zum Hauptinhalt
In dieser Netzpumpstation wird die Wärme, die bei der Stromerzeugung in einem Kraftwerk abfällt, über Fernwärmeleitungen abtransportiert.

© Doris Spiekermann-Klaas

Sektorkopplung ist das nächste große Ding der Energiewende: Wie Deutschland unter Spannung kommt

Strom, Wärme und Verkehr müssen zusammenwachsen, um klimaneutral zu werden. Technisch ist das kein Problem. Aber die Kosten sind zum Teil noch sehr hoch und die politischen Rahmenbedingungen stimmen nicht.

Fotovoltaik fördern in Deutschland sei so sinnvoll „wie Ananas züchten in Alaska“, ätzte der frühere Chef des Stromriesen RWE, Jürgen Großmann. Das ist erst vier Jahre her. Inzwischen machen die Erneuerbaren rund 30 Prozent der deutschen Stromproduktion aus und sogar RWE gibt in Werbespots an, bei der Energiewende vorwegzugehen.

Das Projekt selbst ist nicht ohne Klippen: Widerstand gegen den Ausbau der Windkraft und der Stromnetze oder die ungewisse Zukunft der Braunkohlekumpel gehören zu den gesellschaftlichen Folgen. Hier wird die Politik weiter gestaltend eingreifen müssen

Aber der Weg bisher war leicht. Energiewende hieß vor allem: Wind- und Fotovoltaikanlagen aufstellen und die Vergütung dafür aus dem Portemonnaie der Stromverbraucher umverteilen.

Der ganz große Umbau des Energiesystems dagegen steht noch bevor. Der gesamte Energieverbrauch soll bis 2050 zum größten Teil auf erneuerbarem Strom beruhen. Dafür muss aber auf die Stromwende auch eine Wärme- und eine Verkehrswende folgen. Die drei Bereiche zu verknüpfen – das Schlagwort heißt Sektorkopplung – wird eine ungleich größere Herausforderung sein als der Aufbau der Grünstromerzeugung.

Vorreiter arbeiten schon mit Tauchsiedern im Fernwärmenetz

Die gute Botschaft lautet: Die Technologien dafür gibt es. Zum Beispiel das gute alte Tauchsiederprinzip, also mit Strom Wasser zu erwärmen. Das galt lange als ökologische Sünde, weil es eigentlich nicht effizient ist. Schließlich wird Strom erst unter Energieeinsatz hergestellt und dann wieder in Wärme verwandelt.

Doch die Zeiten ändern sich. Potenziell ist Grünstrom im Überfluss vorhanden. Aber man muss ihn speichern können. Pioniere wie die Stadtwerke in Lemgo oder Flensburg haben deshalb sogenannte Elektrokessel in ihr Wärmenetz eingebaut. Wenn die Preise an der Börse niedrig sind, kann Strom das Erdgas als Brennstoff ersetzt.

Auch im Privathaushalt funktioniert dieses Power-to-Heat-Prinzip. In Spandau steht die erste Beispielanlage für eine Hybridheizung, die mit Öl und Solarstrom betrieben wird, berichtet das Institut für Wärme und Öltechnik (IWO). Dabei übernimmt die Sonnenenergie die Warmwasserbereitung und unterstützt die Heizung. Das solar erzeugte Warmwasser wird in einem Tank gespeichert. Übersteigt der Bedarf den Wärmevorrat,, springt die Ölheizung ein. Im Vergleich zu einem herkömmlichen Heizkessel spare diese Kombination bis zu 40 Prozent Energie, teilt das IWO mit.

Grundsätzlich aber zementiert eine solche Hybridheizung natürlich die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Auf dem Heizungssektor wird der Ist-Zustand bisher fortgeschrieben: Drei Viertel aller neuen Heizungen arbeiten mit Gas als Brennstoff.

In der Uckermark fahren elektrische Lkw auf einer Teststrecke

Heizen kann man stattdessen mit Wärmepumpen, die der Umgebung die benötigte Energie entziehen und ins Haus abgeben. Dafür brauchen sie Strom, können aber mit heutigen Wirkungsgraden aus einem Teil Strom viermal so viel Wärme herstellen. Um wirklich klimaneutral zu sein, muss der Strom dafür aber aus regenerativen Anlagen kommen.

Auch der Verkehr lässt elektrifizieren. Pkw können außer mit Strom auch mit Wasserstoff oder Biogas fahren. Wasserstoff lässt sich mit Elektrolyse aus Strom und Wasser gewinnen (Power-to-Gas). In einem weiteren Schritt kann man aus Wasserstoff Methan, also Erdgas, herstellen. Dabei sinkt der Wirkungsgrad allerdings auf etwa 40 bis 50 Prozent der Ausgangsenergie.

Im Lastverkehr sind fossile Energien ungleich schwieriger zu ersetzen. Die unschlagbar große Energiedichte von Kraftstoffen wird hier wahrscheinlich am längsten gebraucht. In einem Pilotprojekt untersucht Siemens zusammen mit Scania auf einer Teststrecke in Groß Dölln in der Uckermark, wie man Lkw mit Strom per Oberleitung antreiben kann.

Für Oberleitungsbusse hat die Hochschule Zwickau ein automatisiertes Andrahtsystem entwickelt. Es wurde in Eberswalde erfolgreich getestet und könnte den Einsatz von Elektrobussen wesentlich flexibler machen.

Noch rechnen sich viele der Lösungen nicht

In dieser Netzpumpstation wird die Wärme, die bei der Stromerzeugung in einem Kraftwerk abfällt, über Fernwärmeleitungen abtransportiert.
In dieser Netzpumpstation wird die Wärme, die bei der Stromerzeugung in einem Kraftwerk abfällt, über Fernwärmeleitungen abtransportiert.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die schlechte Nachricht ist: Noch rechnen sich viele dieser Lösungen nicht und auch die politischen Rahmenbedingungen müssten anders gesetzt werden.

„Power-to-Gas ist eine relativ neue Technologie, die noch nicht wirtschaftlich ist“, sagt Gunnar Wrede vom Speicherexperten Younicos. Statt Strom in Gas umzuwandeln, sollte man zuerst an Flexibilitätsoptionen denken, sagt Wrede und den Strom beispielsweise in der energieintensiven Industrie einsetzen.

Eins der Gelenke der Sektorenkopplung sind die großen Batterien von Younicos. Zurzeit liegen eine ganze Reihe Abgaben auf dem Strom, den sie speichern.

„Wir fordern, dass Batterien als Teil des Netzes gesehen werden, weil sie Strom weder erzeugen noch verbrauchen“, sagt Philip Hiersemenzel von Younicos „Dann könnten die Netzbetreiber in Batterien investieren, was den Netzausbau effizienter machen würde.“ Gleichzeitig müssten weniger Kohlekraftwerke laufen, um Spannungsschwankungen im Netz auszugleichen. Leider stelle sich die zuständige Bundesnetzagentur da noch „komplett quer“.

„Strom, Wärme, Verkehr – Mit Sektorkopplung zu einer umfassenden Energiewende“. Podiumsdiskussion bei den Berliner Energietagen am Dienstag, 12. April um 18 Uhr. Anmeldung an politikmonitoring@tagesspiegel.de

Zur Startseite