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Das Leben im Griff. Frauen leben im Schnitt fünf Jahre länger als Männer. Das zeigt sich auch bei Hochbetagten, unter denen deutlich mehr Frauen zu finden sind.

© picture alliance / dpa

Alternsforschung: Höchstens elf Jahrzehnte

Immer mehr Menschen erleben ihren 110. Geburtstag, aber viel älter werden sie nicht. Die Ursache dafür ist unklar. Langlebigkeitsforscher wollen das Rätsel lösen.

„Über die Jüngeren wissen wir schon viel.“ Man muss aufpassen, wenn Heiner Maier so etwas sagt. Die Jüngeren – damit meint er 80- und 90-Jährige. Der Wissenschaftler des Arbeitsbereichs Altern und Langlebigkeit am Max-Planck-Institut für Demografische Forschung in Rostock widmet sich darum den Hochbetagten, die die Spitze der Alterspyramide bilden. Aktuell koordinieren er und seine Kollegen von Rostock aus eine internationale Forschergruppe, die das Sterberisiko von Menschen untersucht, die ihren 110. Geburtstag bereits hinter sich haben.

Es ist eine beschwerliche Arbeit, denn dieses hohe Alter erreichen nach wie vor nur sehr wenige. In Deutschland gab es beispielsweise im vergangenen Jahr neun Feiern zum 110. und zwei zum 111. Geburtstag – alles Frauen. Immerhin haben die Wissenschaftler inzwischen Angaben von 672 Personen aus mehreren Ländern zusammengetragen, die diese Zielvorgabe erfüllen. Ihre Daten wurden in der International Database on Longevity (IDL) gesammelt. Voraussetzung war allerdings, dass Geburts- und Sterbedaten in den jeweiligen Ländern schon seit mindestens 110 Jahren zuverlässig in Melderegistern oder bei Volkszählungen ermittelt wurden. Eine hohe Klippe, an der zum Beispiel die Aufnahme von Indien in die Studie scheiterte.

Ergebnisse des Projekts zu den „Super-Centenarians“ werden in den nächsten Monaten im Rahmen des soeben gestarteten Wissenschaftsjahrs vorgestellt. Schließlich heißt das Motto „Die demografische Chance“.

Ein Kind, das heute geboren wird, hat nach Ansicht der Demografen bereits eine Chance von eins zu eins, seinen Hundertsten feiern zu können, für ein kleines Mädchen ist sie etwas höher als für einen kleinen Jungen. Dass der Altersaufbau unserer Gesellschaft mit der Zeit von der sich nach oben verjüngenden Pyramidenform immer mehr abweichen wird, wird oftmals eher als Belastung wahrgenommen. Im Alter sind Menschen von Krankheit und Tod schließlich besonders bedroht. Tatsächlich verdoppelt sich das Risiko, im nächsten Jahr zu sterben, schon ab dem 35. Lebensjahr ungefähr alle acht Jahre. Für einen Menschen über 80 liegt es ungefähr bei eins zu zehn. Diese Sterbewahrscheinlichkeit hatten allerdings vor einigen Jahrzehnten noch 70-Jährige. Die Risiken haben sich nach hinten verschoben, glücklicherweise auch die für viele Erkrankungen und chronische Leiden.

Und in gewisser Hinsicht wachsen sie nicht einfach weiter. Zwar kommt jeder von uns Tag für Tag seinem Tod einen Schritt näher. Doch mit 111 oder 114 Jahren ist das statistische Risiko, im nächsten Jahr zu sterben, nicht größer als das eines 110-Jährigen, berichtet Maier. Offensichtlich erreichen diejenigen, die es so weit geschafft haben, im Hinblick auf die Sterbewahrscheinlichkeit ein Plateau.

Wie lässt sich das erklären? Die wichtigste Hypothese der Forscher lautet bisher: Hier kommt die Unterschiedlichkeit der Menschen zum Tragen. Nur Personen mit optimalen gesundheitlichen Voraussetzungen erreichen die Schwelle zum ganz hohen Alter, und auch wenn sie dort angekommen sind, kommt ihnen ihre Robustheit weiterhin zugute.

Genetische Unterschiede spielen jedenfalls nicht die Hauptrolle. Sonst könnte man sich nicht erklären, warum etwa die Anzahl der über 100-jährigen Frauen in Schweden und Japan (zwei Ländern, aus denen es besonders solide Daten gibt) seit dem Jahr 1950 von wenigen Einzelnen auf jeweils weit über tausend angestiegen ist. „Es liegt nahe, dass medizinische Versorgung und verbesserter Lebensstandard eine entscheidende Rolle spielen“, sagt Maier. Diese Faktoren haben zumindest das Sterberisiko für jüngere Jahrgänge reduziert, zeigen Studien.

Ab einem gewissen Alter scheinen diese Errungenschaften aber nichts mehr zu helfen. Die Wahrscheinlichkeit, den nächsten Geburtstag noch zu erleben, ist für Menschen über 110 in den letzten Jahrzehnten konstant bei 50 Prozent geblieben. Ist hier womöglich eine biologische Grenze erreicht, fehlt dem menschlichen Körper die Ausstattung, um noch deutlich älter zu werden? Und haben Frauen in dieser Hinsicht wirklich „bessere Karten“, auch im ganz hohen Alter? Dass die Französin Jeanne Calment, die im Jahr 1997 mit 122 Jahren starb, wohl immer noch den „Altersrekord“ hält, spricht für beide Thesen.

Die Rostocker Forscher wollen sich im nächsten Schritt auch den etwas Jüngeren widmen. „Wir erweitern unsere Datenbasis um die über 105-Jährigen, um zu erfahren, wann genau das Sterblichkeits-Plateau beginnt“, sagt Maier. Die niedrigere Altersgrenze dürfte zugleich dazu führen, dass sich ihre Datenbasis um Tausende von Personen vermehrt.

Im Wissenschaftsjahr soll es auch um die Konsequenzen gehen, die sich für die Lebensgestaltung der Menschen aus solchen Perspektiven ergeben. „Wenn ein junger Mensch wüsste, dass er oder sie wahrscheinlich über 100 wird und 90 bis 95 dieser Lebensjahre mit guten körperlichen und geistigen Fähigkeiten zubringen kann, dann würden sie es wahrscheinlich vorziehen, ihr Leben anders aufzuteilen, als das heute meistens üblich ist“, schrieb James Vaupel, der Direktor des MPI in Rostock, 2010 in einem Überblicksbeitrag für die Zeitschrift „Nature“.

Vaupel denkt vor allem an eine andere Aufteilung der Lebensarbeitszeit: Weniger Erwerbsarbeit in der Rush Hour des Lebens, wenn man zugleich die Kinder großzieht, dafür aber ein späterer Abschied aus dem Arbeitsleben. Für die Rente könnten dann immer noch ein paar Jahrzehnte bleiben.

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