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In der Kritik. Aktivisten werfen der in Washington ansässigen Weltbank vor, in fragwürdige Projekte zu investieren.

© IMAGO

Weltbank: Gegen die Armen statt gegen die Armut

Eine Studie von Oxfam und Urgewald belegt: Die Weltbank finanziert über ihre International Finance Corporation private Finanzinvestoren, deren Projekte viele tausend Menschen um ihre Existenzgrundlage bringen.

Wer die Zentrale der Weltbank-Gruppe in Washington unweit des Weißen Hauses betritt, kann es nicht übersehen: „Unser Traum ist eine Welt frei von Armut“ prangt in großen Lettern über dem Empfang. Doch das Versprechen vom Kampf gegen die Armut gerät in der Praxis der weltgrößten Entwicklungshilfeorganisation immer wieder zum Kampf gegen die Armen. Das belegt nun erneut eine Studie, die zehn Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen, darunter Oxfam und die deutsche Initiative Urgewald jetzt veröffentlichen.

Die Untersuchung mit dem Titel „The Suffering of Others“ (Das Leiden der Anderen) dokumentiert, wie Tausende unter Verletzung ihrer Menschenrechte Opfer von Projekten wurden, die mit dem Geld der „International Finance Corporation“ (IFC) operieren. Das ist jener Zweig der Weltbank-Gruppe, der nicht staatliche Vorhaben, sondern private Unternehmen mit Krediten und Beteiligungen finanziert. Mit rund neun Milliarden Dollar jährlich läuft etwa ein Viertel aller Weltbank-Kredite über die IFC. Aber rund zwei Drittel dieser Summe investieren die IFC-Manager nicht direkt in Entwicklungsprojekte. Stattdessen vergeben sie Kredite an private Banken oder kaufen Anteile von Finanzgesellschaften, die sich ihrerseits an Investitionen aller Art beteiligen. Und genau das ist das Problem. Denn dabei verzichten die Weltbanker zumeist auf jegliche Kontrolle, ob die damit geförderten Unternehmen das Geld auch zum Nutzen der Bevölkerung einsetzen.

Geförderter Stromkonzern verschaffte sich Land mit Gewalt

Ein Fall von vielen ist der Bau eines 1400-Megawatt-Kohlekraftwerks im indischen Bundesstaat Odisha. Dieses finanziert der „Indian Infrastructure Fund“, an dem die IFC seit 2008 mit 100 Millionen Dollar beteiligt ist. So bekam in Washington wohl niemand mit, dass der geförderte Stromkonzern sich die benötigten 500 Hektar Land mit roher Gewalt verschaffte. Unter Zwang mussten knapp 1300 Familien ihre fruchtbaren Äcker zu Spottpreisen weit unter Marktwert abtreten. An die 5000 Menschen verloren ihre Existenz. Als sie protestierten, kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei, die daraufhin in den Dörfern einfiel. Bis heute herrsche in der Region ein Klima der Angst, berichten Betroffene, die noch immer auf Entschädigung warten.

Noch fragwürdiger ist die Beteiligung der IFC an dem vietnamesischen Finanzinvestor „Dragon Capital“, dem seit 2002 fast 27 Millionen Dollar Weltbankgeld zuflossen. Die Firma hält große Anteile an einem Agrarunternehmen namens Hoàng Anh Gia Lai, das in den Nachbarländern Kambodscha und Laos auf mehr als 50.000 Hektar Land Zuckerrohr- und Ölpalmenplantagen betreibt. Dafür hat die Firma Land in Besitz genommen, das die örtliche Bevölkerung seit alters her für ihre Ernährung bewirtschaftete. Allein in der kambodschanischen Provinz Ratanakiri sollen 18 Ortschaften mit rund 15.000 Bewohnern davon betroffen sein, ermittelten die Menschenrechtler. In der Folge sind neun Zehntel aller Haushalte verarmt. Viele können sich kaum noch ernähren, beklagen die Betroffenen.

"Große Dunkelziffer fragwürdiger Projekte"

Diese und die weiteren beschriebenen Fälle wurden jedoch nur bekannt, weil kundige Helfer die Opfer über die Beteiligung der Weltbank aufklärten und ihnen halfen, dort Beschwerde einzulegen. Weil die IFC unter dem Druck der Kritiker die Stelle eines „Compliance Advisor“, eines Ombudsmanns eingerichtet hat, der solchen Beschwerden nachgeht, erfährt davon nun auch die Öffentlichkeit. Doch in der Regel machen die privaten Kreditnehmer der IFC nicht bekannt, wo sie das IFC-Geld investieren.

Zu vermuten sei daher eine „große Dunkelziffer fragwürdiger Projekte“, meint Knud Vöcking, der für die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Urgewald seit Langem die Weltbank-Praxis untersucht. Die Klienten der IFC seien darum zu verpflichten, all ihre Investitionen offenzulegen, fordern die Kritiker. Zudem sollten diese nicht nur formal zur Einhaltung der Sozial- und Umweltstandards der IFC, der sogenannten „safeguards“, verpflichtet werden. Vielmehr müsse dies auch von unabhängigen Prüfern kontrolliert und deren Bruch mit Sanktionen belegt werden.

Entwicklungsminister Gerd Müller muss nun lesen

Wie nötig das wäre, hat der Chef der IFC, der Chinese Jin-Yong Cai, eigentlich auch längst eingeräumt. Bei Gewalt und Konflikten über Landrechte sei es „zwingend notwendig“ die Standards durchzusetzen, versprach er im vergangenen Juli. Zudem werde die IFC künftig „ihren Erfolg am Nutzen für die Entwicklung messen, nicht am Dollarvolumen der Investitionen.“

Doch praktische Folgen hatte das bisher nicht, beklagt Weltbankkenner Vöcking. Nötig sei daher eine Intervention des Vorstands, der heute zusammentritt. Dort entscheiden die Vertreter der Anteilseigner, darunter auch Deutschland, das nach den USA, Japan und China den viertgrößten Anteil hält. Doch zu den Forderungen der IFC-Kritiker hat der zuständige Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) bisher noch keine Meinung. Man müsse „diese Studie jetzt erst einmal lesen“, sagte eine Sprecherin.

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