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Wiederbelebte Gegenwehr. Eigentlich kann das Immunsystem Krebszellen erkennen und zerstören. Doch Signale des Tumors lähmen die Abwehrzellen. Diese Stoffe können Ärzte inzwischen mit Antikörpern abfangen. Das hilft vor allem Lungenkrebspatienten.

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Bessere Tumorbehandlung mit Checkpoint-Inhibitoren: „Ein komplett neuer Ansatz in der Krebstherapie“

Die Berliner Onkologin Maike de Wit erklärt, wie die Körperabwehr bei Tumoren in der Lunge aktiviert werden kann.

Frau Professor de Wit, neue Immuntherapien gegen Krebs, Checkpoint-Hemmer genannt, zeigen neuen Studien zufolge erstaunliche Wirkungen. Sie haben am Vivantes-Klinikum Neukölln den Checkpoint-Hemmer Durvalumab in der „Pacific“-Studie getestet. Was war das wichtigste Ergebnis?

Zum ersten Mal können wir Patienten mit Lungenkrebs, deren Tumor weit fortgeschritten ist und nicht operiert werden kann, aber noch keine Metastasen gebildet hat, zusätzlich zur Bestrahlung und der Chemotherapie noch etwas anbieten. Es gab viele, viele Studien, in denen etwa versucht wurde, mit weiteren Zyklen der Chemotherapie etwas zu erreichen. Leider hat das alles nicht funktioniert. Mit der neuen Immuntherapie aber leben die Patienten, wie die Zwischenauswertung zeigt, fast ein Jahr länger ohne ein Fortschreiten ihrer Erkrankung.

Für welche Patienten kommt das Mittel infrage?

Die Therapie eignet sich für Patienten mit einer Form von Lungenkrebs, die wir als nicht-kleinzellig bezeichnen. Voraussetzung für die Aufnahme in die Studie war zudem, dass der Tumor unter einer Chemotherapie und Bestrahlung nicht gewachsen war und noch keine Metastasen gebildet hatte und dass die Patienten fit genug waren für eine weitere Behandlung. In der Studie haben sie das Mittel ein Jahr lang alle zwei Wochen als Infusion bekommen. Es gibt aber auch schon länger Erfahrungen mit Erkrankten, deren Tumor bereits gestreut hat: Sie bekommen Immuntherapien so lange, wie sie wirken und keine erheblichen Nebenwirkungen haben.

Haben die Checkpoint-Hemmer die Krebsmedizin revolutioniert?

Ja, das kann man so sagen: Es ist ein komplett anderer Ansatz der Therapie. Mit ihnen gelingt es, die körpereigene Abwehr so zu aktivieren, das sie wieder das tut, was sie normalerweise tut oder tun sollte. Man darf es aber nicht in dem Sinn verstehen, dass man nun alle Krebskranken heilen könnte.

Gegen welche Formen von Krebs wirken sie denn?

Zuerst haben sie bei bösartigem Hautkrebs Erfolge gezeigt. Man weiß schon sehr lange, dass Melanome Tumoren sind, für deren Entstehung und Wachstum das Immunsystem eine besonders wichtige Rolle spielt. Veränderungen im Erbgut von Tumorzellen sind dafür bedeutsam. Zu den Immuntherapien gibt es inzwischen die Hypothese, dass sie umso besser wirken, je mehr Mutationen ein Tumor angehäuft hat. Auch Tumoren der Lunge, die besonders oft bei Rauchern entstehen, gehen mit vielen Mutationen einher. Das könnte bei der Wirksamkeit der Immuntherapie eine Rolle spielen. Man geht zudem heute davon aus, dass durch die vorausgehende Bestrahlung, die Entzündungsprozesse in Gang setzt, mehr T-Zellen in den Tumor einwandern und dass sich damit das Ansprechen auf die Checkpoint-Hemmer verbessert.

Wie steht es mit Tests, die den Erfolg für den Einzelnen vorhersagen könnten? Damit der Checkpoint-Hemmer Durvalumab wirkt, muss ja das Protein vorhanden sein, mit dem sich der Tumor gegen die Abwehrreaktion des Immunsystems schützt.

Für die Studie haben wir vor der Radiochemotherapie Proben der Tumoren genommen. Wir möchten erfahren, ob die Teilnehmer besser auf die Behandlung angesprochen haben, bei denen sich besonders viel von diesem Protein findet.

Kann man nach den positiven Ergebnissen der Studie daran denken, die Behandlung auch auf andere Krankheiten auszudehnen?

Tatsächlich wurden zu Beginn „Basket-Studien“ zur Immuntherapie gemacht, in die verschiedene Krebserkrankungen einbezogen waren. Die anderen häufigen Krebsformen, also Brustkrebs, Darmkrebs und Prostatakrebs, haben allerdings nicht so viele Genmutationen. Deshalb haben sie wohl in den bisherigen Untersuchungen nicht so gut angesprochen – mit Ausnahme einer Form von Darmkrebs, bei der eine bestimmte Mutation zugrunde liegt. Wir lernen in der Krebsmedizin gerade, immer genauer zu unterscheiden, wie das Innere des Tumors aussieht. Die heute noch übliche Einteilung der Tumorerkrankungen nach Organen wird dadurch ein Stück weit relativiert. Neben den Checkpoint-Hemmern trägt dazu auch die Gruppe der Tyrosinkinase-Hemmer bei. Wir werden in Zukunft viel mehr zwischen den verschiedenen Organen mit Tumoren querdenken müssen.

