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Eine Statue ist neben der riesigen Rauchsäule über dem Vulkan Mount Agung zu sehen.

© Josh Edelson/ZUMA Wire/dpa

Drohender Vulkanausbruch auf Bali: Eruptionen des Mount Agung rufen alte Riten wach

Der Vulkan Mount Agung auf Bali steht vor dem Ausbruch. Zehntausende werden evakuiert. Religiöse Balinesen machen Tourismus mitverantwortlich für die Eruptionen.

Auf Bali droht ein gewaltiger Vulkanausbruch. Der Mount Agung steht offenbar kurz vor einer großen Eruption, die Behörden haben die höchste Warnstufe ausgerufen. Die Behörden warnten vor einer unmittelbar bevorstehenden großen Eruption und leiteten die Evakuierung der Umgebung ein. Nach Agenturmeldung haben bereits 40.000 Menschen die Gefahrenzone verlassen. Zehntausende weitere müssten noch in Sicherheit gebracht werden, heißt es. Der internationale Flughafen von Bali bleibt der Inselverwaltung zufolge vorerst geschlossen. Davon betroffen waren mehr als 400 Flüge, davon fast 200 internationale Verbindungen.

Die Eruptionen rufen auch alte Riten des Ahnenkults wach

Der bevorstehende Ausbruch hatte sich seit etlichen Wochen angekündigt. Bereits Ende September mussten mehr als 130.000 Menschen ihre Dörfer am Hang des Berges verlassen. Der Tourismus im Nordosten der indonesischen Insel brach ein. Aber die Menschen sind untereinander hilfsbereit und die Behörden gut vorbereitet, wenn es darum geht, Geflüchtete unterzubringen. Viele Balinesen können sich noch an den Ausbruch des Agung im Jahr 1963 erinnern, bei dem mehr als 1100 Menschen ums Leben kamen.

Für ihren Umgang mit der Gefahr durch Vulkane, Erdbeben und Tsunamis haben die Menschen auf den indonesischen Inseln über viele Jahrhunderte Rituale entwickelt, die die Gesellschaft durchdringen. „Sie sind begründet im Ahnenkult und in der Verehrung heiliger Orte in der Landschaft“, sagt die Ethnologin Anette Hornbacher von der Universität Heidelberg. Sie forscht seit Ende der 1990er-Jahre in Bali. Der 3142 hohe Agung sei einer der heiligsten Orte auf der Insel, sagt sie. In der Vorstellung der Balinesen haben die Ahnen und Götter ihren Wohnsitz auf dem Berg.

Der Staat setzt auf Wissenschaft, die Menschen beschwören die Geister

Während Menschen auf Bali mehrheitlich vorgeschichtlich anmutenden Glaubensvorstellungen anhängen, begegnen die indonesischen Behörden den seismischen Aktivitäten in der Region streng naturwissenschaftlich. Der Staat unterhält ein engmaschiges Netzwerk von Messstationen und dokumentiert die geologischen Vorkommnisse in Echtzeit. Detailliert informiert er in den Medien, im Internet sowie auf Transparenten und Tafeln in den Ortschaften – so auch in der Region des Agung. Dennoch halten die meisten Menschen in Bali es für möglich und geradezu für notwendig, die Bedrohung durch einen Vulkan mit Gebeten und Ritualen abzuwenden, hat Hornbacher beobachtet.

Eine deutsche Ethnologin forscht am Fuß des Berges

Die Ethnologin führte gerade Feldforschungen in der Region durch, als die Behörden am 22. September dieses Jahres die Warnstufe schon einmal auf die höchste Stufe hochsetzten. Die Situation sei durch die drohende Gefahr eines Ausbruchs recht unangenehm gewesen, sagt Hornbacher. In Culik, einem kleinen Dorf am Fuß des Berges zwischen Reisfeldern und den Ausfallstraßen zu den nah gelegenen Tauchorten an der nordöstlichen Küste, habe sie täglich unzählige Erdstöße erlebt. Im Krater selber maßen Geologen bis zu tausend seismische Aktivitäten pro Tag.

Culik liegt am inneren Rand in der zwölf Kilometer weiten Sicherheits- und Evakuierungszone rund um den Krater. Doch weitaus mehr als die geologischen Vorgänge rund um den Vulkanismus beschäftigt die Menschen im Dorf der „Geist“ des Berges, den sie gestört sehen, sagt Hornbacher.

Einheimische vermuten, Touristen könnten den Berg entweiht haben

Die Eruptionen des Vulkans seien eine Reaktion auf die Entweihung des heiligen Berges durch Touristen, versicherten sie der Ethnologin im Gespräch. Die Reisenden würden den Berg zum Spaß und ohne Ritualkleidung besteigen, sie würden dort campen – das schüre die „Wut des Vulkans“.  Auch Medien berichteten auf diese Weise. „Schon der Vulkanausbruch von 1963 wurde als Reaktion auf spirituelle Verunreinigung gedeutet – diese Begründung dominiert bis heute“, sagt Hornbacher.

Im Zentrum der Diskussionen heute standen Mutmaßungen, Touristinnen seien während ihrer Menstruation auf den Berg gestiegen oder hätten dort Sex gehabt. Für Balinesen seien das schwer vorstellbare Tabubrüche, erklärt Hornbacher. Denn Menstrualblut gelte als ebenso rituell unrein wie Sex, Gebären oder die Berührung mit dem Tod. Von all dem müssen die höheren Regionen des Berges freigehalten werden, denn „Fruchtbarkeit und Tod sind in Balis komplexer Kosmologie mit den mittleren und unteren Regionen der Insel assoziiert“, sagt Hornbacher,

Nach gut sechs Wochen setzten die Behörden Ende Oktober die Gefahrenlage zwischenzeitlich von der höchsten Stufe 4 auf die Stufe 3 zurück. Viele Menschen in Bali sahen das als Erfolg einer kleinen Gruppe von Priestern in Besakih, der bedeutendsten und größten Tempelanlage Balis am Südwesthang des Agung. In den Wochen zuvor waren sie rund um die Uhr damit beschäftigt, den Vulkan durch Gebete zu beruhigen. Darüber hinaus führten sie in Prozessionen rituelle Bergbesteigungen durch. Im Krater des Vulkans opferten sie Tiere, zumeist Ziegen, wie Hornbacher berichtet.

