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Zum Verzweifeln. Viele Deutsche bekommen Anrufe, die sie gar nicht wollen.

© Getty Images/iStockphoto

Unerwünschte Telefonanrufe: Vorsicht, Betrüger!

Tausende Deutsche erhalten jeden Tag lästige Anrufe. Was die Behörden dagegen tun und wie sich Verbraucher schützen können.

Siegfried Müncks Nerven liegen blank. Seit beinahe drei Jahren klingelt bei dem pensionierten Pfarrer aus Wilmersdorf praktisch ununterbrochen das Telefon. Morgens, wenn der Rentner gemütlich am Frühstückstisch sitzt, in der Mittagszeit oder am Abend. Die Anrufe stammen offensichtlich von einer Berliner und einer Münchner Rufnummer sowie einem Festnetzanschluss im Rheinland, doch mit Münck sprechen will am anderen Ende der Leitung niemand: Wählt man eine der Zifferabfolgen, die auf dem Display des Rentners eingeblendet werden, erreicht man nur einen Anrufbeantworter. „Die gewählte Nummer ist nicht in Betrieb“, erklärt eine Computerstimme auf Englisch. „Bitte überprüfen sie die Rufnummer und versuchen Sie es noch einmal.“

Mehr als 220.000 Beschwerden bei Bundesnetzagentur

Nicht nur Münck, der in Wirklichkeit anders heißt, wird in Deutschland immer wieder mit unerwünschten Telefonanrufen traktiert. Allein 2016 haben die Bundesnetzagentur, die laut Telekommunikationsgesetz (TKG) für den Kampf gegen den Missbrauch von Rufnummern zuständig ist, mehr als 220.000 Beschwerden im Bereich Telekommunikation erreicht. 2015 bezogen sich fast 78.000 Verbraucherbeschwerden auf Rufnummernmissbrauch. Die Behörde hat infolgedessen zahlreiche Firmen abgemahnt und andere Sanktionen verhängt. Fast 4000 Telefonnummern hat die Bundesnetzagentur aus dem Verkehr gezogen.

Die Nummern, die Siegfried Müncks Leben beeinträchtigen, stehen nicht auf den Listen, die die Behörde auf ihre Homepage gestellt hat. Dabei hatte sich der Rentner mehrfach telefonisch und schriftlich über den „Telefonterror“ beklagt. „Nach unseren Erkenntnissen könnte es sich bei diesen Anrufen um Anrufversuche eines Callcenters unter Verwendung eines automatischen Wählprogramms (Predictive Dialer) gehandelt haben“, schreibt die Bundesnetzagentur im Juni 2016 an Münck. Man habe „umfangreiche Ermittlungen“ eingeleitet und „besonders auffällige Nummern“ abgeschaltet.

Viele Anrufe stammen von Callcentern

Predictive Dialer sind laut jüngstem Jahresbericht der Behörde einer der häufigsten Gründe für Verbraucherbeschwerden. Bei der vor allem von Callcentern eingesetzten Technik wählt eine Software nach zuvor festgelegten Kriterien zahlreiche Rufnummern gleichzeitig an. Sobald der erste Angerufene das Gespräch entgegennimmt, werden die Anrufe zu den anderen Teilnehmern abgebrochen, um diese zu einem späteren Zeitpunkt erneut anzuwählen. Der Einsatz eines Predictive Dialers soll insbesondere die Auslastung der Callcenter-Mitarbeiter optimieren und übernimmt für sie die zeitaufwendige Aufgabe des Wählens.

Verboten ist der Einsatz von Predictive Dialern laut Bundesnetzagentur-Sprecher Michael Reifenberg und Bundesjustizministerium (BMJV) nicht. Zwar seien Werbeanrufe gegenüber Verbrauchern nur dann zulässig, wenn diese zuvor ausdrücklich in die Kontaktaufnahme eingewilligt hätten. „Bei einem Anruf, der direkt abgebrochen wird, handelt es sich mangels werbender Äußerung nicht um einen Werbeanruf“, teilt das BMJV auf Anfrage mit. Laut Anneke Voß von der Verbraucherzentrale Hamburg gibt es hierzulande zahlreiche Telekommunikationsteilnehmer, die in die Kontaktaufnahme Dritter einwilligen, ohne davon zu wissen. So sei die Teilnahme an Gewinnspielen nicht selten im Kleingedruckten daran geknüpft, die Einwilligung auch „interessierten Partnerunternehmen“ zu übertragen.

