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Zur Diversity-Konferenz kamen am Mittwoch 250 Frauen und Männer.

© Kai-Uwe Heinrich

Vielfalt in Unternehmen: Mehr als Frauenförderung

Die Charta für Vielfalt feiert Jubiläum. Viele Betriebe tun noch immer zu wenig gegen Ausgrenzung - und der Sieg von Donald Trump sei ein Schlag ins Gesicht.

Eigentlich sollte es ein guter Tag werden. Zehn Jahre ist es her, dass BP, Daimler, Deutsche Bank und Deutsche Telekom die Charta der Vielfalt in Deutschland initiierten. Sie wollten als Vorbild dienen, wie sich große Unternehmen für Vielfalt in der Belegschaft, für ein Arbeiten ohne Vorurteile einsetzen. Ana-Cristina Grohnert, freute auf das Jubiläum. Wäre da nicht der Sieg von Donald Trump gewesen. Sie sagt: „Das war ein Schlag ins Gesicht.“

Grohnert ist Mitglied der Geschäftsleitung bei EY und Vorstandsvorsitzende des Vereins „Charta der Vielfalt“, der mit dem Tagesspiegel in dieser Woche die fünfte Diversity-Konferenz veranstaltet. „Wir kämpfen hier für bestimmte Werte“, sagte sie am Mittwochmorgen, „und Trump hat mit einem Wahlkampf gewonnen, der gegen all diese Werte stand.“ Die Konferenz, auf der über Gleichberechtigung gesprochen wird, könne laut Grohnert nicht aktueller sein. Ähnlich reagierte die Gleichstellungsbeauftragte Christine Lüders auf eine Anfrage des Tagesspiegels: „Ich bin schockiert, dass die Mehrzahl der US-Wählerinnen und Wähler einen Mann zum Präsidenten gemacht haben, der einen rassistischen, menschenverachtenden und frauenfeindlichen Wahlkampf geführt hat. Ich kann nur hoffen, dass Amerikas Demokratie stark genug ist, um Bürgerrechte, Meinungsfreiheit und Antidiskriminierung zu bewahren.“

Welt von heute verunsichert viele

Gleichzeitig hieß es bei der Konferenz, man müsse sich nach der US-Wahl auch hierzulande kritisch hinterfragen. „Die Welt ist komplexer geworden“, sagte Grohnert. „Und die Menschen wünschen sich scheinbar eine Reduzierung dieser Komplexität.“ Die Globalisierung, Digitalisierung, die Entgrenzung der Arbeitswelt und Geschwindigkeit von Veränderungen würde so manchen verunsichern. Es sei wichtig, die Menschen mitzunehmen, sie trotzdem von Vielfalt zu überzeugen. Ihre Ängste vor Unbekanntem abzubauen.

Zum Jubiläum stellte Grohnert eine Studie vor, die die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY durchgeführt hat. Demnach tun viele deutsche Firmen noch immer zu wenig gegen die Ausgrenzung von Mitarbeitern. Zwei Drittel der befragten Betriebe haben in dieser Hinsicht noch gar nichts unternommen. Nur 19 Prozent planen konkrete Schritte. Für die Studie wurden 250 Führungskräfte zu ihrem „Diversity Management“ befragt, das in den neunziger Jahren in den USA entstand. Mit dem Zweck, die Benachteiligung in der Arbeitswelt wegen des Alters, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion, der sexuellen Orientierung oder einer Behinderung abzubauen. In Deutschland wurde die Idee 2006 aufgegriffen. Mit der Charta der Vielfalt. Die dazugehörige Selbstverpflichtung haben mittlerweile von mehr als 2400 Unternehmen und Organisationen unterzeichnet.

Rede von Merkel war inspirierend

Was in der Studie problematisiert wird: Viele Unternehmen verstehen unter Diversity lediglich Frauenförderung. Als wichtigste Maßnahme nannten sie die Flexibilisierung ihrer Arbeitszeiten (29 Prozent), um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Darauf folgte die Berücksichtigung von Frauen bei Beförderungen. Stichwort Quote. In dem Konferenz-Workshop „Zeitreise Diversity“ nannten fast alle Gruppen diesen Punkt als Flop der vergangenen zehn Jahre. „Es geht doch nicht nur um Genderfragen“, sagte eine Teilnehmerin.

Inspirierend fand sie die Rede von Angela Merkel, die Schirmherrin der Charta ist, zur Wahl Trumps. Auch Grohnert sagte dem Tagesspiegel: „Ich bin sehr dankbar, dass Bundeskanzlerin Merkel Ihren Glückwunsch an den neu gewählten Präsidenten mit einem klaren Verweis auf die Werte der Vielfalt verbunden hat.“ Dass der Wahlerfolg auch durch ausgrenzenden Populismus möglich wurde, müsse ein Alarmzeichen für die Wirtschaft sein. Eine solche Einstellung gefährde das Innovationsklima, das Wachstum und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. „Wohlstand gibt es aber nur in einem stabilen System.“

Wirtschaft braucht Zuwanderung

Wichtig war den Teilnehmern, dass Diversity nicht nur als „schöne bunte Welt“ wahrgenommen wird, wie eine Frau während des Workshops sagte. Vielfalt sei nicht einfach. Sie könne anstrengend sein. Zu Konflikten führen. Es würden Männern mit Frauen, Junge mit Alten konkurrieren. Trotzdem könnten es sich Firmen heute nicht mehr erlauben, Vielfalt zu ignorieren. Wie auch. Die Erwerbsquote von Frauen ist in den vergangenen Jahrzehnten enorm gestiegen. Wegen des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels braucht die Wirtschaft Zuwanderung. Ältere sollen länger arbeiten.

Auch wenn nicht alle Unternehmen Diversity umsetzen, meinte die Mehrheit in der Studie, Vielfalt bringe ihnen Vorteile. Dazu komme: Führungskräfte über 50 seien oft noch skeptisch. Sie wollten ein sehr deutsches Mitarbeiterbild. Wohlgeordnete und berechenbare Strukturen. Die Jüngeren, die mit der Globalisierung aufgewachsen sind, seien offener – und sie werden immerhin die Manager von morgen sein.

Der Workshop „Zeitreise Diversity“ endete schließlich mit einem Spiel. Alle sollten aufstehen, die glaubten, dass drei der 600 Top Managerinnen in zehn Jahren Lesben sind – und zwei offen schwule Fußballprofis in der ersten Bundesliga spielen werden. Sitzen blieb niemand. Ein bisschen Gemurmel gab es schon.

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