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Demonstranten stehen auf einer Brücke, in der ersten Reihe halten sie ein Plakat hoch, auf dem unter anderem zu lesen ist: CEU in Budapest, Hungary in Europe.

© Laszo Balogh/Reuters

Europa-Uni in Budapest: „Wir erwarten, dass Ungarns Regierung zur Vernunft kommt“

Der Präsident der Central European University in Budapest, Michael Ignatieff, fordert im Interview von Berlin mehr Einsatz für seine Universität bei der Regierung Orban.

Seit Monaten ist die Central European University (CEU) in Budapest im Visier der nationalkonservativen Regierung Ungarns unter Viktor Orban, das neue Hochschulgesetz gilt als auf die Universität zugeschnittene „Lex CEU“. Gegründet wurde die Uni 1991 von dem aus Ungarn stammenden US-Investor und Philanthropen George Soros.

Herr Ignatieff, hat die CEU noch eine Zukunft in Ungarn?

Davon gehen wir aus. Budapest ist seit 25 Jahren unsere Heimat, wir haben einen wunderschönen Campus, neue Gebäude, 1800 Studierende und 400 akademische Mitarbeiter und knapp 1000 Mitarbeiter in der Verwaltung, 600 sind ungarische Staatsbürger. Deshalb glauben wir, dass wir eine Zukunft in Ungarn haben.

Wie gehen Sie mit dem neuen ungarischen Hochschulgesetz um, das besagt, ausländische Hochschulen müssten einen Campus in ihrem Herkunftsland haben?

Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir eine Verhandlungslösung anstreben. Aber die Regierung weigert sich, mit uns zu verhandeln, sie will nur mit US-Regierungsstellen sprechen. Nun sind die USA wie Deutschland föderal organisiert und der ungarische Staat müsste auf den für die CEU zuständigen Staat von New York zugehen. Das ist bislang nicht geschehen. Wir sind im Wartestand.

Ist ein bilaterales Abkommen über die Arbeit der CEU in Budapest tatsächlich eine Alternative zum geforderten US-Campus?

Das zu klären, wäre Teil der Verhandlungen. Die ungarische Seite hat nie gesagt, was ein „Campus“ oder ein „Programm“ in den USA bedeuten würde. Wir haben aber immer klargemacht, dass es keine pädagogische Rechtfertigung für ein Studienangebot auch in den USA gibt. Wir unterrichten in Budapest, wir haben hier unseren Campus und unser Programm. Unsere Master- und PhD-Abschlüsse sind in den USA akkreditiert. Das gilt weltweit für 40 US-Hochschulen, die alle keinen Campus in den USA haben.

Was bedeutet der Konflikt für die Aufnahme neuer Studierender?

Es soll uns ab dem 1. Januar 2018 nicht mehr gestattet sein, neue Studierende aufzunehmen, wenn wir die „Lex CEU“ nicht erfüllen. Das Gesetz wird jetzt erst einmal durch das ungarische Verfassungsgericht gehen. Die EU-Kommission stellt seine Rechtmäßigkeit ebenso infrage. Klar ist jedenfalls, dass das Gesetz als Attacke auf die Universität entworfen wurde, um uns aus Ungarn hinauszudrängen. Und dass wir uns wehren und Unterstützung in aller Welt mobilisieren.

Sind potenzielle Bewerber jetzt nicht stark verunsichert, ob es die CEU im kommenden Jahr überhaupt noch geben wird?

Die Existenz der CEU ist nicht gefährdet, wir leben von einem Stiftungsvermögen, dessen Erträge unter allen Umständen weiterfließen. Die Bewerberzahlen sind bislang nicht zurückgegangen, wir sind für das nächste Semester voll ausgelastet.

Orban und andere Fidesz-Minister haben Anschuldigungen gegen die CEU erhoben: Es habe Unregelmäßigkeiten gegeben, Programme seien nicht akkreditiert worden. Sie haben betont, dass all dies gegenstandslos sei. Wie gehen Sie dagegen vor?

Unsere rechtlichen Mittel sind eingeschränkt. Fest steht, dass es sich um Verleumdungen handelt, die bislang beispiellos in Europa sind. Das alles entbehrt jeglicher Grundlage, uns als Universität wurden seitens der Regierung keinerlei Belege für Unregelmäßigkeiten vorgelegt. Im Gegenteil haben uns die Akkreditierungsstellen der Regierung immer wieder bestätigt, dass wir mit den Regularien vollkommen konform sind.

Zur Kampagne der Regierung gegen die CEU gehören auch Anschuldigungen gegen George Soros, den Stifter der Universität.

