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Seit 2011 steht das Gedicht von Eugen Gomringer an der Südfassade der Alice-Salomon-Hochschule.

© David von Becker

Berlin-Hellersdorf: Streit um Gedicht an Fassade der Alice-Salomon-Hochschule

Ernsthaftes Anliegen oder "barbarischer Schwachsinn"? Die Studienvertretung hält ein Gedicht Eugen Gomringers an der Alice-Salomon-Hochschule für sexistisch. Nun könnte es übermalt werden.

Alleen, Blumen, Frauen, ein Bewunderer. Aus diesen vier Dingen besteht das kurze spanischsprachige Gedicht mit dem Titel „avenidas“ des Lyrikers Eugen Gomringer, das seit 2011 die Südfassade der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) in Berlin-Hellersdorf ziert.

Nun könnten die Zeilen übermalt werden. Die Studierendenvertretung hatte vergangenes Jahr eine Debatte rund um die Fassadengestaltung angestoßen. Der Grund: Es sei sexistisch. Frauen würden als schöne Musen dargestellt, die dem männlichen Künstler lediglich zur Inspiration dienen. Es erinnere zudem daran, dass Frauen sich in der Öffentlichkeit ständig Bewertung und Belästigung ausgesetzt seien, hieß es damals in einem offenen Brief des AStA.

Der spanische Text des 1953 verfassten Gedichts lautet wie folgt: avenidas/avenidas y flores/flores/flores y mujeres/avenidas/avenidas y mujeres/avenidas y flores y mujeres y/un admirador. Zu Deutsch: Alleen/Alleen und Blumen/Blumen/Blumen und Frauen/Alleen/Alleen und Frauen/Alleen und Blumen und Frauen und/ein Bewunderer.

Im Sommersemester 2017 startete dann nach einer Empfehlung des Akademischen Senats ein Ideenwettbewerb zur möglichen Neugestaltung der Fassade. Die Studierenden können noch bis zum 15. Oktober Vorschläge einreichen.

Hochschulleitung will Gedicht beibehalten

„Ich persönlich empfinde das Gedicht und die Anbringung auf der Fassade als gelungenes Kunstwerk“, teilte der Rektor der Hochschule, Uwe Bettig, öffentlich mit. Die Hochschulleitung werde sich dafür einsetzen, dass Gedicht zu erhalten.

Widerstand gegen eine Umgestaltung kommt jetzt auch von einer Gruppe aus Wissenschaftlern, Kuratoren, Dichtern und Künstlern. In einem offenen Brief, der dem Tagesspiegel vorliegt, bezeichnen sie die mögliche Entfernung des Gedichts als „absurd“ und verweisen auf den künstlerischen Wert von „avenidas“.

Die „sachliche Sicht“ auf den Text würde durch „feministische Ideologie“ versperrt, heißt es dort. Unterzeichnet haben den Brief unter anderem der Berliner Künstler Olaf Nicolai, Annette Tietenberg, Kunstprofessorin an der ASH für Bildende Künste in Braunschweig, der Künstler Maurizio Nannucci, die Journalistin und Politikerin Christina Weiss und der Schriftsteller Franz Mon.

Auch die Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum hat sich für den Erhalt des umstrittenen Liebesgedichts ausgesprochen. PEN-Präsidentin Regula Venske nennt das Handeln des AStA „barbarischen Schwachsinn“. Sie appellierte an die Studenten, sich für „Vernunft und Verstand und die Wertschätzung von Freiheit und Schönheit“ einzusetzen.

Der Streit um „avenidas“ füllte in den letzten Tagen auch die Feuilletons der großen deutschen Zeitungen. Der Schriftsteller Michael Lentz etwa kritisierte die Äußerungen des AStA in der „FAZ“ am Dienstag so: „So schlicht es in seinem Vokabular ist, lässt das Gedicht, das Ganze ist mehr als seine Einzelteile, viele Lesarten zu, eben auch allzu schlichte.“

Die Tochter des Dichters, Nora Gomringer schrieb in der „Welt“ am 1. September, der AStA interpretiere die Zeilen falsch, der vorkommende Bewunderer sei gleichgesetzt mit den anderen Elementen des Textes und stünde nicht als Voyeur über dem Rest des Gedichtes. Es sei „feministisch gelesen, harmlos“, schreibt die Dichterin. Sie fordert, der AStA solle sich bei Eugen Gomringer entschuldigen.

Fassade wird 2018 saniert

Ob das Gedicht wirklich entfernt wird, steht allerdings noch nicht fest. Die Fassade an der Hochschule muss 2018 saniert werden, bei diesen Arbeiten soll auch eine mögliche Umgestaltung erfolgen. Es könne aber auch sein, dass im Zuge des Ideenwettbewerbs entschieden wird, das Gedicht beizubehalten, sagte eine Sprecherin der Hochschule.

Gomringer hatte 2011 den Alice Salomon Poetik Preis erhalten – zu diesem Anlass hatte sich die damalige Hochschulleitung entschieden, das Gedicht anzubringen. Die Zeilen werden der Strömung der „Konkreten Poesie“ zugerechnet, als deren Gründer Gomringer gilt. Der Dichter wurde über den Ideenwettbewerb informiert, so die Alice-Salomon-Hochschule.

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