zum Hauptinhalt
Unter Palmen. Polizei und nationale Sicherheit mussten sich vom Gelände der Uni Kairo zurückziehen.

© Amory Burchard

Ägypten: Der Traum von der freien Universität

Studierende in Kairo haben die Revolution angestoßen. Jetzt kämpfen sie für Demokratie auf dem Campus. Wie schwierig der Weg zur vielfach geforderten "neuen Universität" ist, zeigt ein Besuch.

Der Tahrirplatz ist das Zentrum der ägyptischen Revolution. Von hier aus fegten Millionen Demonstranten im Januar und Februar das Mubarak-Regime hinweg. Und noch immer kocht der Kairoer Tahrir an Freitagen, an denen die Demokratiebewegung zu einem weiteren „Tag des Zorns“ aufruft. Wie am letzten Freitag im Mai. Tausendfach skandiert die Menge Slogans, die „Soziale Gerechtigkeit“ und „Mindestlöhne“ fordern.

Mittendrin Sherry Basta, eine junge Sozialwissenschaftlerin. Sie kauft sich eine ägyptische Fahne, schwenkt sie zum Sprechchor „Wir sind eine Hand“ – dem Ruf nach Solidarität unter Muslimen und Kopten. Für die 26-jährige Kairoerin ist es das Debüt auf dem Tahrir. Sie studiert im Masterprogramm der Uni Erfurt für Public Policy, schreibt an ihrer Abschlussarbeit über Armutsbekämpfung in Ägypten. Jetzt ist sie endlich zu Besuch in der revolutionären Heimat, kommentiert begeistert die neuen Parolen des Tahrir: „Es ist ein Volksfest, es ist friedlich – und nur legitime Forderungen!“ Sherrys Begeisterung ist Karim Fawzys Enttäuschung. „Ein Volksfest! Das reicht nicht. Was gibt es jetzt schon zu feiern?“, fragt der junge Zahnmediziner. Man müsse sich besser organisieren, einander zuhören, über die Ziele der Revolution diskutieren.

Professoren dürfen offen kritisiert werden. Politik-Dekanin und Ex-NDP-Beraterin Alia al Mahdi schwärmt vom demokratischen Chat mit Studierenden.
Professoren dürfen offen kritisiert werden. Politik-Dekanin und Ex-NDP-Beraterin Alia al Mahdi schwärmt vom demokratischen Chat mit Studierenden.

© Amory Burchard

Ausgegangen ist die Revolution von den Studierenden, sie waren als Erste auf der Straße. Ist es ihnen auch gelungen, den Umbruch in die Universitäten zu tragen? Das Kairoer Büro des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) hat am Tag nach der großen Freitagsdemo Stipendiaten und Alumni eingeladen, sich über die Situation an den Hochschulen auszutauschen. Auch Sherry Basta ist dabei. Dass jetzt Redefreiheit herrscht auf dem Campus, man die Professoren und die Lehrpläne kritisieren kann, sei schon ein großer Gewinn, sagt sie. Aber es gebe auch noch Tabus: „Jeder Blogger, der kritisch über das Militär schreibt, wird verfolgt.“

„Die schlafenden Hunde sind geweckt“, ruft Nadine Hassan, die Politikwissenschaft an der Uni Kairo studiert. Das Mubarak-Regime habe das Volk betäubt. Forderungen von Professoren und Studierenden nach wissenschaftlicher Freiheit, gewählten statt von der Staatsführung eingesetzten Unipräsidenten und unabhängigen Studierendenvertretern wurden unterdrückt mit Repressionen und dem Spitzelnetz der Nationalen Sicherheit auf dem Campus, berichten andere in der Runde. Jetzt ist die Polizei weg, die Sicherheit unsichtbar. Brauchen die Unis unabhängige Kommissionen, die klären, wer ein Spitzel war? Nein, die Akten müssten geschlossen bleiben, sonst drohe eine Hexenjagd.

