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Medizinstudierende üben eine Untersuchungsmethode an einer Patientenpuppe.

© picture alliance/dpa

Defizite in der Hochschulmedizin: „Eine Milliarde Euro für deutsche Uniklinika“

Verbände der Hochschulmedizin beklagen große Defizite an deutschen Uniklinika. In Schleswig-Holstein sollen es 2013 rund 40 Millionen Euro sein, in Hannover 31,5 Millionen. Kritik gibt es auch an neuen „Medical Schools“.

Defizite in zweistelliger Millionenhöhe sind keine Ausnahme an deutschen Universitätsklinika. Die vor gut zehn Jahren fusionierte Hochschulmedizin in Schleswig-Holstein etwa erwartet für 2013 ein Minus von 40,5 Millionen Euro, im Vorjahr waren es bereits 27,2 Millionen. Hoch defizitär sind auch Hannover mit erwarteten 31,5 Millionen und und Frankfurt am Main mit 20,8 Millionen. „Die Situation ist dramatisch, zwei Drittel der Standorte haben negative Ergebnisse oder schaffen nur knapp eine Null“, sagte Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Universitätskrankenhauses Dresden und Vorsitzender des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands (VDU) am Montag in Berlin. Einer aktuellen Abfrage der VDU bei 33 Standorten zufolge sei für 2013 mit einem Defizit von insgesamt 161 Millionen Euro zu rechnen. Für die Berliner Charité liegen keine aktuellen Zahlen vor, 2012 schloss sie aber mit einem Plus von fünf Millionen Euro ab.

Eine Milliarde Euro im Jahr für alle Standorte seien notwendig, um ihre strukturelle Unterfinanzierung auszugleichen, erklärten der Verband der Uniklinika und der Medizinische Fakultätentag. Fließen soll das Geld als Systemzuschlag, wie ihn in der vergangenen Woche auch die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) gefordert hat. Ein Teil dieses Zuschlags solle aus einer angemessenen Vergütung der Extremkostenfälle in der Patientenversorgung kommen, sagte Albrecht. In den 2004 anstelle der Bettenpauschalen eingeführten Diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) würden diese an Uniklinika besonders häufigen Fälle nicht adäquat abgebildet. Jetzt hoffen die Häuser auf einen Prüfauftrag an das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus, der bis Ende 2014 vorliegen soll und auf dessen Grundlage neue Vergütungsregelungen entwickelt werden sollen. Dies ist zwar im Koalitionsvertrag von Union und SPD festgelegt. Demnach sollen auch die Leistungen der Hochschulambulanzen angemessen vergütet werden. Doch die Verbände sind skeptisch, ob es zu einem vollen Ausgleich der Kosten kommt.

Vorbild für den Systemzuschlag sind die Niederlande

„Funktional in Gefahr“ sei das System auch durch fehlende Mittel für Forschung und Lehre, sagte Heyo Kroemer, Dekan der medizinischen Fakultät der Uni Göttingen und Präsident des Medizinischen Fakultätentages. Die Landeszuschüsse würden fast durchweg stagnieren, weder die Inflation noch gestiegene Personal- und Sachkosten ausgleichen. Seitdem mit der Föderalismusreform von 2006 die Länder allein für den Unterhalt der Uniklinika zuständig sind, gebe es fast überall einen massiven Investitionsstau bei den Infrastrukturen.

Vorbild für den geforderten Systemzuschlag sind die Niederlande, sagte Albrecht. Dort wird ebenfalls mit DRG und mit staatlichen Zuschüssen für Forschung und Lehre gearbeitet. Daneben gibt es aber eine dritte Finanzierungssäule für die Mehrkosten der Hochschulmedizin – 80 Millionen Euro jährlich für jedes Uniklinikum. Bezahlt habe der Staat dies bislang mit Erlösen aus der Erdgasförderung, wegen zurückgehender Erträge werde jetzt ein Ersatz gesucht. Deutschland brauche neben einer neuen Vergütung in der Krankenversorgung eine erneute Grundgesetzänderung, damit der Bund der Hochschulmedizin direkt helfen kann – ohne den etwa beim Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIG) gewählten Umweg über die Helmholtz-Gemeinschaft.

Kritik an Modellen wie der "Kassel School of Medicine"

Die Qualität der Medizinerausbildung sehen die Verbände indes durch „kleine unkontrollierte Medical Schools“ gefährdet. Diese maßten sich häufig den Status eines „Universitätsklinikums“ an, sagte Heyo Kroemer. Ein Beispiel: Zwei Krankenhäuser in Kassel und eines in Bad Arolsen kooperieren mit der University of Southhampton in Großbritannien und bieten an der „Kassel School of Medicine“ laut Kroemer eine um ein Jahr verkürzte Medizinerausbildung an – gegen Gebühren von 12 000 Euro pro Studienjahr.

Der Medizinische Fakultätentag ruft die Länder auf, strenge Maßstäbe bei der Zulassung solcher Modelle anzulegen. So sollten Forschung, Lehre und Krankenversorgung sowie die klinischen Fächer in der Regel an einem Ort vereint sein. Die Institutsleiter sollten Professoren sein, die ihr Fach als Ärzte, Hochschullehrer und Forscher vertreten.

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