Außerdem liefern wir mit dem Testergebnis eine sehr einfache Übersicht für den Arzt, die das individuelle Risiko des Patienten, das Risiko in der Bevölkerung und relevante Behandlungsempfehlungen zusammenfasst und wo man sich weitergehend informieren kann. Testergebnisse, die eine Therapie bestimmen, müssen extrem akkurat sein. Alles andere ist nicht akzeptabel. Daher der Fokus auf 28 Gene.

Trotzdem gibt es immer wieder Varianten von Genveränderungen, deren Bedeutung unbekannt ist.

Ja.

Wie gehen Sie damit um?

Wir geben das ganz transparent bei den Ergebnissen an, sodass Ärzte und Patienten Bescheid wissen. Wenn man sich die Gesamtbevölkerung ansieht, haben 30 Prozent eine Variante im Erbgut, deren Bedeutung nicht bekannt ist. Das betrifft meist Gene, die man noch nicht lange untersucht und deren Veränderungen nur bei einem Teil der Patienten eine Rolle spielen. Für jedes einzelne der 28 Gene, die bei „myRisk“ untersucht werden, konnten wir die Rate aber auf unter ein Prozent senken. Wenn wir trotzdem eine Veränderung nicht bewerten können, geben wir das an. Zusätzlich verpflichten wir uns, Patienten und Ärzten ein Update zu geben, wenn neue Erkenntnisse die Klassifikation verändern. Wir testen seit 20 Jahren Krebsgene. Teilweise finden wir heute Belege, um 15 Jahre alte Testergebnisse neu einzuordnen. Wir finden die Patienten oder ihre Ärzte und stellen sicher, dass sie diese Information erreicht.

Wie oft kommt so etwas vor?

Für den einzelnen Patienten ist das die Ausnahme. Aber wenn es vorkommt, ist es für Betroffene unglaublich wichtig.

Machen solche Unsicherheiten Patienten keine Angst?

Die Universität Stanford hat gerade eine psychologische Studie dazu veröffentlicht. Die Forscher fanden keine negativen Auswirkungen. Die Patienten wollten das Ergebnis für alle 28 Gene. Varianten, deren Bedeutung man noch nicht kennt, bereiteten ihnen keine Sorgen.

Sie hatten erwähnt, dass „myRisk“ nur der Anfang ist. Was planen Sie?

Wir wollen vier klinische Fragen in sechs Fachgebieten beantworten. Die Fragen sind: Werde ich in der Zukunft krank (Risiko)? Bin ich bereits krank (Diagnose)? Sollte ich mit einer Therapie beginnen (Prognose)? Und welche Behandlung wäre effektiv? Wenn man diese Fragen nicht adäquat beantwortet, leidet der Patient darunter und im Gesundheitswesen wird Geld verschwendet. Die Fachgebiete sind Onkologie, Krebsvorsorge, Dermatologie, Neurologie, Neurowissenschaft und Autoimmunkrankheiten.

Prostatkrebs operieren? Der Test gibt Auskunft

Können Sie Beispiele nennen?

Unser „Prolaris“-Test bewertet, wie aggressiv ein Prostatakrebs ist. Etwa 60 Prozent der Männer könnten diesen Krebs überwachen lassen, statt ihn gleich radikal zu behandeln. Aber nur 20 Prozent entscheiden sich dafür, das Wort Krebs macht schließlich Angst. Wenn man überflüssige Behandlungen vermeiden will, braucht man also bessere Methoden, als die Krebszellen einfach nur unter dem Mikroskop zu beurteilen. „Prolaris“ misst, wie viel Boten-RNS die Zellen in der Probe herstellen. So können wir die Aggressivität und damit die Sterblichkeit abschätzen. Wenn das Risiko, an einem Krebs zu versterben, minimal ist – unter drei Prozent –, finden mehr Patienten den Mut, sich für eine aktive Überwachung zu entscheiden. Brustkrebspatientinnen hilft der „EndoPredict“-Test bei der Frage, ob eine Chemotherapie wirklich nötig ist. Das ist eine Generation weiter als die Konkurrenztests „Oncotype DX“ und „Mammaprint“. „Vectra DA“ misst Eiweiße im Blut von Patienten mit rheumatoider Arthritis. Damit können wir ermitteln, wie aktiv die Krankheit ist und die Therapie optimieren. Mit dem Test kann man feststellen, wann man Biologika langsam absetzen kann, ohne einen Schub zu riskieren. Diese Arzneimittel haben schließlich auch starke Nebenwirkungen. In den USA wendet bereits jeder zweite Rheumatologe den Test an. In Deutschland können wir ihn nicht auf den Markt bringen. Die Investitionen sind hoch und es gibt keinen Zulassungsweg mit den nötigen Erfolgsaussichten.

Die Erstattung ist ein Problem?