Endlich auf dem Tahrir. Studentin Sherry Basta genießt das friedliche „Volksfest“.
Endlich auf dem Tahrir. Studentin Sherry Basta genießt das friedliche „Volksfest“.

© Amory Burchard

Euphorie unter den Stipendiaten ruft die Absetzung des Dekans der medienwissenschaftlichen Fakultät an der Uni Kairo Ende Mai hervor. Der Mann war Mitglied der inzwischen aufgelösten Nationaldemokratischen Staatspartei (NDP), seine PR-Agentur machte Kampagnen für Ministerien. Er schrieb publizistische Elogen auf das Regime. Während der Revolution sagte sich der Dekan flugs von der NDP los und erklärte, er übernehme alle Forderungen nach Reformen.

Der Dekan ist ein Wendehals, es gibt jetzt sogar ein arabisches Wort dafür. Doch seine Taktik geht nicht auf: Studierende besetzen die Fakultät, fordern seinen Rücktritt, Professoren mobilisieren über eine Facebook-Gruppe. Die Besetzer lässt der Dekan vom Militär aus dem Gebäude prügeln, exmatrikuliert sie. Doch am Ende ist seine Macht begrenzt: Der neue Hochschulminister holt die Studierenden zurück, beurlaubt den Dekan. „Das ist ein Schritt, der uns helfen wird“, sagt Nagwa Elkhafif, eine Medizinerin mittleren Alters. „Bestimmt kommen jetzt die besseren Leute an die Spitze.“

Doch auch in der Professorenschaft liegt vieles im Argen. Die Studierenden und Wissenschaftler sind zwar bereit, den unterbezahlten Hochschullehrern einiges zu verzeihen: Wer eine Position und einträgliche Nebenjobs von der Regierung wollte, musste in der Partei sein, schlimm waren nur die „aktiven“ Mitglieder. Für ein Vorlesungsskript, nach dem die Studenten für die Prüfungen pauken müssen, 60 statt der erlaubten 15 ägyptischen Pfund (umgerechnet: 1,70 Euro) Kopiergebühr zu nehmen, sei noch keine Korruption. Aber Prüfungsergebnisse zu verkaufen oder gute Noten für gute Beziehungen zu vergeben – damit müsse Schluss sein.

Wie schwierig der Weg zur vielfach geforderten „neuen Universität“ ist, zeigt sich bei einem Besuch auf dem Campus der Universität Kairo. Hört man Alia El-Mahdi zu, Dekanin der Fakultät für Ökonomie und Politikwissenschaften, hat die Reform dort vor Jahren angefangen. Sie hätten schon früh „mit NGOs zusammengearbeitet, ja sogar den Staatshaushalt offen diskutiert“. Herausgekommen seien Vorschläge, mehr Geld für Bildung und Wissenschaft einzuplanen. Hätten die Ökonomen auch die hohen Ausgaben für Militär und Nationale Sicherheit kritisieren können? Dr. Alia, wie die Dekanin landesüblich genannt wird, stutzt kurz. „Nein, das wäre verboten gewesen.“ Und ja, als das Semester nach der Revolution wieder begann, sei auch sie zum Rücktritt aufgefordert worden. „Aber in einer revolutionären Situation ist zu erwarten, dass die jungen Leute Revolutionäre sein wollen“, plaudert die Mittfünfzigerin.

Das Urteil der Studierenden – „Sie sind Dekanin, Sie sind NDP, Sie sind korrupt“ – habe sie inzwischen revidieren können, sagt sie. Nun diskutiere sie über Facebook mit den Studenten. Sie ruft die Seite auf, zeigt stolz auf ihre „740 Freunde“. „Jetzt wollen sie mich zur Unipräsidentin machen“, erklärt Dr. Alia scheinbar überrascht. Und lobt noch die letzte friedliche Demo auf dem Tahrir.