Priester weigerten sich, ihre gefährdete Tempelanlage zu verlassen

„Eigentlich hätte niemand mehr in der Tempelanlage sein dürfen“, sagt Hornbacher. Denn Besakih liege in der Evakuierungszone. Die Priester hätten sich jedoch schlicht geweigert, die Anlage und den Berg zu verlassen. Die Gebete zur Beruhigung des Vulkans gingen vor.

Um den großen Antrieb der Menschen auf Bali zu beschreiben, äußere und innere Einflüsse zum Ausgleich zu bringen, hat Hornbacher den Begriff des „Balinesischen Ethos“ geprägt. Dieses Ethos sei von der Vorstellung getragen, die kosmologischen Kräfte ausbalancieren zu können und sei tief in Balis lokaler Kosmologie verwurzelt. Diese sei bis heute sehr einflussreich ist, auch wenn die meisten Balinesen sich mittlerweile zum Reformhinduismus bekennen. Das „Balinesische Ethos“ sei keine volkstümliche Esoterik, sondern tatsächlich – als mythischer Bestandteil des Alltags – identitätsstiftend für die Menschen.

Auch ein "Ausgleich" gegen Kräfte des islamistischen Terrors

Hornbacher entwickelte den Begriff nach dem Bombenanschlag islamistischer Extremisten in dem Touristenort Kuta im Süden Balis im Jahr 2002. Mehr als 200 Menschen kamen ums Leben. Die hinduistischen Balinesen hätten dem Ethos entsprechend einen Weg des Ausgleichs der Kräfte des islamistischen Terrors und des westlich-christlich geprägten „Krieg gegen den Terrorismus“ gesucht – und gefunden.

Der Ausgleich der kosmischen Kräfte ist jedoch kein ausschließlich balinesisches Phänomen. Die Ethnologin Undine Frömming von der Freien Universität Berlin sagt, dass ähnliche Vorstellungen und Bräuche auch auf anderen Inseln Indonesiens gängig sind. Frömming forscht ebenfalls seit den 1990er-Jahren auf der Insel Flores, die regional muslimisch, mehrheitlich jedoch christlich geprägt ist.

Opferrituale auf Flores - ähnlich wie auf Bali

Als Gründe für Naturkatastrophen würden immer wieder die Vernachlässigung der rituellen Pflichten gegenüber den Ahnen, aber auch Verstöße gegen gesellschaftliche und religiöse Werte und Normen genannt, sagt Frömming. Auch auf Flores – rund 500 Kilometer östlich von Bali – würden Vulkane als Sitz der Vorfahren verstanden. „Deshalb haben Vulkanausbrüche gesellschaftlich eine größere Bedeutung als andere Naturkatastrophen.“

Die Opferrituale auf Flores laufen ähnlich ab wie die in Bali. Die Menschen verwenden unter anderem Lebensmittel wie zum Beispiel Reis oder Früchte, aber auch Fische, Hühner oder Schweine. Die Rituale dauerten nicht selten mehrere Stunden. Oft essen die Menschen die Tiere, die dargebracht wurden. Dazu trinken sie Alkohol. „Man muss sich solche Rituale als Feste vorstellen“, sagt Frömming.

Rituale im Zusammenhang mit Naturkatastrophen sind der FU-Ethnologin zufolge von gesellschaftlich verankerten Ritualen wie Ritualen zu Hochzeiten oder an Feiertagen zu unterscheiden. Um Naturkatastrophen zu begegnen, sei nicht nur die Anwesenheit von Angehörigen einer Familie oder eines Clans erforderlich, sondern alle Clans aus der Region müssten zusammenkommen – auch die verfeindeten. Jeder Clan vollziehe bestimmte Handlungen bei diesen seit Jahrhunderten festgelegten Ritualen.

Sie sehen mehr als eine Rauchsäule über dem Krater

„Friedensrituale“ nennt Frömming diese Zeremonien. Denn die Gemeinschaften sind gezwungen zusammenzuarbeiten, sie unterhalten sich, feiern miteinander - und mitunter söhnen sich verfeindete Clans dabei sogar aus.  Für die Aussöhnung gebe es aber auch rein materielle Gründe, sagt Frömming. „Bei einem Vulkanausbruch werden ganze Ernten zerstört, mitunter auch die Vorratslager ganzer Dörfer. Da ist es wichtig, wenn man sich auf die Clans aus anderen Regionen verlassen kann.“

Die Fähigkeit zur Aussöhnung ist also eine Notwendigkeit für die Menschen, die in Indonesien an Vulkanen leben. Zentral sind dabei die Erscheinungen der Umwelt, mit denen sich die Menschen in Beziehung setzen. Das gilt auch für die Balinesen in den umliegenden Orten des Gunung Agung. Wenn sie auf dessen Gipfel blicken, sehen sie mehr als eine Rauchsäule über dem Krater, oder einen mächtigen Wolkenteppich, der sich von der Küste in den Hang drückt. „Der Vulkan ist das, was die Balinesen zusammenhält“, sagt Hornbacher.

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