Die Verheißungen der personalisierten Medizin sind außerordentlich. Was uns davon abhält, mehr Patienten zu helfen, ist die Unklarheit bei der Erstattung. Bei pharmazeutischen Wirkstoffen gibt es da klare Regeln, bei Diagnostika dagegen ist der Prozess völlig unsicher. Es gibt dafür in Deutschland nicht einmal Fristvorgaben für die Entscheidungen. Das muss rationaler gestaltet werden, denn diese Tests können wirklich etwas bewirken.

Die Brustkrebstests gelten als sehr teuer. Wie ist das mit den anderen?

Der Preis liegt zwischen 2500 und 3000 Euro. „Vectra DA“ kostet rund 500 Euro.

Für 2500 bis 3000 Euro könnte man theoretisch das ganze Erbgut sequenzieren. Sind Ihre Tests nicht obsolet, wenn der Preis noch mehr fällt und Universitätskliniken solche Analysen selbst machen können?

Man muss unterscheiden, ob man die Forschung vorantreiben will oder ob es um die Behandlung und damit das Schicksal eines Patienten geht. Die Anforderungen an die Qualität der Testergebnisse unterscheiden sich dramatisch. Ja, man kann für die Forschung das komplette Genom analysieren. Aber das Ergebnis wird ungenau sein. Bei „myRisk“ haben wir 856 Schritte, die sicherstellen, dass wir die richtige Sequenz vor uns haben. Dafür braucht man mehr als eine Technologie. Zudem ist es extrem komplex, die Ergebnisse zu interpretieren. Das ist bereits für 28 Gene schwierig, selbst diese müssen wir immer wieder neu evaluieren. Für mehr als 20 000 Gene geht das gar nicht.

Woher weiß man als Patient oder als Arzt, wie gut ein Gentest ist?

Sie können es kaum wissen. Es gibt in Deutschland keine definitiven Qualitätsstandards, keine einheitliche Regulierung, kein stringentes Rahmenwerk, das die behaupteten Leistungen evaluiert. Wir brauchen bessere Standards, sowohl in den USA, aber vor allem in Deutschland.

Es ist ungewöhnlich, dass ein Unternehmen strengere Regeln fordert.

Ja, meist sind Firmen da skeptisch. Aber wir sehen die Auswirkungen, wenn sie fehlen. Höhere und nachprüfbare Standards würden der Industrie zu mehr Legitimität verhelfen. Ein Grund, warum die Erstattung so schwierig ist, ist, dass die Branche als unreguliert gilt.

Krebs ist eine komplizierte Krankheit. Internationale Forschungskonsortien tragen ihr Wissen in öffentlichen Datenbanken zusammen, zum Nutzen aller. Kritiker bemängeln, dass Myriad seine Daten unter Verschluss hält.

Das ist ein verbreiteter Irrtum. Wir tragen bei den öffentlichen Datenbanken mehr bei als alle anderen Labore der Welt. Allerdings mit wichtigen Einschränkungen: Wir wissen, dass Patienten und Ärzten Datenschutz extrem wichtig ist. Wir versprechen seit 20 Jahren, dass niemand außer sie selbst von den Testergebnissen erfährt. Anders hätten sich viele gar nicht auf die Tests eingelassen. Wir wollen und dürfen keine privaten Informationen öffentlich machen.

Fragen Sie Patienten, ob Sie anonymisierte Rohdaten für Forschungszwecke weitergeben können?

Nein. Wir sagen ihnen, dass wir ihre Informationen sicher verwahren. Sollte sich aber ein Patient nach seinen kompletten Gendaten fragen, wie es zum Beispiel die American Civil Liberty Union gefordert hat, geben wir sie an ihn heraus. Wir finden, der Patient sollte selbst entscheiden, ob er Rohdaten Forschungsdatenbanken zur Verfügung stellen will. Was wir zur Forschung beitragen, sind wissenschaftliche Publikationen zu bisher mehr als 2000 Genvarianten. Das verletzt das Versprechen an die Patienten nicht, die Daten werden zudem von unabhängigen Gutachtern bewertet. So kann man Qualität sicherstellen.

Auch Forschungskonsortien achten die Privatsphäre der Patienten. Trotzdem stellen sie anonymisierte Rohdaten anderen Wissenschaftlern zur Verfügung.

Myriad testet jede Woche mehr Patienten als eine akademische Organisation in über einem Jahr. Unsere Regeln für die Einwilligung müssen für hunderttausende Patienten überall auf der Welt funktionieren. Also tragen wir über Publikationen zur Forschung bei. Oder wir geben die Rohdaten an den Patienten selbst heraus. Forschungsdatenbanken waren nie dafür gedacht, sie klinisch zu nutzen. Es gibt Belege, dass Patienten geschadet wird, wenn Labore sich nur darauf beziehen. Die Qualität der Daten schwankt sehr stark von Datenbank zu Datenbank. Es geht also nicht nur um Datenschutz, sondern auch um Patientensicherheit.

Die Fragen stellte Hartmut Wewetzer.

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