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Wissensspeicher. In gewaltigen Serverräumen werden große Datenmengen gespeichert.

© picture alliance / dpa

Digitalisierung in Berlin: Die Daten-Metropole

Die Menge an digitalen Informationen wächst rasant – nun geht es darum, sie effektiv zu nutzen. Die Berliner Wissenschaft ist beim Thema IT gut aufgestellt.

Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts – dieses Bonmot hört man immer wieder, wenn es um die Zukunft geht. Schließlich produzieren Menschen wie Maschinen täglich Unmengen an Informationen, sei es beim Joggen mit der GPS-Uhr oder weil der Kühlschrank mit dem Internet verbunden ist. Für die einen mag das eine Horrorvision sein, für andere Verheißung. Dass „Big Data“ – so der Fachbegriff für große Datenmengen, die mit herkömmlichen Methoden nicht mehr zu verarbeiten sind – Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft gleichermaßen verändern wird: Darauf können sich Enthusiasten und Skeptiker aber einigen.

Doch noch steht das Zukunftsfeld „Big Data“ an den Anfängen. Das fängt schon damit an, dass es bisher nur wenige „Data Scientists“ gibt, die das ganze Feld überblicken und beherrschen und aus großen Datenmengen wertvolle Informationen gewinnen können. Vielmehr sind häufig – noch – mehrere Spezialisten gefordert. Die oder der eine erarbeitet Fragen, die man aus Daten überhaupt beantwortet wissen möchte. Der nächste programmiert dann komplizierte Codes, mit deren Hilfe aus den Daten die gewünschten Erkenntnisse gewonnen werden können. Bei Letzterem befinde sich der Reifegrad der Technologien noch in der „Steinzeit“, sagt Volker Markl, Professor für Datenbanksysteme und Informationsmanagement an der TU Berlin. Markl forscht an Methoden, die das Prozedere radikal vereinfachen könnten: „Wir wollen, dass Computer künftig automatisiert entscheiden, wie Daten berechnet werden.“ Die Zeit der händisch gestrickten Codes hätte damit ein Ende: eine große Vereinfachung bei der Datenanalyse.

Der digitale Wandel erfasst die gesamte Universität

Markl leitet das vom Bund geförderte „Berlin Big Data Center“ – eines von vielen Beispielen, wie an der Technischen Universität rund um das Großthema Digitalisierung geforscht wird. Wie beim Thema „Big Data“ erfasst der digitale Wandel in all seinen Facetten die Universität – und mit ihr die ganze Stadt. Berlin gilt nicht zuletzt wegen der starken Forschung als IT-Zentrum. Junge Unternehmen entstehen in der Hauptstadt so viele wie kaum anderswo, die Gründerszene ist groß. Die Digitalisierung bedeute für Berlin eine große Chance, sagt TU-Präsident Christian Thomsen: „Der Bereich bietet auch ein hohes Arbeitsplatzpotenzial für die Stadt.“

Für den 26. Juni hat Thomsen daher gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller 50 Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik an die TU Berlin geladen. Die Frage lautet: Wie kann Berlin zur Hauptstadt der Digitalisierung werden? Die Fachleute sollen sich dazu nicht nur austauschen, sondern sich konkret auf einen Fahrplan einigen, wie die verschiedenen Akteure einen Masterplan Digitalisierung für die Stadt voranbringen können, sagt Thomsen.

Die Wissenschaft in Berlin und Brandenburg ist für den digitalen Wandel jedenfalls schon gut aufgestellt. Neben der TU Berlin führen die Freie Universität und die Humboldt-Universität und die beiden großen Fachhochschulen die Informatik. Daneben gibt es eine bundesweit einmalige Dichte an außeruniversitären Instituten zu dem Thema. Seien es das Bernstein-Zentrum, das die Informationsverarbeitung in den Neurowissenschaften erforscht, oder das Zuse-Zentrum, das auf „Super-Computing“ spezialisiert ist, also die Entwicklung von Hochleistungsrechnern. Wichtige angrenzende Bereiche – man denke an die Mathematik – sind in Berlin ebenfalls stark vertreten.

Mehr als 500 Wissenschaftler an der Fakultät Elektrotechnik und Informatik

Viele dieser Aktivitäten laufen an der Technischen Universität zusammen. Sie ist an außeruniversitären Instituten,  wie dem Bernstein-Zentrum, beteiligt, TU-Wissenschaftler spielen an den Fraunhofer-Instituten eine maßgebliche Rolle. „Vier unserer Professoren sind sogar dort Direktoren“, sagt Hans-Ulrich Heiß, TU-Vizepräsident für Studium und Lehre, selber Informatiker und Vorstandsvorsitzender des Fakultätentags für Informatik. „Gerade diese Vernetzung macht Berlin stark.“ Das deutsche Zentrum des „EIT Digital“ ist an der TU angesiedelt, das ist der Zweig des von der EU unterstützten European Institute of Innovation and Technology, der sich um die Erforschung zukünftiger Kommunikationstechnologien kümmert. In der Region arbeiten rund 2000 bis 3000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im IT-Bereich, schätzt Heiß.

