zum Hauptinhalt
Ferdinand Kirchhof, Vorsitzender des Ersten Senats beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verkündet am das Urteil zum Atomausstieg.

© Uli Deck/dpa

Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Angela Merkel hätte es beim ersten Atomausstieg belassen sollen

Die Tsunami-Welle von 2011 kommt jetzt als Klatsche auf dem CDU-Parteitag in Essen an. Dafür ist die Bundeskanzlerin verantwortlich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Kevin P. Hoffmann

Da kommen die Bilder wieder hoch. Erst das Erdbeben, dann die meterhohe Tsunamiwelle, die am 11. März 2011 nahe der japanischen Stadt Fukushima auf Land traf – und mehrere Kernreaktorblöcke überspülte. Auf den TV-Bildern in den Stunden und Tagen danach sah man auch die Druckwellen der Wasserstoffexplosionen, die sich nach den Kernschmelzen ereignet hatten. In einer Endlosschleife.

Diese Wellen spülten und walzten in Deutschland, fast 9.000 Kilometer westlich, Gewissheiten hinfort – anders übrigens als in vielen anderen Ländern auf dem Weg. Baden-Württemberg, auf ewig schwarz regiert? Man frage mal Stefan Mappus. Wissenschaftliche und politische Positionen, die Geschäftsmodelle der Energieversorger: weg, innerhalb von Stunden, Tagen und Wochen über den Haufen geworfen – aber nicht von der Natur, sondern von Entscheidungsträgern.

Angela Merkel ist verantwortlich dafür, dass Japans Wellen fünfeinhalb Jahre später für Wallungen am rechten Rheinufer in Karlsruhe sorgen – und als Klatsche beim CDU-Parteitag in Essen und Berlin ankommen, ausgerechnet an dem Tag, an dem sie sich zur Parteichefin wählen lässt. Faszinierend, wie sich Geschichte neu verdichten kann.

Merkel hält sich nicht an ihre eigenen Maßstäbe

Das höchstrichterliche Urteil bestätigt zwar die grundsätzliche Legitimität eines politischen Atomausstiegsbeschlusses, erinnert aber auch an Merkels größte Fehler. Sie hätte sich 2010, ein Jahr vor Fukushima, das Gerede von der „Kernkraft als Brückentechnologie“ und den Ausstieg vom Atomausstieg sparen sollen und den im Jahr 2000 von Rot-Grün mühsam ausgehandelten – und richtigen – Beschluss akzeptieren müssen. Das Problem ist nicht, dass die Kanzlerin nicht in die Zukunft blicken kann, sondern dass sie sich nicht an ihre eigenen Maßstäbe hält. Wie oft hat sie Entscheidungen mit dem Spruch pacta sunt servanda, Verträge sind einzuhalten, gerechtfertigt? Erst ignorierte sie ihr Motto beim Ausstieg vom Atomausstieg – dann wieder bei der 180-Grad-Wende, beim Atom-Moratorium Ende Juni 2011, das die Energieversorger, ihre Eigentümer und Angestellten erneut zur Kehrtwende zwang.

Der Atomkomplex bei Fukushima, aufgeräumt - im November 2016.
Der Atomkomplex bei Fukushima, aufgeräumt - im November 2016.

© Reuters

Es geht um Verantwortung – wo sonst, wenn nicht bei einem Thema, das nach Tschernobyl 1986 Deutschland schon einmal politisch und gesellschaftlich auf den Kopf gestellt hat? Pacta sunt servanda: Das hat Merkel übrigens auch mit Blick auf einen EU-Beitritt der Türkei erklärt. Hier ist die Lage ebenfalls emotional aufgeladen. Auch bei dem Thema ist sie nicht standfest genug,übernimmt zu wenig Verantwortung.

Die tragen wieder einmal Bundesrichter. Sie nehmen der Politik insgesamt eine unpopuläre Entscheidung ab. Eine Mehrheit der Bürger dürfte der Gedanke schmerzen, dass Firmen Milliarden verdienen, weil sie Müll hinterlassen dürfen, der über viele tausend Jahre hochgiftig bleibt. Doch das muss ein Rechtsstaat ertragen, der dieses Geschäftsmodell jahrzehntelang mit politischen Beschlüssen legitimiert und mit Steuergeld gefördert hat. Wie sonst will die Exportnation Deutschland in China auf Rechtssicherheit und Schutz von Eigentum pochen?

Ein Staat darf Unternehmen strengste Regeln geben. Aber diese müssen beständig und für alle gleich sein. Für Länder, die das nicht garantieren können, gibt es internationale Schiedsgerichte. Die will hierzulande niemand. Und die braucht es wohl, auch dank dieses Urteils, nicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false