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Ruinen der Zitadelle von Mohenjo Daro.

© Ute Franke

Archäologie: Indus-Kultur - die unterschätzte Zivilisation

Die Indus-Kultur gehört zu den Hochkulturen der Bronzezeit. Doch bis heute weiß man nur wenig über sie - auch wegen der instabilen politischen Lage in Pakistan.

Es ist eine Mischung aus Wehmut und Ärger, mit der die Berliner Archäologin Ute Franke die derzeitige Lage der Forschung über die Indus-Kultur in Pakistan beschreibt. „Nicht sehr gut“, sagt sie. „Sie darbt.“ Die Indus-Kultur, die nach einem ihrer herausragenden Fundplätze auch Harappa-Kultur genannt wird, ist nur vergleichbar mit dem alten Ägypten und den frühen Hochkulturen in Mesopotamien.

Die Menschen bauten in dem mehr als tausend Kilometer langen Flusstal des Indus prachtvolle Städte mit stattlichen Gebäuden, Bädern und aufwendig gestalteten Kanälen. Neben Harappa zwischen 2600 v. Chr. und 1800 v. Chr. war Mohenjo Daro eines der Zentren der Indus-Kultur. Bis zu 30 000 Menschen lebten in der Stadt. Die Ruinen gehören heute zum Weltkulturerbe der Unesco.

Wenig Unterstützung für die Erforschung des vorislamischen Erbes

Die Forschungssituation wird jedoch dem Stellenwert der bronzezeitlichen Hochkultur in keiner Weise gerecht. Viele Wissenschaftler fühlen sich unwohl, in Pakistan zu arbeiten. Zur politischen Instabilität des Landes kommen immer wieder Anschläge islamistischer Terroristen mit vielen Toten. Dass es sich lohnt, das politisch und religiös neutrale, aber dennoch wissenschaftlich und kulturell relevante vorislamische Erbe Pakistans zu erforschen, ist deshalb nicht immer leicht zu vermitteln – in Pakistan ebenso wenig wie in Deutschland.

Mittlerweile sei es sehr kompliziert, Genehmigungen für archäologische Projekte zu erhalten, sagt Ute Franke, stellvertretende Direktorin am Museum für Islamische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin. Seit vor einigen Jahren die Verantwortung der Altertumsbehörde in der Hauptstadt Islamabad für die Ausgrabungsprojekte auf die Institutionen der Provinzen verteilt wurde, verfolge jede Provinz ihre eigenen Interessen. Das erhöht den Aufwand enorm.

Hinzu kommt eine verbreitetes öffentliches Unwissen über die Indus-Kultur, das es schwer macht, international Geld für archäologische Projekte im Land zu organisieren. Deshalb sagte der emeritierte Architekturprofessor und ausgewiesener Kenner der Indus-Kultur, Michael Jansen von der Technischen Universität Aachen, im Februar dieses Jahres auf einer Konferenz in Mohenjo Daro: „Jeder kennt Ägypten, und kaum jemand kennt Mohenjo Daro. Das muss sich ändern.“

Vor allem in Deutschland ist die Indus-Kultur kaum bekannt

Auch Franke bedauert, dass die Erforschung der Indus-Kultur kein Kernthema der Archäologie ist. Vor allem in Deutschland sei sie vielen unbekannt. Die Expertin für die Archäologie des Nahen und Mittleren Ostens forscht seit Anfang der 80er Jahre in der Region. Zuletzt kuratierte sie 2015 in der pakistanischen Metropole Karatschi am Mündungsdelta des Indus eine Ausstellung mit 100 Exponaten aus mehreren Raubgrabungen in der westlichen Region Belutschistan.

Die Stücke stammten aus einem Fundus von etwas mehr als 800 Objekten, die die pakistanische Polizei im Jahr 2005 im Hafen von Karachi in einem Container gefunden hatte: Becher, Schalen, Schüssel, Töpfe und Krüge in unterschiedlichen Formen. Sie waren bemalt mit filigranen, manchmal einfarbigen, manchmal vielfarbigen geometrischen Mustern, Sonnen und wirbelförmigen Motiven sowie mit Darstellungen von Pappelfeigenblättern, Fischen, Enten und Steinböcken sowie Greifen mit Raubvogelkopf, Katzenkörpern, Flügeln und Hufen.

Raubgrabungen und Forschungslücken

Die Fundzusammenhänge – also die ursprüngliche Lage der Objekte im Boden, aus der die Archäologen wichtige Erkenntnisse ziehen – waren zwar nicht mehr zu rekonstruieren. Aber die Objekte waren in einem erstaunlich guten Zustand. Hehler wollten sie über Karatschi außer Landes schaffen. Mit ihrem Team dokumentierte, restaurierte und katalogisierte Franke die Funde zunächst über zwei Jahre.

Viele der Objekte ließen sich den Vorläufern der Indus-Kultur zuweisen und reichten bis ins 4. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung. Einige stammten aber klar aus der Indus-Kultur – zum Beispiel aufwendig gefertigte Vasen, auf denen Stiere mit wuchtigem Nacken abgebildet sind. Das Tier hatte offenbar eine besondere Bedeutung für die Menschen. Manche der Keramiken hatten wahrscheinlich rituelle Zwecke.