Allein an der Fakultät Elektrotechnik und Informatik forschen an der TU mehr als 500 Wissenschaftler, darunter mehr als 50 Professorinnen und Professoren. Die Fakultät gehört zu den forschungsstärksten in Deutschland, beim Einwerben von EU-Drittmitteln liegt sie bundesweit hinter der TU München auf Rang zwei. In den Studiengängen der Fakultät sind rund 5000 Studierende eingeschrieben. „Berlin ist ideal, wenn Arbeitgeber junge Leute suchen“, sagt TU-Präsident Thomsen. Den Bogen zur Wirtschaft hat die TU Berlin mit den T-Labs geschlagen, dem gemeinsamen Forschungszentrum mit der Telekom. Am DCAITI-Center wird in Kooperation mit Daimler die Zukunft der Automobilelektronik erforscht.

Die wichtigsten Forschungsschwerpunkte der Fakultät sind dabei in „Labs“ zusammengefasst. So heißen  fachgebietsübergreifende Allianzen, die Innovationen schnell vorantreiben sollen. Neben „Big Data“ forschen TU-Wissenschaftler am Internet der Zukunft genauso wie an „Cyber-Physikalischen Systemen“: also an der Verschmelzung der virtuellen mit der physikalischen Welt, was ein Kernthema der Industrie 4.0 ist (s. Artikel unten). Wissenschaftler spüren den Schnittstellen von Hirn und Computer nach, was neuartige Roboter hervorbringen könnte. Bei der multifunktionalen Mikroelektronik schließlich geht es darum, „schlaue Stoffe“ zu entwickeln.

Stark sind in Berlin überdies die „Digital Humanities“, die Verknüpfung von Geisteswissenschaften mit der Informatik. Gerade weil sich in Berlin das gesamte Spektrum der Wissenschaft mit der Digitalisierung befasse, sei die Stadt für eine führende Rolle prädestiniert, sagt Martin Grötschel, Mathematik-Professor und designierter Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (s. Interview unten).

"Es geht darum, etwas Neues zu finden"

Und wie sieht es bei der digitalen Wirtschaft aus? Deutschlandweit liegt Berlin mit München vorn, wie eine Studie der Investitionsbank Berlin zeigte. Alle 20 Stunden wird in Berlin im Schnitt ein neues Unternehmen gegründet, die Wirtschaftsleistung der Internetbranche ist inzwischen größer als die der Baubranche. Europaweit befindet sich Berlin laut einer Studie der EU-Kommission auf Platz 15 der IT-Spitzenzentren. Dass in Berlin anders als in München große Unternehmen fehlen, könne sich sogar als Vorteil erweisen, sagt TU-Vize Heiß: „Es kommt keiner und nimmt den Start-ups die Absolventen weg.“ Thomsen sagt, es sei ohnehin illusorisch zu glauben, bestehende Produktionszentren nach Berlin abzuwerben: „Es geht darum, etwas Neues zu finden.“

Vorschläge, wie Berlin zu einem international führenden IT-Zentrum ausgebaut werden kann, liegen bereits auf dem Tisch: Wie der von Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner, der die Schaffung von 100 zusätzlichen IT-Professuren angeregt hat. Die Berliner CDU hat das aufgenommen, sie fordert langfristig ebenfalls 100 IT-Professuren. Kurzfristig sollten 40 Stellen eingerichtet werden, die dafür nötigen 12 Millionen Euro will die CDU aus den frei gewordenen Bafög-Mitteln nehmen.

Für TU-Präsident Thomsen sind das wichtige Impulse. Er denkt an ein großes Programm für die kommenden zehn Jahre: „Das könnte ein Forschungszentrum beinhalten, Graduiertenschulen, befristete Professuren oder Juniorprofessuren.“ Die Schnittstellen zwischen den Fächern seien wichtig. Für Experten ist es ausgemacht, dass „Bindestrichwissenschaften“ wie die Bio-Informatik ein Trend von gestern sind. Vielmehr braucht es Experten aus beiden Fächern, die miteinander arbeiten. Thomsen fordert daher neue Professuren auch in anderen Bereichen. Das klassische Ingenieurstudium müsse sich verändern: „Informatik wird darin als Querschnittswissenschaft zu selten ernsthaft behandelt.“

Was kann die Konferenz hier leisten? Thomsen erwartet auch von den Wirtschaftsvertretern ein „Commitment“, Berlin zur digitalen Hauptstadt machen zu wollen: „Das wird Geld kosten, daran müssen sich mittlere und große Unternehmen beteiligen und nicht nur Beistehende sein.“ Bei Neuansiedlungen von Firmen sei die Politik gefragt, mit dem Fachkräftepotenzial in der Stadt zu werben.

Volker Markl forscht indes schon jetzt weiter an der Zukunft. Begeistert spricht er über Innovationen des Berlin Big Data Centres. Neue Materialien würden schneller designt, Wissenschaftler wie Mittelständler könnten Informationen auf ganz neuartige Weise aus dem Internet zusammensuchen. In der Medizin ermögliche die Zusammenschau von Patientendaten andere, höchst individualisierte Therapieansätze. „Was Big Data angeht“, sagt Markl, „sind wir in Berlin schon an der Weltspitze dabei.“

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