Warum wirken die Immuntherapien bisher nur für begrenzte Zeit und werden dann unwirksam? Was passiert da im Körper?

In der Studie, deren Interimsanalyse jetzt veröffentlicht wurde, wurden die Infusionen nur ein Jahr lang gegeben. Mehr Aufschluss darüber, was danach passiert, wird uns erst die Endauswertung geben. Was die begrenzte Wirksamkeit betrifft, muss man ehrlich sagen: Wir kennen den Grund heute noch nicht genau. In solchen Fällen sprechen wir Krebsmediziner dann von „Escape“-Mechanismen: Krebszellen finden immer wieder Auswege. Sie sind ein Ergebnis der Evolution. Sie versuchen sich zu vermehren und unbegrenzt zu leben. Zum Beispiel zeigen sie weniger Merkmale an der Außenseite der Zellmembran und verstecken sich damit besser.

Wie wichtig ist es, als Klinik an Studien teilzunehmen, die das Wissen vermehren?

Es ist toll, bei Studien dabei zu sein, von denen man glaubt, dass sie Patienten nützen. Um ihnen die Teilnahme an einer solchen Studie anbieten zu können, sind allerdings eine enorm gute Kooperation zwischen verschiedenen Fachgebieten und ein motiviertes Team nötig. Im konkreten Fall dieser klinischen Studie war schon zu Beginn relativ sicher, dass es ein positives Ergebnis geben würde. Deshalb wurde das Verhältnis zwischen echtem Medikament und Placebo auch mit zwei zu eins festgelegt. Alle hoffen in einer solchen Situation, das echte Medikament zu bekommen, zu dem es ja sonst für sie noch keinen Zugang gäbe. Nur selten war von Angst vor Nebenwirkungen die Rede.

Welche Nebenwirkungen gibt es?

Die allermeisten Teilnehmer fühlten sich so, als ob sie keine Therapie bekommen hätten. Dann sehen wir Ärzte zum Beispiel nur leichte Veränderungen von Laborwerten. Einige Patienten haben allerdings auch ausgeprägte Nebenwirkungen, etwa schwere Durchfälle oder Veränderungen an der Haut. Das Bild ist anders als bei Chemotherapien, wo alle ein gewisses Maß an typischen Nebenwirkungen erleiden. Bei den Immuntherapien ist das individueller. In ganz seltenen Fällen kann eine solche Therapie auch tödlich enden. Ich habe leider einen solchen Patienten im Alter von Mitte 50 gehabt, der eine schwere Herzmuskelentzündung bekam. Über diese seltenen Risiken zu informieren, gehört selbstverständlich mit zur Aufklärung vor Beginn der Behandlung.

Ein viel diskutiertes Thema sind die enormen Kosten der neuartigen Krebstherapien, die pro Behandlungsjahr in den sechsstelligen Euro-Bereich gehen. Ist das auch für Sie ein Thema?

Durchaus. Ich frage mich, ob die Preise adäquat sind, wenn man sie in Relation zu den Entwicklungskosten setzt. Ich denke, dass die Herstellerfirmen hier auch an ihre gesellschaftliche Verantwortung denken müssen.

Viele Patienten können mit den neuartigen Therapien zwar nicht geheilt werden, leben aber deutlich länger. Wird Krebs damit zur chronischen Krankheit?

Krebs gilt immer noch als die tödliche Erkrankung schlechthin, viel mehr als Herz-Kreislauf-Krankheiten. Dabei wissen wir schon länger, dass Patientinnen mit unheilbarem Brustkrebs im Schnitt ein längeres Leben vor sich haben als Menschen nach einem zweiten Herzinfarkt. Es gibt Menschen mit einer Krebserkrankung, die genießen jeden Tag, den sie vor sich haben. Andere fühlen sich jedoch als Belastung für ihre Familien. Oft leben auch die Angehörigen des Erkrankten in der Erwartung, dass er bald stirbt. Mich hat sehr beeindruckt, als eine Patientin mir erzählte, ihre Nachbarin warte jeden Tag darauf, dass sie sterbe, und mache ihrem Mann schöne Augen. Sie habe der Nachbarin einfach sagen müssen: „Merk dir das, noch bin ich nicht tot!“. Das ist wirklich ein Thema, bei dem sich im Kopf etwas verändern muss. Wir müssen uns als Gesellschaft daran gewöhnen, dass man lange mit einem Tumor leben kann – und dass man auch geheilt werden kann.

Das Gespräch führte Adelheid Müller-Lissner.

Maike de Wit ist seit 2007 Chefärztin der Onkologie am Vivantes Klinikum Neukölln. Zu ihren Spezialisierungen zählen auch das Bluttransfusionswesen und die Palliativmedizin.

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