Ein Siegel mit der Figur eines Buckelrindes und Schriftzeichen.
Rätsel. Bislang unklar ist auch, was Siegel mit dem Bild von Buckelrindern und Schriftzeichen bedeuten.

© Ute Franke

Die Ausstellung in Karatschi zeigte einerseits die Gefahr für die archäologischen Hinterlassenschaften durch Raubgrabungen. Andererseits offenbarte sie, dass die Erforschung der Indus-Kultur noch viele Lücken aufweist. Nicht nur die Rituale der Indus-Kultur sind unbekannt. Eine zentrale Frage ist, welchem Zweck die so kulturtypischen, wenige Zentimeter großen Siegel aus Speckstein, Kalkstein, Ton, Kalzit und Marmor, aber auch aus Silber dienten, die in nahezu jeder größeren Siedlung der Indus-Kultur gefunden wurden. Auch auf ihnen sind häufig Stiere dargestellt. Und was bedeuten die Schriftzeichen auf den Siegeln?

Die Schrift ist noch nicht entziffert

Die Schrift ist bislang nicht entziffert, und die Sprache ist unbekannt, sagt Franke. Überhaupt gebe es bis auf meist kurze Texte zur Indus-Kultur und einige wenige Erwähnungen unter dem Namen „Meluhha“ in mesopotamischen Keilschriftentexten kaum lesbare Quellen. Das erschwere die Erforschung und auch die Entzifferung der Schrift enorm.

Ein weiteres Mysterium sind die großen Gebäude in den Städten des Industals, in denen die Forscher immer wieder Schmuck sowie wertvolle Metalle und Edelsteine ausgraben. Dennoch lassen sich keine konkreten Hinweise finden, ob es sich um Prunkbauten, Tempel oder Großgräber handelt. Warum wanderten die Menschen ab dem 29. Jahrhundert v. Chr. überhaupt aus den Hochebenen und Bergen in das Industal herab? Warum entwickelten sich die Dörfer überhaupt zu den großen Städten und einer hochkomplexen Gesellschaft? Wie kam es zu ihrem Verschwinden ab etwa 1800 v. Chr.?

Was man ziemlich genau weiß, ist, dass viele Menschen der Indus-Kultur reich waren. Bemerkenswert war ihr Wohlstand unter anderem deshalb, weil sie in ihrer näheren Umgebung keine besonderen Rohstoffe vorfanden, um ihn zu sichern. Es gab weder Gold oder andere wertvolle Metalle noch Edelsteine in der Region. Das für die Bronzezeit so wichtige Kupfer wurde in den weit entfernten Bergen im Westen des heutigen Pakistans an der Grenze zum Iran sowie im Oman und in Indien abgebaut.

Eine hochentwickelte exportgetriebene Gesellschaft in der Bronzezeit

Alles, was den Menschen zur Verfügung stand, war die Fähigkeit, effizient und gut Dinge zu organisieren und herzustellen. Davon zeugen unter anderem die hochentwickelten Kanalsysteme in den Städten. In Mohenjo Daro gab es ein weit verzweigtes Abwassersystem, das viele Wissenschaftler als fortschrittlicher bezeichnen als das in vielen kleinen Dörfern im heutigen Pakistan.

Die Menschen aus dem Industal stellten begehrte Handelswaren her. Offenbar sicherten sie unter anderem damit ihren Reichtum. Besonders für ihren Karneolschmuck war die Kultur bis weit über die Grenzen ihres Reiches bekannt. Britische Archäologen fanden während ihrer Arbeiten zwischen 1926 und 1931 sogar in dem Grab einer sumerischen Königin in Ur, Mesopotamien – im Süden des heutigen Iraks – ein mit Karneolen besetztes Schmuckstück, das der Indus-Kultur zugeschrieben wurde. Die Archäologen datierten den Fund auf 2400 v. Chr.

Die Indus-Kultur könnte vielleicht als eine Art exportgetriebene Gesellschaft in dem durchaus „globalisierten“ Wirtschaftskreislauf der Bronzezeit gelten. Zumindest begann mit ihr der direkte Seehandel in der Region bis nach Mesopotamien, sagt Franke. Die Bewohner des Industals unterhielten ein Netzwerk von Handelsbeziehungen bis in die Gebiete des heutigen Irans und des Iraks, Zentralasiens sowie Indiens und der Arabischen Halbinsel.

Die größte Kultur im dritten Jahrtausend vor Christus

Darüber hinaus gründeten sie Kolonien – zum Beispiel in Ras al Hadd oder Salut im Osten des heutigen Omans. In Dholavira und Lothal im Nordwesten des heutigen Indiens entwickelten sich Siedlungen der Indus-Kultur. „Flächenmäßig ist die Indus-Kultur die größte Kultur im dritten Jahrtausend vor Christus“, sagt Franke. Aber wie genau funktionierte die Kommunikation zwischen den einzelnen Teilen des Gebietes, die die Entwicklung zu einer einheitlichen Kulturerscheinung möglich machte? Die Liste der Fragen über die Indus-Kultur ist lang. Und die Forschungssituation ist schwierig.

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