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Herzenssache. Vor 50 Jahren wurde einem Patienten zum ersten Mal ein Herz transplantiert.

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50 Jahre Herztransplantation: Die Mondlandung der Chirurgie

Vor 50 Jahren landete ein vorwitziger Arzt den medizinischen Coup des Jahrhunderts. Und wurde zum Star.

Wer ist derzeit der weltweit größte Superstar unter den Chirurgen? In der Mittagspause unter Kollegen gestellt, wird eine Antwort auf diese Frage wohl ausbleiben. Dabei ist es nicht lange her, dass einzelne Vertreter dieser Fachrichtung Bekanntheitsgrade erreichten, die mit denen der größten Film- oder Sportstars durchaus konkurrieren konnten. Theodor Billroth etwa, der Pionier bei Bauchoperationen, und Ferdinand Sauerbruch, der unter anderem die Brustkorb-Chirurgie revolutionierte.

Der erste Mensch mit transplantiertem Herzen überlebte nur 18 Tage

Der bislang letzte große Weltstar mit Skalpell allerdings stellte seine Vorgänger noch einmal in den Schatten. Nicht fachlich, nicht menschlich, sondern was seine Berühmtheit anging. Anfang Dezember 1967 waren sein Name und sein Gesicht omnipräsent auf den Titelseiten: Christiaan Barnard hatte als Erster erfolgreich ein Herz von einem Menschen in einen anderen verpflanzt. Danach war er lebenslang in den Boulevardblättern fast so häufig vertreten wie die Fürstenfamilie aus Monaco oder Boris Becker – inklusive Sex, Drugs, Rock ’n’ Roll und beeindruckender Geschäftstüchtigkeit.

Barnards erster Patient überlebte nur 18 Tage, er erlag einer Lungenentzündung. Deren Erreger konnten sich breitmachen, weil der Arzt das Immunsystem jenes 55-jährigen Louis Washkansky durch Medikamente extrem unterdrückt hatte. Er nahm an, dass das Spenderherz akut abgestoßen würde – was sich als nicht zutreffend herausstellte.

Herzergreifend. Am 3. Dezember 1967 wagte der Südafrikaner Christiaan Barnard die erste Herztransplantation. Der Patient starb kurz darauf, der Chirurg jedoch wurde zum Star – obwohl es noch lange dauerte, bis die Methode wirklich Leben verlängerte.
Herzergreifend. Am 3. Dezember 1967 wagte der Südafrikaner Christiaan Barnard die erste Herztransplantation. Der Patient starb kurz darauf, der Chirurg jedoch wurde zum Star – obwohl es noch lange dauerte, bis die Methode wirklich Leben verlängerte.

© AFP

Barnard wurde also zum Superstar, obwohl seine erste Operation seinem Patienten wohl kaum ein längeres Leben verschaffte, als dieser mit dem eigenen, versagenden Herzen noch gehabt hätte. Obwohl Washkansky aufgrund jener Abstoßungs-Fehldiagnose starb. Obwohl er nur wenige und auch wenig erfolgreiche Versuche mit Tieren gemacht hatte. Und obwohl er bis dahin alles andere als ein Pioniere auf dem Gebiet der Transplantationsmedizin gewesen war.

Die saßen anderswo beziehungsweise standen an ihren OP-Tischen in den USA und Europa. Etwa Norman Shumway, Richard Lower und Adrian Kantrowitz. Bei Lower hatte sich Barnard bei einem kurzen Besuch die Technik abgeschaut: Er hatte bei einer der mehreren hundert Herztransplantationen hospitiert, die Lower an Hunden vornahm. Zurück in Kapstadt, reichten ihm wenige ähnliche eigene Tierversuche, um zur Überzeugung zu kommen, es auch beim Menschen zu können. Die US-Ärzte, sagt der Medizinhistoriker David Jones von der Harvard University, „waren alle geschockt, dass jemand, der kaum echte eigene Forschung auf dem Gebiet gemacht hatte, den Mut beziehungsweise die Frechheit hatte, es zu tun“.

Eine „Epidemie von Herztransplantationen“

Nachdem die Nachricht von Barnards Coup um die Welt gegangen war, dauerte es nur Tage, bis Kantrowitz nachzog. Und nach Washkanskys Tod nahm auch Barnard am 2. Januar 1968 eine weitere Transplantation vor, von der der Patient sich medienwirksam inszeniert deutlich besser erholte. Auch Shumway transplantierte einen Tag später zum ersten Mal ein menschliches Herz. Was in jenem Jahr folgte, war eine, wie die New York Times schrieb, „Epidemie von Herztransplantationen“ mit etwa 100 Operationen weltweit. Auch zum Gesamtergebnis passt dieses Wort: Die meisten Patienten starben schnell. Die Ärzte, die sie wagten, beherrschten weder die Technik noch die Nachsorge. Die Euphorie und damit auch jene Epidemie ebbten ab.1970 gab es weltweit nur 18 Transplantationen. Auch Barnards zweiter Patient war da bereits verstorben.

Die Probleme waren fast immer die gleichen: Entweder gab es direkt bei oder kurz nach der Operation Komplikationen, oder das Immunsystem stieß das Spenderherz ab, oder das medikamentös unterdrückte Immunsystem ließ lebensgefährliche Infektionen zu. Shumway und sein Team im kalifornischen Palo Alto gehörten zu den wenigen, die überhaupt weitermachten. Ihnen gelang es, die Abstoßungsreaktion besser einzuschätzen und die Immunsystem-Unterdrückung jeweils genau anzupassen. Doch erst in den achtziger Jahren bekamen sie dieses Problem in den Griff, dank eines neuen Medikaments: Ciclosporin, gewonnen aus einem Pilz. Einige der damals transplantierten Patienten leben heute noch, etwa Elizabeth Craze in Kalifornien, der Shumway 1984 im Alter von zwei Jahren ein Herz verpflanzte.

