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Das Portal einer Universität ist mit der türkischen Flagge geschmückt.

© Imago/Westend61

Die Türkei und die Wissenschaftsfreiheit: Heikle Partnerschaft

Das Vorgehen Erdogans gegen Dekane und Professoren an türkischen Hochschulen betrifft auch deutsche Unis. Doch die wissen nur wenig über ihre türkischen Gäste und Partner.

Tausende Professoren und Dozenten wurden in der Türkei suspendiert oder sogar festgenommen, Hochschulen geschlossen, Dekane suspendiert – nach dem Putschversuch im Juli ist das Erdogan-Regime auch massiv gegen die Wissenschaft vorgegangen. Das hatte Auswirkungen bis nach Deutschland: Denn der türkische Hochschulrat verfügte, dass Wissenschaftler türkischer Unis, die gerade im Ausland forschen, in die Türkei zurückkehren müssen, Dienstreisen ins Ausland verboten sind. Hier ein Überblick über die Lage mehr als einen Monat nach dem Putschversuch.

Türkische Wissenschaftler in Deutschland

Wie viele türkische Gastwissenschaftler in Deutschland von der Rückkehrforderung wirklich betroffen sind, ist unklar. Die Bundesregierung erklärte Anfang August in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen, dass mindestens drei Akademiker zur Rückkehr aufgefordert wurden. Berlin gehe aber von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. Genauere Zahlen hat das niedersächsische Wissenschaftsministerium für seine Unis veröffentlicht: Demnach wurden zehn Forscher zur Rückkehr aufgefordert oder zunächst daran gehindert, ihren Aufenthalt in Niedersachsen anzutreten.

Den drei großen Berliner Universitäten sind dagegen keine Fälle bekannt. Sie haben aber auch immer noch keinen Überblick darüber, wie viele türkische Gastwissenschaftler überhaupt bei ihnen sind, die von den Maßnahmen Ankaras bedroht sein könnten. Gastwissenschaftler würden nicht zentral erfasst, sagen die Humboldt-Universität und die Freie Universität übereinstimmend. Die HU hat im International Office jetzt aber einen Ansprechpartner für Forscherinnen und Forscher aus der Türkei benannt.

Humboldt-Stiftung: Beruhigung nach Aufhebung des Ausreisestopps

Einen richtigen Überblick haben auch die großen Forschungsorganisationen nicht. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft kann „nicht sagen, ob und wie viele türkische Mitarbeiter DFG-geförderter Projekte in die Türkei zurückkehren müssen oder nicht ausreisen dürfen“. Die Alexander von Humboldt-Stiftung hat derzeit zehn türkische Fellows, weiß aber nicht, wer eine Rückkehraufforderung bekommen hat. „Die Situation scheint sich nach der Aufhebung des Ausreisestopps etwas beruhigt zu haben“, heißt es.

Tatsächlich hatte der Hochschulrat eine Woche nach dem gescheiterten Putsch seine Erlasse revidiert: Seitdem sollen die Hochschulleitungen wieder selber im Einzelfall über Dienstreisen und Rückkehrforderungen entscheiden, wie es aus dem Bundesforschungsministerium (BMBF) heißt. Niedersachsen berichtet, die Verbote seien danach für einige Wissenschaftler aufgehoben worden – aber nicht für alle.

Türkischer Hochschulrat schreibt an deutsche Organisationen

Der Hochschulrat hat jetzt einen Brief geschrieben, um die deutschen Wissenschaftsorganisationen zu beruhigen. Der Präsident des Hochschulrats, Yekta Sarac, erklärt, die Mobilität der Wissenschaftler habe sich „normalisiert“. Es sei „sehr wahrscheinlich, dass die meisten Universitäten ihre früheren Dekane wieder einsetzen würden, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind“. Sarac weist auf die Gefahren hin, die von der Gülen-Bewegung für die Universitäten ausgingen und betont „die Wichtigkeit der akademischen Freiheit für die Zukunft unseres Landes“.

Türkisch-Deutsche Universität in Istanbul verteidigt Erdogan

Auswirkungen hatten die Repressionen zunächst auch auf ein Prestigeprojekt der deutschen Wissenschaftsaußenpolitik: die Türkisch-Deutsche Universität (TDU) in Istanbul, die vor drei Jahren ihren Betrieb aufnahm. Deutschland unterstützt die Uni mit vier Millionen Euro pro Jahr. 35 deutsche Hochschulen stehen in einem Konsortium dahinter, sie helfen beim Aufbau der Studiengänge, in denen bislang mehr als 900 Studierende eingeschrieben sind. Rechtlich ist die TDU allerdings eine türkische Universität, die dem Hochschulrat untersteht. Und so hat auch die TDU zwei hauptamtliche und drei kommissarische Dekane suspendiert und Dienstreisen zunächst untersagt.

Letzteres ist inzwischen zurückgenommen worden. Die Überprüfung der Dekane ist laut BMBF allerdings noch nicht abgeschlossen. Wie heikel die Lage ist, zeigt ein Interview mit TDU-Rektor Halil Akkanat in der „Zeit“. Akkanat verteidigt darin das Vorgehen Erdogans gegen die Wissenschaft – und wirft den „deutschen Freunden“ vor, sie würden das „Trauma“ des Putsches nicht verstehen. Wissenschaftler, die sich anonym besorgt über die Lage in ihrer Heimat äußern, wollten „die Türkei nur schlechtmachen“. Das BMBF will die Äußerungen nicht kommentieren. Gemeinsam mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) sei man aber „im ständigen Dialog“ mit der TDU, natürlich auch über das Thema Wissenschaftsfreiheit.

Erasmus-Studierende zögern, in die Türkei zu reisen

Aus den Berliner Hochschulen ist zu hören, dass einige Studierende ihren geplanten Türkei-Aufenthalt im kommenden Semester absagen wollen. Ähnliches beobachtet der DAAD: „Es gibt einige Rücktritte, einige verschieben ihren Aufenthalt. Viele andere treten aber auch an“, sagt Beate Körner, Erasmus-Referatsleiterin für Partnerschaften und Kooperationsprojekte beim DAAD. Die Türkei ist seit 2004 Vollmitglied bei Erasmus – als Pilotprojekt für eine mögliche EU-Mitgliedschaft. Voraussetzung ist die volle Personenfreizügigkeit – und zwar in beiden Richtungen. Ist das jetzt überhaupt noch gegeben? Aus Brüssel und aus dem BMBF heißt es, man beobachte die Lage genau.

Gemeinsame Forschungsprojekte teilweise infrage gestellt

Mehr als 1250 Kooperationen gibt es zwischen deutschen und türkischen Hochschulen, viele davon im Rahmen des Erasmus-Programms. Aber auch in zahlreichen Forschungsprojekten arbeitet man zusammen, allein das BMBF fördert 103 Vorhaben. Aus Niedersachsen heißt es bereits, auch von den gemeinsamen Forschungsprojekten könnten einige nicht mehr umgesetzt werden – etwa weil die Partnerhochschulen geschlossen wurden. Das BMBF berichtet von einigen Verschiebungen bei geplanten Partnerverbünden.

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