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Zeitzeugin der afroamerikanischen Geschichte. Die 106-jährige Virginia McLaurin besuchte im diesjährigen Black History Month das Weiße Haus. Ihr Gespräch und ihr Tanz mit den Obamas wurden ein Youtube-Hit.

© Pete Souza/picture alliance / dpa

Black History: Wie Afroamerikaner ihre Geschichtsschreibung in die Hand nahmen

Akteure, Aktivistinnen, Historiker: Afroamerikanische Geschichte begann mit der Hoffnung, nicht mehr ignoriert zu werden. Ein Gastbeitrag.

„I am so happy: A black president, a black wife. I’m here to celebrate black history.“ Diese Botschaft sprach die 106-jährige Virginia McLaurin Ende Februar im Weißen Haus mit fester Stimme in die Kameras. Das Video, in dem die alte Dame mit den Obamas scherzt und tanzt, wurde ein Youtube-Hit. Ihr Besuch beim Präsidentenpaar war einer der Höhepunkte des diesjährigen Black History Month, einer auf das Jahr 1926 zurückgehenden Tradition, die den marginalisierten Beitrag der afroamerikanischen Geschichte sichtbar machen soll.

Seit der Besiedlung der Kolonien im 17. Jahrhundert kamen Schwarze auf vielerlei Wegen in die Neue Welt, mehrheitlich jedoch als Sklaven. Weder die Unabhängigkeitserklärung von 1776 noch die amerikanische Verfassung von 1787, die im Geist der Aufklärung unveräußerliche Rechte und die Gleichheit aller Menschen proklamierten, änderten daran etwas. Auch in den Gebieten, in denen Sklaverei nicht so verbreitet war, sahen Weiße Schwarze mehrheitlich als minderwertig an, als Kinder, die einer „starken weißen Hand“ bedurften. Über Jahrhunderte hinweg begründeten und rechtfertigten Weiße die Unterdrückung und Ausbeutung Schwarzer mit der Bibel, dem Sozialdarwinismus oder der Eugenik.

Bürger zweiter Klasse, die der Willkür Weißer ausgesetzt waren

Auch nach der rechtlichen Abschaffung der Sklaverei im Jahr 1865 blieben Schwarze wirtschaftlich und sozial ähnlich abhängig und kontrolliert wie zuvor. Sukzessive wurden ihnen neu verliehene Bürgerrechte (sowie das 1870 erhaltene Wahlrecht) wieder genommen. Lesetests, Wahlsteuern und andere Verordnungen beschnitten den Zugang zu Wahlen. Beziehungen oder gar Heirat zwischen Schwarzen und Weißen waren in vielen Staaten noch bis in die 1960er Jahre hinein verboten. In Zügen und Straßenbahnen gab es für Weiße und Schwarze getrennte Abteile, in Bussen mussten Afroamerikaner im hinteren Teil sitzen. Separate Toiletten und Eingänge – für Schwarze meist der Hintereingang – wurden gebaut, getrennte Schulen und Militäreinheiten eingerichtet. Diese Rassentrennung wurde 1896 vom Obersten Gericht der USA für verfassungskonform erklärt.

So wurden Schwarze zu Bürgern zweiter Klasse, die ständig der Willkür Weißer ausgesetzt waren. Diese Behandlung blieb nicht ohne Gegenwehr. Seit der Sklaverei kämpften Schwarze zuerst für ihre Freiheit und später für ihre Gleichberechtigung und ein Leben in Frieden und Wohlstand. Sie versuchten, ihren Handlungsspielraum und ihre Bürgerrechte auszudehnen, kämpften gegen Lynchmorde und forderten das Ende der Segregation in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Afroamerikanische Geschichtsschreibung basierte zunächst auf oral history

Aufgrund ihrer afrikanischen Wurzeln, einer oral culture, dominierten auch in der Neuen Welt unter Menschen afrikanischer Herkunft mündliche Überlieferungen der eigenen Kultur und Geschichte. Zudem waren die meisten Afrikaner in der Diaspora in Amerika Analphabeten, da es verboten war, Sklaven/innen Lesen und Schreiben beizubringen. Afroamerikanische „Geschichtsschreibung“ basierte daher meist auf mündlicher Überlieferung. In der Nationalgeschichtsschreibung und -erinnerung waren Afroamerikaner, wenn überhaupt, nur marginal vertreten. In ihrem Glauben an die Überlegenheit der weißen „Rasse“ ignorierte die weiße Mehrheitsgesellschaft Schwarze im öffentlichen Diskurs vorsätzlich oder stellte sie in Stereotypen dar.