Vor 35 Jahren begann die Ära der Kunstherzen

Etwa zur gleichen Zeit begann die Ära der Kunstherzen. Am kommenden Samstag jährt sich die erste solche Operation zum 35. Mal. Die Hoffnung war, damit gleich zwei der großen Hürden der Transplantationsmedizin zu überwinden: die Knappheit von Spenderherzen und die Abstoßung. Doch auch hier folgte der anfänglichen Euphorie bald Ernüchterung. Zwar gab es weniger Probleme mit immunologischer Abstoßung, dafür aber bildeten sich an den künstlichen Oberflächen verstärkt Blutgerinnsel. Thrombosen und Schlaganfälle waren häufig die Folgen. Sie gehören noch heute zu den nicht seltenen ernsthaften Nebenwirkungen dieser Apparate, die meist nur die geschädigten linken Herzkammern beim Pumpen unterstützen. Trotzdem helfen die Geräte heute vielen Patienten, die Zeit zu überbrücken, bis ein Spenderherz gefunden wird. Allein am Deutschen Herzzentrum Berlin (DHZB), sagt dessen Leiter Volkmar Falk, werden jährlich etwa 150 solcher Geräte implantiert, etwa 1000 in ganz Deutschland.

Hoffnungsträger Stammzelle

Die Geschichte der Herztransplantationen war nie eine von kontinuierlich wachsendem Erfolg. Den frühen Rückschlägen und den deutlichen Verbesserungen in den 80er und 90er Jahren folgt derzeit eine Periode der Stagnation: Obwohl immer mehr Menschen eigentlich ein Spenderherz brauchen würden, werden weltweit nur etwa 3500 pro Jahr verpflanzt. Denn es gibt einfach nicht genügend. Außerhalb von Industrienationen und ohne Krankenversicherung haben Patienten kaum Chancen auf die teure OP und Nachsorge. Auch die durchschnittlichen Überlebenszeiten scheinen mit knapp über zehn Jahren ein Plateau erreicht zu haben. Das gedrosselte Immunsystem mache den Organismus angreifbarer für Infektionen, die deshalb im Langzeitverlauf nach wie vor zu den häufigsten Todesursachen der Patienten zählten, sagt Falk. „Dazu kommt, dass Patienten wegen der Immunsuppression häufiger als die Normalbevölkerung an Krebs erkranken.“ Auch die chronische Abstoßung, bei der vor allem die kleinen Herzkranzgefäße geschädigt werden, bleibe ein Problem.

Die Hoffnungen liegen unter anderem in der Organzüchtung aus Stammzellen. Man sucht auch nach Methoden, die das Immunsystem nicht dämpfen, sondern toleranter für ein fremdes Herz machen könnten. Bei Lebern und Nieren ist dies bereits möglich. Erste Versuche, Herzen gemeinsam mit der Thymusdrüse zu verpflanzen und mit einem ähnlichen Verfahren wie bei Nieren und Lebern Toleranz auch für das Herz zu erzeugen, verliefen „sehr vielversprechend“, sagt Joren Madsen vom Massachusetts General Hospital in Boston. Gäbe es ein solches Verfahren, dann kämen vielleicht auch irgendwann Schweineherzen als Spenderorgane infrage, so Madsen weiter. Die Kunstherzen versucht etwa DHZB-Chef Falk zusammen mit Kollegen der Zürcher Hochschulmedizin mit rein biologischen Oberflächen auszustatten, um Gerinnselbildung zu vermeiden.

New York Marathon mit transplantiertem Herzen

Für solch langwierige Forschung hatte der Chirurgen-Superstar Barnard zeitlebens wenig Geduld. 2001 starb er nach einem Asthmaanfall. Hartwig Gauder lebte da schon mehr als vier Jahre mit einem Spenderherz, eingesetzt im DHZB. Er war auch ein Superstar, unter anderem Europarekordler über die 20-Kilometer-Gehen-Strecke sowie Olympiasieger 1980 und Weltmeister 1987 über 50 Kilometer. Mittlerweile ist er ein Superstar der Langzeitüberlebenden mit Spenderherz.

Wie er das geschafft hat? „Man muss sich persönliche Ziele setzen und diese mit Nachdruck verfolgen.“ Gauders erstes großes Ziel war es, einen Marathon zu laufen. In New York wurde er zwei Jahre nach der Transplantation zum ersten Spenderherzempfänger weltweit, dem dies gelang. Bald darauf war er der erste Mensch mit Spenderherz, der den Fuji-Berg in Japan bestieg. Neben diesem Willen seien die Disziplin beim Einnehmen der Medikamente und ein „kontrollierter Gesundheitssport“ entscheidend. Gauder, der in den Vorständen mehrerer Vereinigungen für Organspende sitzt, hat viel mit anderen Herzpatienten zu tun, und es überrasche ihn manchmal schon, wie nachlässig so mancher trotz der Erkrankung und Information mit seiner Gesundheit umgehe.

Vielleicht liegt ein wichtiger Schlüssel für längeres Überleben also jenseits von Kunst- oder Schweineherzen. Vielleicht liegt er dort, wo er sich auch in der Normalbevölkerung mit all den teils selbstverschuldeten Zivilisationskrankheiten findet: beim inneren Schweinehund.

Und den muss man auch überwinden, um sich endlich einen Organspendeausweis zuzulegen.

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