Vor allem Senioren sind häufig Opfer von Betrügern

Nicht selten gehen unerwünschte Anrufe aber auch richtig ins Geld. Großer Schaden entsteht etwa, wenn Telekommunikationsnutzern an der Strippe falsche Gewinnversprechen gemacht werden. Laut Bundeskriminalamt (BKA) werden in Deutschland vornehmlich ältere Menschen immer wieder Opfer dieser Betrugsmasche: Gewerbsmäßig organisierte Kriminelle stellen den Angerufenen einen hohen Geldgewinn oder wertvolle Preise in Aussicht, wenn sie im Gegenzug vermeintlich anfallende Steuern oder andere Kosten übernehmen und vorab bezahlen. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, treten die Anrufer dabei gerne als Rechtsanwälte, Polizeibeamte oder Staatsanwälte auf.

Der Schaden bei solchen Delikten ist hoch. 2015 etwa identifizierte das Bundeskriminalamt in der Türkei ansässige Callcenter, die mehr als 1000 deutsche Rentner am Telefon um insgesamt rund 132 Millionen Euro erleichterten.

Die Urheber von Anrufen sind häufig nicht zu ermitteln

Eine andere Variante des Rufnummermissbrauchs hierzulande zielt darauf ab, den Angerufenen zu einem zahlungspflichtigen Rückruf zu bewegen. Gelockt werden die Telekommunikationsnutzer durch eine im Display ihres Telefons erscheinende Rufnummer. Tatsächlich ließen sich viele Verbraucher zum Rückruf verleiten, sagt Stefan Teller, Leiter eines Betrugsdezernats beim Landeskriminalamt Berlin. Denn die eingesetzten Nummern sehen tatsächlich existierenden auf den ersten Blick zum Verwechseln ähnlich. Vorsicht sei etwa bei Anrufen mit der Vorwahl 0137 geboten: Sie stamme nicht von einem Mobilfunkfunkanschluss mit der in Deutschland häufigen Vorwahl 0173, sondern sei eine kostenpflichtige Servicerufnummer.

Laut Teller stehen die Ermittler bei der Verfolgung von Verstößen gegen das TKG vor allem vor einem Problem: Viele missbräuchlich verwendete Rufnummern werden offenbar bei den Telekommunikationsanbietern häufig von Mittelsmännern und unter Angabe falscher persönlicher Daten eingerichtet. „Die Spur der wahren Urheber verliert sich oft im Nirwana“, sagt Teller. Der Polizist ist skeptisch, ob eine schärfere Identifikationspflicht beim Einrichten von Telefonanschlüssen hier Abhilfe schaffen könnte. „Es wird schwer, ein betrugssicheres System hinzukriegen“, sagt er.

Die Bundesnetzagentur hat begrenzte Befugnisse

„Leider lassen sich die Urheber vieler Anrufe häufig nicht zurückverfolgen“, sagt auch Michael Reifenberg, Sprecher der Bundesnetzagentur. Die Befugnisse der Behörde diesbezüglich sind ohnehin begrenzt: Aufgrund der Datenschutzvorgaben hierzulande müssen Telekommunikationsanbieter die Daten ihrer Kunden nur dann herausgeben, wenn ein begründeter Betrugsverdacht und eine richterliche Anordnung vorliegen.

Doch selbst das ist noch lange keine Garantie dafür, dass der Urheber eines Telefonanrufs tatsächlich ausfindig gemacht und zur Rechenschaft gezogen werden kann. Gehe ein Anruf etwa auf einen im Ausland ansässigen Inhaber eines Telefonanschlusses zurück, werde es für die deutschen Behörden schwierig, sagt Reifenberg. Zwar können Staatsanwälte im Rahmen der Bekämpfung von internationaler Kriminalität auch bei Verdachtsfällen im Telekommunikationsbereich Rechtshilfe von anderen Staaten fordern. Doch diese würden meistens nur bei hohen Schadenssummen aktiv. Bei Rufnummermissbrauch geht es im Einzelfall jedoch meistens nur um kleine Beträge im Cent- oder einstelligen Eurobereich.

Der Telefonterror geht weiter

Bei Siegfried Münck indes geht der Telefonterror munter weiter. Abmelden will er seinen Festnetzanschluss dennoch nicht. Wenn ihn seine Freunde erreichen wollen, müssen sie eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Münck ruft dann zurück.

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