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Us-Präsident Donald Trump während dem G20-Gipfel in Hamburg.

© Saul Loeb/AFP

Donald Trump: Bitte keine Ferndiagnosen!

Ist der amerikanische Präsident von geistigem Verfall bedroht? Psychologen rätseln über seine Sprache. Und spekulieren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hartmut Wewetzer

Wohl niemals zuvor ist der Regierungschef einer westlichen Demokratie auf so heftigen Widerwillen gestoßen. Der amerikanische Präsident Donald Trump wird als Populist, Chauvinist, Neonazi, Antisemit, Steuerhinterzieher, Bankrotteur, Psychopath, Klimaleugner, Islamhasser und vieles mehr bezeichnet. Das alles mag stimmen oder auch nicht. In der letzten Zeit ist jedoch eine schwerwiegende Charakterisierung hinzugekommen: Trump soll an Demenz erkrankt sein, zumindest gebe es Hinweise darauf. Sollte das stimmen, würde es alles ändern. Wenn der mächtigste Mann der Welt unter geistigem Verfall leidet und damit nicht mehr zurechnungsfähig ist, kann das ein Amtsenthebungsverfahren rechtfertigen.

Vor Kurzem ging der „Spiegel“-Kolumnist Jan Fleischhauer dem, so der Journalist, „schrecklichen Verdacht“ nach. Fleischhauer mokierte sich, dass Trump sich in seinen Twitter-Meldungen ständig vertippe und dass er Wörter schreibe, die keinen Sinn hätten. Legendär wurde Trumps „covfefe“-Vertipper am Ende eines Tweets vom 31. Mai. Das Nonsens-Wort erreichte Kultstatus.

Ich habe mir die letzten rund 100 Twittereien von Trump einmal angesehen und keine sprachlichen Fehler gefunden. Trump bringt fast immer eine politische Botschaft unter, passt sich dem Stakkato-Stil des Mediums sehr gut an. Dazu gibt es Links zu Videos und manches mehr. Von Sprachverfall und Demenz keine Spur.

Trumps Sprache hat gelitten

Twitter ist aber nicht Fleischhauers einziges Beweisstück. Er bezieht sich im Wesentlichen auf einen Artikel des Online-Wissenschaftsmagazins „Stat“. Die bekannte Wissenschaftsjournalistin Sharon Begley berichtet darin über ihre Umfrage unter Sprachexperten, Psychologen und Psychiatern zu der Frage, ob Trumps Sprache zunehmend verarmt sei. Und das Ergebnis? Na, raten Sie mal…

Die Experten diagnostizieren allesamt, dass Trumps sprachlicher Ausdruck gelitten habe. Aus dem zuweilen charmanten und geistreichen Dampfplauderer in den Talkshows der 80er und 90er sei jemand geworden, dem es schwerfalle, in freier Rede ganze Sätze oder gar Absätze zu formulieren. Das kann, muss aber nicht ein Anzeichen für geistigen Abbau und Hirnschrumpfung sein, diagnostizieren die Experten.

Könnte sein. Möglich wär’s. Niemand will sich in dem „Stat“-Beitrag festlegen, auch nicht die erklärten Trump-Gegner. Es stimmt, dass eine sich entwickelnde Demenz mit Sprachveränderungen einhergeht. Weil dem Betroffenen die richtigen Wörter und Zusammenhänge nicht mehr einfallen, flüchtet er sich in allgemeine Wendungen, in Floskeln und Gemeinplätze, bevor die Sprache immer weiter zerbröselt und die Kranken oftmals völlig verstummen.

"Einfaches Englisch" als Strategie

Trumps Ringen um Worte, sein Telegramm-Stil, der Gebrauch einfacher Vokabeln – all das kann auch andere Gründe haben, wie die psychologischen Ferndeuter pflichtschuldigst anmerken. Es kann politisches Kalkül sein, in „simple English“ zu sprechen, um die eigenen Anhänger mit klaren Botschaften zu versorgen. Es kann auch dem Stress, der Überarbeitung und dem immensen politischen Druck geschuldet sein. Zudem ist der amerikanische Präsident auf der politischen Bühne bei seinem Hadern mit Verben und Substantiven nicht allein. Auch Angela Merkel etwa formuliert, diplomatisch gesagt, schlicht und mitunter sehr vage.

Eine Demenz betrifft bei Weitem nicht nur die Sprache. Gedächtnis, Alltagsaktivitäten, Urteilsfähigkeit, Persönlichkeit, all das wird in Mitleidenschaft gezogen. Es ist undenkbar, dass Trump erst die republikanische Konkurrenz und dann seine Konkurrentin Clinton im Zustand der wenn auch nur beginnenden Demenz besiegte. Was auch immer man von Trump halten mag, für diese hart erkämpften Triumphe bedurfte es großer psychischer und physischer Energie, zumal Trump als krasser Außenseiter ins Rennen gegangen war. Dass der 71-Jährige geistig nicht mehr so elastisch ist wie vor 30 Jahren – geschenkt.

Natürlich ist nicht auszuschließen, dass an all dem Geraune um das Gehirn des amerikanischen Präsidenten dennoch etwas dran ist. Es ist jedoch unwahrscheinlich. Und man wird den Gedanken nicht los, dass hier das Etikett „psychisch krank“ als politische Waffe missbraucht wird. Die richtigen Worte hat der prominente amerikanische Psychiater Allen Frances gefunden. „Psychiatrische Beschimpfungen sind der falsche Weg, um Herrn Trumps Angriff auf die Demokratie zu begegnen.“ Das Gegenmittel sei nicht Psychologie, sondern Politik.

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