Im Kampf gegen Sklaverei und später Segregation strebten Afroamerikaner früh danach, der weißen Bevölkerung und auch sich selbst klar ihre Bedeutung für die amerikanische Nation und Kultur zu verdeutlichen So versuchten schon seit dem 18. Jahrhundert entlaufene Sklaven wie Boston King, Frederick Douglass oder Harriet Ann Jacobs, ihren Stimmen Gehör zu verleihen und ihre Erfahrungen schriftlich festzuhalten. Damit wollten sie Schwarze als Akteur/innen in die amerikanische Geschichte und Gesellschaft einbringen – in der Hoffnung, seltener ignoriert und damit akzeptiert zu werden.

Du Bois und Woodson - die erste Generation

Während die erste Generation afroamerikanischer Geschichtsschreiber vornehmlich aus Laienhistorikern bestand, war die zweite Generation meist an Universitäten ausgebildet worden. Besonders einflussreich in diesem Prozess der Professionalisierung waren W. E. B. Du Bois und Carter G. Woodson. Sie gründeten als Erste eigene Gesellschaften und Fachzeitschriften zur afroamerikanischen Geschichte.

Das Ziel dieser Historiker/innen war es vor allem, die Leistungen Schwarzer für die amerikanische Nation und ihren Aufstieg aufzuzeigen. Auf diese Weise suchten Afroamerikaner/innen, die Kontrolle über ihre Repräsentation in der Geschichte und in der kollektiven Erinnerung zu gewinnen. Die Sichtbarmachung der schwarzen Erfahrung sollte eine Form von race pride aufbauen und das Bild der Weißen von den Schwarzen verändern. Mit dem Erstarken der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung nach 1945 und der steigenden Zahl afroamerikanischer Collegestudenten wuchs auch das Interesse an der Erforschung der afroamerikanischen Geschichte.

Anfänge mit dem "Journal of Negro History"

Seit den 1960er Jahren wurden an Universitäten und Colleges, wenn auch oft nur zögerlich, eigene Professuren und Institute zur afroamerikanischen Geschichte eingerichtet. So gründete zum Beispiel die Harvard University 1969 ihr African and African American Studies Department und 1975 das W. E. B. Du Bois Research Institute, das seither herausragende Forschungen in diesen Bereichen mit Stipendien fördert. Dennoch blieben die Publikationsmöglichkeiten bis in die 1980er Jahre hinein begrenzt. Lange Zeit war das „Journal of Negro History“, das erst 2002 seinen Namen in „The Journal of African American History“ änderte, die einzige wirklich ernst genommene historische Zeitschrift für afroamerikanische Geschichte.

Im Zentrum der afroamerikanischen Geschichtswissenschaft stehen seit Langem die Unterdrückungserfahrung, der Freiheitskampf und das „Community-Building“ der schwarzen Minderheit in den USA.

Sozial- und Alltagsgeschichte seit Ende der 1970er Jahre

Ein Augenmerk liegt insbesondere auf der Bürgerrechtsbewegung seit 1945. Der lange Weg zur Aufhebung der Rassentrennung im Militär, in öffentlichen Schulen oder im Sport sowie die Herausbildung von Black Power und Black Nationalism werden in vielen Publikationen analysiert. Lange Zeit lag der Fokus auf der klassischen Hochphase der Bürgerrechtsbewegung. Datiert wurde sie zumeist auf die Zeit zwischen der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Fall Brown v. Board of Education of Topeka im Jahr 1954, die der Rassentrennung an öffentlichen Schulen landesweit ein Ende setzen sollte, und dem Tod Martin Luther Kings 1968. Biografien über Martin Luther King und Malcolm X standen nicht nur im Zentrum des zeitgenössischen medialen Interesses, sondern fanden von Beginn an auch in der akademischen Welt großen Anklang.