George Soros hatte die Vision, diese Universität zu gründen, um Menschen in den Fähigkeiten zu schulen, die sie brauchen, um all die Länder Mittel- und Osteuropas in die Demokratie zu führen. Das tun wir nach 25 Jahren noch immer. Geleitet wird die Universität jedoch von einem 21-köpfigen Kuratorium, dem unter anderem der frühere Präsident der Stanford University und der Rektor von Oxford angehören. Ich bin nicht Herrn Soros verantwortlich, sondern dem Kuratorium und dem Senat der Universität. So definiert sich akademische Freiheit: Ich bin unabhängig von meinem Gründer und ich sollte auch von meiner Regierung unabhängig sein.

Was aber nicht mehr der Fall ist.

Die Regierung führt eine politische Kampagne gegen Soros, dazu sind sie als politische Akteure berechtigt. Was sie nicht tun dürfen, ist eine akademische Institution als Geisel zu nehmen, als Mittel zu ihren politischen Zwecken.

Will man die CEU als Bastion kritischen Denkens schleifen oder geht es um die Immobilien der Universität?

Wenn wir das wüssten! Der Punkt ist aber nicht, dass wir eine kritische Institution sind – das sind wir als Universität automatisch –, sondern dass wir vom Staat unabhängig sind. Das verdanken wir unserem Status als private Einrichtung mit einem Stiftungkapital, es verhindert, dass man uns herumschubsen kann. Und diese Freiheit verteidigen wir. Die breite Unterstützung durch andere akademische Institutionen in Ungarn zeigt uns: Wir kämpfen auch für sie.

Strebt Orban an, die Universität zu verstaatlichen?

Wenn die Regierung sagt, wir wollen die CEU nicht schließen, meint sie damit, dass sie die Universität unter staatliche Kontrolle bringen will. Das ist für uns vollkommen inakzeptabel. Die Heimat dieser Universität ist in Budapest und wir werden in Besitz unseres wunderbaren Campus bleiben.

Glauben Sie, dass die Interventionen aus Brüssel – zuletzt das Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn, das dem Land seine Stimmrechte im Europäischen Parlament kosten könnte – die CEU retten?

Die Auflagen, die die EU-Kommission und das EU-Parlament Ungarn im Zusammenhang mit der Lex CEU gemacht haben, sprechen die in der Geschichte der EU deutlichste Sprache. Wir erwarten, dass die ungarische Regierung dies sehr ernst nimmt und zur Vernunft kommt.

Sehen Sie sich auch aus Deutschland hinreichend unterstützt?

Bilateralen Druck aufzubauen, wäre in der gegenwärtigen Situation sehr willkommen. Die Bundesregierung müsste einfach zum Telefon greifen und in Budapest fragen: Wäre ein solches Vorgehen gegen eine Universität in irgendeinem anderen EU-Staat denkbar? Die Antwort ist: nein.

Was kann getan werden, um die Zivilgesellschaft in Ungarn zu stärken, die immer wieder für die CEU auf die Straße geht?

Deutschland sollte sich bewusst machen, dass die ungarische Zivilgesellschaft und ihre Organisationen der vollen Wucht der ungarischen Regierung ausgeliefert sind. Wir stehen an ihrer Seite. Auch Institutionen der deutschen Zivilgesellschaft sollten das tun. Alles andere wäre ein Mangel an Solidarität. Entweder Europa ist ein Kontinent mit einem Wertesystem oder nicht.

Besteht noch Hoffnung, dass Europa die Demokratien der einstigen „samtenen Revolutionen“ nicht verliert?

Wir werden keine freien Gesellschaften in Mittel- und Osteuropa mehr haben, wenn es keine unabhängigen Universitäten und keine Vereinigungsfreiheit mehr gibt. Diese Botschaft ist bei den Verteidigern der europäischen Demokratien womöglich noch nicht angekommen: Klar ist ihnen, dass die Demokratie in Gefahr ist, wenn die unabhängigen Medien und Gerichte angegriffen werden. Das gilt aber auch für unabhängige Universitäten. Sie sind eine der Hauptkampflinien, wenn es um die Verteidigung der Demokratie geht. Denken Sie an die Türkei, an Russland – die Liste ließe sich leicht fortsetzen.

Sie sprechen Ende kommender Woche bei der Abschlussfeier der Hertie School of Governance in Berlin. Neben der Freien Universität Berlin gehört sie zu den Hochschulen, die der CEU Zuflucht angeboten haben. Wird es darüber Gespräche geben?

Ich werde sicher mit Unileitungen sprechen – ebenso wie mit der politischen Ebene etwa im Auswärtigen Amt. Wenn Sie mich nach einem Plan B fragen: Jede verantwortungsbewusste Institution wird über einen Plan B nachdenken, insbesondere wenn sie so eine Regierung hat wie wir. Aber wir haben von Anfang an klargemacht: Wir wollen keine Universität im Exil sein, wir sollen eine Universität in Budapest sein.

Das Gespräch führte Amory Burchard.

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