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Ungewöhnlicher Fundort. Taucher bergen den prähistorischen Indianerschädel aus der Höhle auf der Halbinsel Yucatan.

© P. Nicklen/National Geographic

Die ersten Siedler Amerikas: Und sie kamen doch über Sibirien

Woher stammten die ersten Amerikaner? Darüber wird seit Jahren gestritten. Ein 12 000 Jahre altes Skelett aus einer gefluteten Höhle in Mexiko soll den Streit nun befrieden.

Die zierliche junge Frau war bei ihrem Tod vermutlich gerade einmal 15 oder 16 Jahre alt. Jetzt, mehr als 12 000 Jahre später, sind ihre Überreste, die Taucher tief unter Wasser in der Hoyo-Negro-Höhle auf der Halbinsel Yucatan in Mexiko fanden, eine wissenschaftliche Sensation: Der Schädel des Mädchens könnte endgültig klären, woher die Ureinwohner Amerikas ins Land kamen.

Kamen die Ur-Amerikaner aus dem südpazifischen Raum?

Über die Herkunft der amerikanischen Ureinwohner diskutieren Archäologen und Frühmenschenforscher seit mehr als zwei Jahrzehnten. „Die Gesichter der heute lebenden Indianer Amerikas ähneln den Menschen in China, Korea und Japan stark“, sagt James Chatters von der Central Washington University in Ellensburg, der den Fund mit seinen Kollegen in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Science“ interpretiert. Die Schädel der ältesten Menschenfunde in Amerika sind dagegen deutlich länger, die schmaleren Gesichter ähnelten wohl eher den heutigen Afrikanern, Australiern und Bewohnern der Inseln an den Rändern des Südpazifiks.

Diese Unterschiede ließen Spekulationen ins Kraut schießen: Kamen die ersten Indianer mit schmalem Gesicht entlang der Küsten des Pazifiks nach Amerika? Starben sie später wieder aus oder wurden sie von Einwanderern mit breitem Gesicht verdrängt, die aus anderen Teilen Asiens nach Nordamerika kamen?

Eine Landbrücke zwischen Sibirien und Nordamerika

Beantworten ließen sich diese Fragen bisher schlecht, weil die Wissenschaftler kaum Überreste der ersten Indianer gefunden haben. „Es gab damals wohl nur sehr wenige Menschen und die zogen weit im Land umher“, fasst Chatters die Gründe dafür zusammen. Zwar zeigten Analysen des Erbgutes von heute lebenden Indianern und den sehr wenigen 10 000 bis 14 000 Jahre alten Menschenresten im Norden des amerikanischen Kontinents, dass ihre Vorfahren vor 26 000 bis 18 000 Jahren aus Asien in die damals trocken liegende, „Beringia“ genannte Region zwischen dem Osten Sibiriens und dem Westen Alaskas kamen. Als die Eismassen über dem Norden Nordamerikas langsam schmolzen und den Weg nach Süden freigaben, ging es vor frühestens 17 000 Jahren weiter. Diese Erbgutanalysen konnten jedoch nicht erklären, warum die ersten Indianer mit ihren schmalen Schädeln nicht zum Aussehen der Menschen im Osten Asiens passen, die laut Erbgut doch ihre Vorfahren sein sollten.

Eine Höhle im Kalkstein

Doch dann begannen Forscher im Jahr 2007 im Regenwald der mexikanischen Halbinsel Yucatan im Sac-Actun-Höhlensystem einen mehr als 30 Meter tiefen Höhlenteil zu erforschen: „Hoyo Negro“, das „Schwarze Loch“, das die Form einer 62 Meter Durchmesser großen Glocke hat. Vor rund zehntausend Jahren hatte sich Wasser durch den porösen Kalk gedrückt und Hoyo Negro geflutet. Um es zu erkunden, mussten die Taucher über eine neun Meter lange Leiter in einen senkrechten Schacht steigen, 60 Meter durch einen Tunnel schwimmen und schließlich 30 Meter tief tauchen, bevor sie den Grund erreichten. Strapazen, für die die Wissenschaftler belohnt wurden. Denn sie stießen auf die Überbleibsel von 26 größeren Säugetieren, darunter auch den längst ausgestorbenen Säbelzahntiger.

Aufsehen erregte jedoch erst der Fund des fast vollständigen Skeletts einer jungen, 150 Zentimeter großen Frau, deren Gesicht schmale Züge zeigt. Mit einigen Mühen datierten die Forscher den Tod Naias, wie das Mädchen später genannt wurde, auf die Zeit zwischen 12 000 und 13 000 Jahren.

Erbgut der Mitochondrien entziffert

Zur Sensation wurde der Fund erst, als Chatters die Analyse des Erbguts aus einem von Naias Backenzähnen in Händen hielt. Diese DNS aus den Mitochondrien genannten Mini-Kraftwerken lebender Zellen verriet, dass Naias Erbgut-Typ heute in nur einer Region der Welt vorkommt: bei den Indianern Amerikas, die viel breitere Gesichter als Naia haben. Naias Erbgut-Typ jedoch muss sich in Beringia entwickelt haben. Chatters Team folgert nun, dass die ersten Indianer aus dem Osten Asiens über Beringia nach Amerika gekommen sein müssen, sich rasch bis nach Mittelamerika ausbreiteten und in dieser Zeit bereits das schmale Gesicht der ersten Amerikaner entwickelten. Erst danach seien die Gesichtszüge der Indianer wieder runder geworden.

Wenn auch die Analyse des übrigen Erbguts Naias diese Interpretation bestätigt und die schwierige Datierung weiteren Tests standhält, dann dürfte kein Zweifel mehr bestehen, dass alle amerikanischen Ureinwohner von einem Volk abstammen, das einst über Beringia in die neue Welt kam.

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