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Ikone moderner Baukunst. Die Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds wurde 1928 von Hannes Meyer und Hans Wittwer erbaut.

© imago/F. Berger

Bundesschule Bernau: Weltkulturerbe im Dienst des Unrechtsstaates

Die Bundesschule Bernau, die jetzt zum Weltkulturerbe gehört, diente Hitler einst als Kaderschmiede. In ihr wurde auch der Überfall auf Polen, der Beginn des Zweiten Weltkriegs, vorbereitet.

Die Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, gebaut ab 1928 von Hannes Meyer und Hans Wittwer, feierlich eröffnet am 4. Mai 1930, ist als emblematisches Werk der Bauhausschule zu Recht vor wenigen Tagen zum Weltkulturerbe erhoben worden. Die Anlage im Bernauer Kiefernwald ist aber nicht nur eine Ikone der modernen Architektur. Die Geschichte des Bauwerks im NS-Staat gehört zum System der Indoktrination und Repression, des Terrors und der Gewalt, die den Nationalsozialismus charakterisieren.

Die Bundesschule des ADGB, als ein Meisterwerk demokratischen und funktionalen Bauwillens der Bauhausschule errichtet, wurde 1933 von Nationalsozialisten in Beschlag genommen und in den Dienst des Unrechtsstaates gestellt. Nacheinander war das Bauwerk „Reichsschule“ der NSDAP und der Deutschen Arbeitsfront (DAF), wurde dann Ausbildungs- und Schulungsstätte von Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst der SS, diente als Trainingsort für Inszenierungen, die den Anlass zum Überfall auf Polen am 1. September 1939 gaben, und war schließlich Außenstelle des Reichssicherheitshauptamtes, der Terrorzentrale des NS-Regimes.

1933 kam Hitler zur Einweihung der "Reichsschule" nach Bernau

Adolf Hitler war, im Juni 1933, zur Einweihung der „Reichsführerschule“ nach Bernau gekommen. Zwei oder drei Jahre lang war die „Reichsschule Bernau“ dann die wichtigste Kaderschmiede des Nationalsozialismus. Sie unterstand dem Reichsorganisationsleiter Robert Ley. In der einstigen Gewerkschaftsschule wurden Funktionäre der NSDAP geschult, wurden zu Herrenmenschentum und zum Judenhass erzogen, hörten Vorträge zur Festigung ihrer mörderischen Weltanschauung, ließen sich in Rassen- und Volkstumsideologie fortbilden.

Der 20. Lehrgang an der Reichsschule Bernau im Juli 1935 war zugleich eine Veranstaltung des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes, in der zweihundert Studentenführern die ideologische Ausrüstung für studentische Sommerlager vermittelt wurde. Zu den prominenten Referenten gehörte der „Frankenführer“ und Herausgeber der Antisemitengazette „Der Stürmer“ Julius Streicher. Er nutzte seinen Vortrag am 23. Juli 1935 nicht nur zur üblichen Hetze gegen die Juden. Wie der Historiker Phillip Wegehaupt herausfand, sprach Streicher vielleicht zum ersten Mal öffentlich und unverblümt vom Judenmord.

In so derber wie ungelenker Diktion, wie sie dem frühen Gefährten Hitlers und obsessiven Antisemiten eigen war, rührte er an die niedersten Instinkte seiner Zuhörer: „Aller Kampf ist umsonst, wenn der Kampf gegen die Juden nicht zu Ende geführt wird. Ja, man kann sagen, es genügt nicht, wenn wir den Juden aus Deutschland verbannen, nein er müsste auf der ganzen Welt totgeschlagen werden, damit die Menschheit von ihm befreit würde. Der Jude bereitete die französische Revolution von 1789 vor. Der Jude schuf auch den Boden für die Revolte von 1918. Wenn Deutschland die Judenfrage löst, dann wird es gute Strahlen abgeben auch auf andere Völker. Es werden bestimmt noch schwere Tage kommen.“

Eine frühe Androhung des Mords an den Juden

Keine andere vergleichbar drastische und so frühe Androhung des Judenmords aus dem Mund eines hohen NS-Funktionärs ist bekannt. Und die Bernauer Rede war öffentlich, denn das Niederbarnimer Kreisblatt berichtete darüber. Die Ankündigung des Holocaust geschah wenige Wochen vor dem Reichsparteitag der NSDAP im September, auf dem die „Nürnberger Gesetze“ verkündet wurden, dem entscheidenden Schritt zur Segregation der Minderheit, der den Juden erst das Bürgerrecht nahm, dann die Ausgrenzung und Verfolgung begründete und schließlich die Vernichtung, wie von Julius Streicher erhofft und in Bernau prophezeit, einleitete.

