zum Hauptinhalt
Im Leben. Die Chance, gemeinsam ein hohes Alter zu erreichen, ist bei Frauen größer denn je.

© picture-alliance/ ZB

Demografie: Gemeinsam alt werden

Das Sterbealter nähert sich an, wenn die Lebenserwartung in einer Gesellschaft steigt. Männer haben nach wie vor weniger Zeit.

Die meisten Menschen wünschen sich ein langes Leben. Aber sie fürchten eine Aussicht, die dessen Preis sein könnte: Dass es im Alter einsam um sie wird, dass sie im Lauf der Jahre immer wieder am Grab gleichaltriger Freunde und Weggefährten stehen müssen. Es ist also ein ermutigender Befund, den Forscher jetzt im Fachmagazin „PNAS“ vorstellen: Je höher die Lebenserwartung in einer Gesellschaft, desto enger liegt das Sterbealter ihrer Mitglieder beieinander. Das scheint eine universell gültige Regel zu sein.

Weniger Menschen sterben deutlich früher

„Da die Lebenserwartung sehr wahrscheinlich weiter wächst, können wir damit rechnen, dass künftig weniger Menschen als bisher deutlich früher sterben müssen als der Durchschnitt“, sagt Alexander Scheuerlein vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock. Er ist einer der Autoren der internationalen Studie, an der auch Forscher des Max-Planck-Zentrums für Biodemografie des Alterns im dänischen Odense maßgeblich beteiligt waren.

Dass das Ausmaß, in dem die Bürger eines Landes von der Verlängerung des Lebens profitieren, sich immer mehr angleicht, zeigen auch Daten aus Deutschland: 1956 lag die Lebenserwartung für Frauen aus der damaligen Bundesrepublik bei knapp 71 Jahren, die Hälfte der Frauen starb in den 15,7 Jahren um diesen Zeitpunkt herum. Im Jahr 2013 war die Lebenserwartung der weiblichen Bevölkerung auf fast 83 Jahre gestiegen, die Hälfte der Frauen starb in einem Zeitraum von nur 12,9 Jahren rund um dieses Alter. Die Chancen dafür, möglichst viele Jahre mit der Freundin aus Schulzeiten – und nur wenige Jahre ohne sie – zu verbringen, stehen heute also so gut wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte.

Sterbealter von Frauen im Vergleich
Sterbealter von Frauen im Vergleich

© MPIfdF/TSP

Der Vergleich zwischen heute und dem Jahr 1956 wirkt auf den ersten Blick nicht spektakulär. Das liegt daran, dass ein wichtiger Grund für das Auseinanderdriften des Sterbealters Mitte des 20. Jahrhunderts in Deutschland schon nicht mehr bestand, die hohe Kindersterblichkeit. Sie hatte über Jahrhunderte dafür gesorgt, dass der Tod zwei Altersgipfel in den Statistiken schuf. Er raubte den Gesellschaften die Säuglinge und Kleinkinder und später die älteren Erwachsenen. Auch Kriege, die zum Tod vieler junger Männer führten, gab es in Deutschland zu diesem Zeitpunkt nicht. Trotzdem lagen die Zeitpunkte, zu denen die Menschen 1956 starben, weiter auseinander als heute.

Fortschritte in Hygiene und Medizin

Beides, die Steigerung der Lebenserwartung wie auch die Angleichung des Sterbealters, hat sich im Lauf des Industriezeitalters so rasant vollzogen, dass wir Heutigen uns in diesen Punkten stärker von unseren Vorfahren aus der vorindustriellen Zeit unterscheiden als diese es zu ihrer Zeit von anderen Primaten taten. Das konnten die Forscher an Daten ablesen, die von verschiedensten menschlichen Gesellschaften und von sechs (wild lebenden) Primatenarten stammen.

Dabei zeigte sich auch: In Krisenzeiten mit sehr niedriger Lebenserwartung ist die Variationsbreite in der Lebensspanne bei Menschen deutlich höher als bei Affen. Denn einzelne Menschen erleben auch in solchen Phasen der Not zumindest ihren 70. Geburtstag, während die anderen Primaten eine maximale Lebensspanne von wenigen Jahrzehnten haben. Die Forscher deuten das als Vorteil, der auf das Konto der biologischen Ausstattung des Homo sapiens geht, zu der auch seine besondere Fähigkeit zur sozialen Kooperation gehöre.

Fortschritte in Hygiene und Medizin sorgen heute dafür, dass immer weniger Menschen verfrüht sterben, sie eröffnen damit zumindest in den reichen Ländern der Erde für ganze Freundeskreise die Chance, gemeinsam über 80 Jahre alt zu werden. In den Gesellschaften, in denen fast alle alt werden dürfen, stechen gleichzeitig immer weniger Menschen mit extremer Hochaltrigkeit heraus. Dass Menschen ihren 100. Geburtstag erleben, bleibt weiterhin eine Seltenheit. Das beweise allerdings nicht, dass die Lebenserwartung sich inzwischen einer Grenze nähere, betonen die Forscher.

Kriege und Gewalt senken die Lebenserwartung für Männer

Es gibt aber noch eine dritte Botschaft der Studie: Ob die Forscher nun Menschen aus verschiedenen Epochen und Regionen untersuchten oder verschiedene Primatenarten – in allen diesen Gruppen hatten die weiblichen Mitglieder eine höhere Lebenserwartung als die männlichen. „Das legt nahe, dass der allgemeine männliche Nachteil etwas sein könnte, das sich in der Evolution unter Primaten erhalten hat“, folgern die Autoren. Sie verweisen auf die These des britischen Evolutionsbiologen Tim Clutton-Brock. Derzufolge werden hohe Testosteronwerte, die für den Kampf und die Partnerwahl Vorteile bieten, unter anderem mit Nachteilen bei der Immunabwehr bezahlt. Ist die Lebenserwartung in einer Spezies von Natur aus gering, ist dieser Geschlechterunterschied kaum zu erkennen. Auch in menschlichen Gesellschaften ist er nur dann besonders groß, wenn eine größere Gruppe von Männern in jungem Alter stirbt: Die größte Ungleichheit verursachen Kriege und andere gewaltsame Auseinandersetzungen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false