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Der Weg des Virus. Mehr als sechs Jahrzehnte blieb die Aidsepidemie unentdeckt. Doch in New York infizierten sich so viele schwule Männer, dass die Welt von der Bedrohung Notiz nahm.

© dpa

Aids in Amerika: HIV kam um 1970 in New York an

Freispruch für Gaetan Dugas: Lange hieß es, ein einzelner Flugbegleiter habe die Aidsepidemie in Amerika entfacht. Eine Erbgutanalyse von mehr als 40 Jahre alten Viren hat diesen Mythos nun widerlegt.

Der attraktive Flugbegleiter machte keinen Hehl daraus, dass es ihm egal war, wen er angesteckt hatte und wen er noch anstecken würde. Als Forscher von der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC den vom Kaposi-Sarkom gezeichneten Mann besuchten, zählte er zunächst unbeeindruckt seine Sexualpartner auf. In einem Netzwerk von 40 seltsamen Krankheitsfällen in zehn Städten, das CDC-Forscher 1984 rekonstruierten und dann erstmals der Fachwelt von dem Immunschwächevirus HIV berichteten, wirkte er wie eine Spinne im Netz. Sie bezeichneten ihn als Patient O (für „outside of California“). Der Buchstabe wurde bald als Zahl fehlinterpretiert. Durch das Buch „And the band played on“ und dessen Medienecho entstand der Eindruck, ein Einzelner hätte die Aidsepidemie in Amerika entfacht: Gaetan Dugas alias Patient Zero.

Aber es begann nicht mit ihm. Er war nicht einmal der erste Patient mit Symptomen, der gemeldet wurde, stellt nun ein Team um Harold Jaffe von der CDC (der 1984 dabei war) und Michael Worobey von der Universität von Arizona im Fachblatt „Nature“ nachdrücklich klar. Das Team legt komplette Erbgutsequenzen von acht HIV-1-Viren vor, deren RNS sie aus Tausenden 1978 und 1979 archivierten Blutproben schwuler Männer in San Francisco und New York isolieren konnten. Ausgehend davon zeichnen sie den Verlauf der Epidemie detailliert nach. Etwa 1967 – 60 Jahre nachdem HIV in Zentralafrika durch die Schlachtung von Schimpansen auf den Menschen übergesprungen war – erreichte die Seuche demnach die Karibik, 1971 New York City und 1976 San Francisco. „In New York infizierten sich so viele Männer, dass die Welt die Epidemie zur Kenntnis nahm“, sagt Worobey.

Die Entschlüsselung der Viren-RNS ist nicht selbstverständlich. Nach 40 Jahren waren die empfindlichen Moleküle in kleine Stücke zerfallen. Die Forscher entwickelten daher eine eigene Methode, um das Erbgut dennoch analysieren zu können. Die Technik könne auch für die Rekonstruktion anderer Epidemien wie Zika benutzt werden, meinen sie.

Dugas war einer von vielen. Das Erbgut des Virus, das ihn krank machte, entsprach dem in jener Zeit üblichen Muster, schreiben die Forscher: „Wir haben keinen Beweis gefunden, dass Patient O die erste Person war, die sich mit dieser HIV-Linie infiziert hat.“ Und viele seiner Sexualpartner seien vermutlich bereits infiziert gewesen. Am Anfang der Epidemie habe man unterschätzt, wieviel Zeit vergeht, bis Aids ausbricht. Gaetan Dugas wiederum war nicht das Monster, als das er karikiert wurde. Seine Freunde konnten ihn überzeugen, sich zu ändern. Das wiederum machte keine Schlagzeilen.

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