Die Tage der NSDAP-Reichsschule waren zu jener Zeit schon gezählt. Reichsschulungsleiter Robert Ley hatte Größeres als den funktionellen Rahmen der Bauhausarchitektur im Sinn. In pompösem Ambiente sollten die Funktionäre der Partei weltanschaulich ausgerichtet werden. Im Frühjahr 1936 wurden die Ordensburgen Vogelsang in der Eifel, Krössinsee in Pommern und Sonthofen im Allgäu eingeweiht; die Reichsschule Bernau hatte ausgedient.

Neuer Hausherr des Bauhaus-Juwels wurde Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, der das Haus zur Ausbildungs- und Tagungsstätte der Sicherheitspolizei (das heißt der Gestapo und der Kriminalpolizei) und des Sicherheitsdienstes der SS (SD) bestimmte. Nicht nur NS-Ideologie und geheimdienstliches Fachwissen wurden von nun an in Bernau gelehrt; drei Tagungen waren dem Thema „Volkstum“ gewidmet. Dabei wurden Maßnahmen besprochen, die der Realisierung des „Generalplans Ost“ dienten: Germanisierung der eroberten oder noch zu erobernden sowjetischen Gebiete durch Ansiedlung von vier Millionen Germanen und Vertreibung und Vernichtung der autochthonen Bevölkerung in Osteuropa unter der Hoheit der SS.

Unter Heydrich übte die SS den "polnischen Überfall"

Die SD-Schule Bernau, wie der Komplex bis 1945 hieß, diente auch ganz konkret der Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs, genauer gesagt, des Überfalls auf Polen, mit dem er am 1. September 1939 begann. In Bernau wurden von Juni bis August 1939 Spezialeinheiten trainiert, die im Rahmen des „Unternehmens Tannenberg“ tätig werden sollten und deren Aufgabe es war, beim Einmarsch der Wehrmacht den SS-Einsatzgruppen zu helfen, die polnische Intelligenz zu vernichten. Hitler brauchte aber zunächst einen Kriegsgrund. Der wurde mit den fingierten polnischen Überfällen im Grenzgebiet für die Propaganda konstruiert.

Unter dem Kommando von Reinhard Heydrich übten SS-Männer den „polnischen Überfall“ auf die Grenzübergänge Hochlinden und Pitschen. (Der „Überfall“ auf den Radiosender Gleiwitz wurde an einem anderen Ort geprobt.) Es waren ausgesuchte Leute, „Volksdeutsche“ SS-Angehörige mit polnischen Sprachkenntnissen, die polnische patriotische Lieder singen und militärische Rituale der polnischen Armee darstellen konnten. Polnische Uniformen wurden für die „Angreifer“ beschafft und größte Geheimhaltung war angeordnet. Die Akteure waren sich ihrer Bedeutung bewusst: Beim geselligen Abend am 24. August 1939 in Bernau, ehe die SS-Männer zu ihren Einsatzorten an der polnischen Grenze in Marsch gesetzt wurden, prahlte einer der Ausbilder, SS-Obersturmbannführer Otto Hellwig: „Kameraden, an diesem Tisch, an dem wir hier sitzen, wird ein Stück Weltgeschichte gemacht.“

Später übernahm der FDGB die Schule

In den letzten beiden Jahren nationalsozialistischer Herrschaft beherbergte die ehemalige ADGB-Bundesschule auch noch eine Außenstelle des Reichssicherheitshauptamtes. Wegen der alliierten Bombardements der Reichshauptstadt amtierten ab 1943 mehrere Dienststellen des Amtes III (Inlandsnachrichtendienst) in der SD-Schule.

Im Jahr 1946 trat der neu gegründete Freie Deutsche Gewerkschaftsbund in der sowjetischen Besatzungszone das Erbe der 1933 von den Nazis vernichteten Gewerkschaftsbewegung an und erhielt von der Sowjetischen Militäradministration das Bernauer Gelände zugewiesen. Bis 1989 benutzte die DDR-Gewerkschaft FDGB das Gebäude im ursprünglichen Sinne, als Tagungs- und Schulungsort, allerdings ohne jede Rücksicht auf die Bauhaustradition seiner Architektur. Nach Bedarf wurde an- und umgebaut oder aufgegeben, was nicht benötigt wurde. In altem Glanz zeigt sich der Bau seit 2005, seinem 75. Geburtstag. Die unrühmliche Geschichte seiner Nutzung im „Dritten Reich“ war lange vergessen. Eine studentische Arbeitsgemeinschaft der TU Berlin hat die notwendigen Forschungen durchgeführt und ihre Ergebnisse publiziert.

Der Autor ist Professor für Zeitgeschichte i. R. und ehemaliger Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin. – Studien der studentischen Arbeitsgemeinschaft, die am Zentrum für Antisemitismusforschung angesiedelt war, sind nachzulesen in: Wolfgang Benz/ Heinz Deutschland (Hrsg.), Das Schicksal der ADGB-Bundesschule im Dritten Reich, Bernau 2007 und 2017 (2. Auflage). Erhältlich beim Verein baudenkmal bundesschule bernau e.V.

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