Seit Ende der 1970er Jahre erweiterte die Sozial- und Alltagsgeschichte den Blick. Nun standen gewöhnliche Menschen, oft auf lokaler Ebene, im Fokus. Diese Herangehensweise stellte zahlreiche Grundannahmen der bisherigen Forschung zur nationalen Bürgerrechtsbewegung infrage und führte zu einer Neubewertung zugunsten lokaler Gruppen. Nicht zuletzt zeigten vor allem Lokal- und Regionalstudien die Bedeutung von schwarzen Frauen in der Bürgerrechtsbewegung. Der Black Feminism, der auch die historische Forschung beeinflusste, wies auf die doppelte Diskriminierung von afroamerikanischen Frauen hin. Der Feminismus der 1970er Jahre berücksichtigte fast ausschließlich die Belange weißer Frauen der Mittelschicht. Die Bürgerrechtsbewegung dagegen war ungeachtet der Bedeutung, die schwarze Frauen für sie hatten, vor allem auf die Interessen und Forderungen schwarzer Männer ausgerichtet.

Gegen die Stigmatisierung schwarzer Frauen als "welfare queens"

Die zentrale Rolle von Frauen in Kirchengemeinden und in der afroamerikanischen Community machte sie besonders auf lokaler Ebene zu wirkmächtigen Akteurinnen im Kampf um Gleichberechtigung. Ohne die Arbeiterfrauen und ihren langwährenden Aktivismus wäre der Montgomery Bus Boycott 1955/56 so nie zustande gekommen. Über die direkte Bürgerrechtsgeschichte hinaus ist die Stellung der afroamerikanischen Frau eng mit dem Status der schwarzen Familie in der amerikanischen Gesellschaft und im amerikanischen Sozialstaat verknüpft. Die Stigmatisierung schwarzer Frauen als welfare queens und von schwarzen Familien als dysfunktional und vaterlos schlägt sich unter anderem auch in den Diskussionen zur Sozialgesetzgebung nieder.

Der 50. Jahrestag der Supreme-CourtEntscheidung zur Aufhebung der Rassentrennung an öffentlichen Schulen 2004, der Tod Rosa Parks im Jahr 2005 oder auch die Aufstellung des Martin Luther King Memorials im Jahr 2011 stellen noch einmal die Bedeutung von Erinnerung und Vergessen heraus. Vor allem Rosa Parks, Esther Brown und Martin Luther King standen als Symbolfiguren des gewaltlosen Widerstands und der Integration für moralische Erfolge, nicht nur der Afroamerikaner, sondern der gesamten Nation. Das politische und soziale Erbe der Sklaverei und der Segregation lastet gleichwohl noch schwer auf der amerikanischen Nation und ihren Rassenverhältnissen. Die amerikanische Gesellschaft ist weit entfernt von einem Post-Racial-Status, von dem heute immer wieder gesprochen wird.

Anhaltende Polizeigewalt gegen Schwarze

Die anhaltende Polizeigewalt gegen Schwarze und die Ausschreitungen in Ferguson oder Baltimore machten deutlich, wie wichtig eine intensive Erforschung der afroamerikanischen Geschichte ist. Ohne afroamerikanische Geschichte kann die amerikanische Geschichte und Gegenwart nicht verstanden werden.

Die Autorin forscht und lehrt nordamerikanische Geschichte an der Universität Tübingen. Ihr Artikel basiert auf einem Beitrag für die Internetenzyklopädie Docupedia. Zur Langfassung des Artikels über Afroamerikanische Geschichte geht es hier.

Einen Tagesspiegel-Artikel über Critical Whiteness, die Kritische Weißseinsforschung, lesen Sie hier.

Christine Knauer

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