Doktoranden, die im Computerraum zusammensitzen, mögen an die Wandlung der mächtigen Dekanin nicht glauben. „Sie kann sich doch nicht einfach so lossagen von ihrer Vergangenheit“, sagt einer. El-Mahdi habe als Beraterin des mittlerweile verhafteten Vorsitzenden des Planungskomitees der NDP ganz oben in der Parteihierarchie gestanden. Dafür sei sie allmonatlich mit einem Betrag honoriert worden, der ihr Dekansgehalt um ein Vielfaches übersteige. Und sie habe den willigen Parteinachwuchs unter den Absolventen ihrer Fakultät rekrutiert.

Gleichzeitig aber gilt die Wirtschafts- und Politikwissenschaft der Uni Kairo als Think Tank der demokratischen Zukunft Ägyptens. Politologen wie Abdul Monem al Mashat beraten Protagonisten des Umbruchprozesses – die Demonstranten auf dem Tahrir und die neuen Parteien. Und sie sehen auch die Defizite: „Der Demokratiebewegung fehlen Unterhändler, Konflikt- und Krisenmanager“, sagt al Mashat, der auch das Cairo Center for the Culture of Democracy leitet. „Die demokratische Kultur braucht mehr Forschung.“ Vielen Forschern fehle zudem die Methodenkenntnis, um etwa die dringend benötigten großen Umfragen zum geistigen Klima im Lande angehen zu können.

Der engagierte Politikwissenschaftler hatte jetzt ein großes Forum für seine Forderung: Zwanzig Taximinuten vom Campus der Uni Kairo wird im Konferenzzentrum des Hotels Four Seasons am Nilufer über die anstehenden Reformen in den Sozial- und Geisteswissenschaften nachgedacht. Der DAAD, das Bundesforschungsministerium und ägyptische Partner haben Wissenschaftsmanager, Professoren und Nachwuchsforscher eingeladen, um über ein großes neues Förderprogramm zu diskutieren. Was brauchen Geistes- und Sozialwissenschaftler heute, um Ägyptens jüngere Vergangenheit zu analysieren, die Revolution zu dokumentieren, kritisch zu begleiten und ihre ersten Errungenschaften zu stabilisieren?

Das Angebot liegt auf dem Tisch: Der 2007 eingerichtete deutsch-ägyptische Forschungsfonds legt schon in diesem Jahr eine neue Förderlinie für Politikwissenschaftler, Soziologen oder auch Kulturwissenschaftler auf, nachdem er – ebenso wie der DAAD seit Jahrzehnten – fast ausschließlich Lebens- und Ingenieurwissenschaftler gesponsert hat.

Aber wie kann man Sozialwissenschaftlern helfen, die neuen Aufgaben zu erfüllen und die Freiheit der Forschung zu nutzen? „Wir müssen die Arbeitsbedingungen verbessern, dann wird sich auch die Qualität der Arbeit bessern“, sagt Maged El-Sherbiny, Präsident der Akademie der Wissenschaften und Vizeminister für Forschung. Stipendien also, die Professoren Freiräume für groß angelegte Projekte geben. Kürzere Gastaufenthalte an deutschen Unis, um moderne Methoden und Curricula kennenzulernen. Neue Stipendien auch für DAAD-geförderte Nachwuchswissenschaftler, die bislang häufig in ein Loch fielen, wenn sie an ihre Heimathochschulen zurückkehrten.

An Ratschlägen der deutschen Gäste fehlt es nicht. Doch Oliver Schlumberger (Tübingen), plädiert dafür, vorrangig „Kapazitäten der ägyptischen Sozialforschung von innen freizusetzen“. Nach 200 Jahren externer Einmischung in der Region müssten sich deutsche und ägyptische Geistes- und Sozialwissenschaftler auf Augenhöhe treffen – frei von typisch westlichen Vorurteilen gegen die arabische Welt: „Geben Sie Ihre eigene Entwicklung nicht aus der Hand!“

Die junge Medienwissenschaftlerin Hanan Badr bringt es am Ende auf den Punkt: „Mein Rezept für bessere Sozialwissenschaften: Freiheit, Freiheit, Freiheit.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false