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Luka Mucic: „Wir werden in den nächsten Jahren einige hundert Arbeitsplätze in Berlin schaffen.“ Foto: Wolfram Scheible/dpa

© picture alliance / dpa

SAP-Finanzchef Luka Mucic im Interview: "Digitalisierung ist vielfach noch grüne Wiese"

SAP-Finanzchef Luka Mucic über den IT-Gipfel, Wunsch und Wirklichkeit bei Industrie 4.0 und die Start-up-Stadt Berlin.

Herr Mucic, Industrie 4.0 ist das beherrschende Thema beim Nationalen IT-Gipfel. Wo steht die Wirtschaft bei der Digitalisierung – bei 3.9 oder schon bei 4.1?

Wir haben inzwischen einen grundlegenden Plan. Und dafür ist der im Vorfeld des Gipfels erfolgte Plattform-Prozess sehr hilfreich. Wir müssen den Gipfel jetzt nutzen, um Transparenz zu erzeugen. Auf dem Gipfel werden wir eine digitale Karte mit bedeutenden Industrie- 4.0-Projekten im Land vorstellen. Ursprünglich waren 100 Projekte geplant – es sind deutlich mehr geworden. Daran merkt man: Es läuft vieles richtig.

Wo steht SAP in diesem Prozess?

SAP hat dazu zehn Projekte beigesteuert, eine kleine Auswahl dessen, woran wir derzeit arbeiten. Eines der Projekte ist die Digitalisierung des Hamburger Hafens, wo Lkw nun immer nur dann aufs Gelände fahren, wenn sie zum Be- oder Entladen tatsächlich gebraucht werden – Dank der Nutzung von Echtzeitdaten. So können auf begrenzter Fläche mehr Waren effizienter abgefertigt werden. Zudem wird vermieden, dass sich Staus – mitunter bis zurück auf die Autobahnen – bilden.

Also ist alles bestens.

Noch ist das Thema vielfach grüne Wiese. Wirtschaft und Politik tasten sich langsam vor. Eine ganze Reihe wichtiger Arbeiten müssen erst noch erfolgen. Dazu gehört zum Beispiel, im Rahmen der Plattform Industrie 4.0 übergeordnete Standards zu setzen – auch solche, die sich mit internationalen Standards vertragen, wie sie beispielsweise derzeit in den USA entwickelt werden. Konzeptionell sind wir auf gutem Weg zur Industrie 4.0, aber es gibt noch viel zu tun.

In den vergangenen Jahren war der Digitalisierungsprozess ins Stocken geraten. Spitzenmanager wie Telekom-Chef Höttges warnten davor, dass Deutschland zurückfällt. Im Frühjahr hat die Bundesregierung bei Industrie 4.0 einen Neustart initiiert. Was hat sich seither verändert?

Klar geworden ist, dass es Handlungsdruck gibt. Soweit ich das wahrnehme, ist die Atmosphäre unter den Teilnehmern sehr gut. Was sich auch darin zeigt, dass sie bei unterschiedlichen Projekten bereits zusammenarbeiten. Dass man nicht immer einer Meinung ist und auch durchaus eigene Interessen vertritt, ist normal. Bei der Kompromissfindung etwas schneller voranzukommen, wäre natürlich auch unser Wunsch. Aber es sitzen jetzt die richtigen Player am Tisch.

Welche Rolle nimmt SAP ein?

Eines unserer wichtigsten Angebote in diesem Bereich ist eine digitale Plattform, über die Unternehmen ihre eigenen Industrie-4.0-Szenarien laufen lassen können. Die Plattform läuft in der Cloud auf der Basis unserer Echtzeit-Datenbank HANA. Ein typisches Anwendungsbeispiel ist das Erkennen von Verschleiß oder von technischen Mängeln an Maschinen, bevor diese Maschinen ausfallen und so vielleicht eine ganze Produktionslinie zum Stillstand kommt. Strategisch sehen wir uns in einer Brückenfunktion, weil wir nicht nur bei der Plattform 4.0, sondern auch beim Industrial Internet Consortium (IIC) in den USA aktiv sind. Unser Ansatz ist es, auf Basis gemeinsamer Standards einen reibungslosen Austausch im globalen Datenverkehr zu ermöglichen.

Der IT-Gipfel findet in Berlin statt. Die Stadt genießt einen guten Ruf als Digitalzentrum. Welche Rolle spielt Berlin für SAP?

Wir sind seit langem in Berlin präsent, allerdings mit einer Geschäftsstelle, die bisher vorwiegend von Beratung und Vertrieb geprägt war. In den vergangenen Jahren haben wir unseren Blick aber stark auf das Kreativpotenzial in der Stadt gerichtet. Wir ermöglichen Start-ups unter anderem sehr günstigen, zum Teil sogar kostenlosen Zugriff auf unsere Echtzeit- Technologie. Zudem können sie sich mit Eigenentwicklungen an unsere Industrielösungen andocken und so neue Geschäftsmodelle für ihre Kunden erarbeiten.

Viele große Unternehmen haben inzwischen Innovationszentren in Berlin.

Wir betreiben in Potsdam bereits ein Innovationszentrum, das wir noch einmal deutlich ausweiten wollen. Wir wollen aber auch direkt in Berlin ein Entwicklungszentrum aufbauen.

Wie konkret sind Ihre Pläne?

Wir werden in den nächsten Jahren einige hundert Arbeitsplätze in Berlin schaffen. Einen Standort haben wir schon gefunden, zu gegebener Zeit werden wir verraten, wo. Wir planen einen Ort, an dem sich Start-ups zum Austausch untereinander aber auch mit SAP-Experten treffen können. Ein ähnliches Konzept haben wir bereits in Palo Alto realisiert. Im Wesentlichen werden im neuen Innovationszentrum aber Arbeitsplätze für rund 300 Mitarbeiter vor allem in der Entwicklung entstehen, thematisch hauptsächlich im Bereich Big Data.

Also ist Berlin schon digitale Hauptstadt.

Für Deutschland würde ich sagen: ja. Aber SAP ist multizentrisch aufgestellt. Momentan kristallisieren sich in Europa verschiedene Standorte für Start-ups heraus. Wir beobachten beispielsweise auch London, Paris und Stockholm genau. Und abseits von Europa dürfen wir natürlich das Silicon Valley nicht außer Acht lassen. Berlin ist im Aufstieg begriffen, aber wenn wir die Investitionssummen in Start-ups vergleichen – rund eine Milliarde Dollar jährlich in Berlin, rund 30 Milliarden Dollar in Kalifornien – dann wird deutlich: Bis zum deutschen Silicon Valley ist es noch ein weiter Weg.

Was könnte Investoren anlocken?

Berlin muss seine spezifischen Kompetenzen herausarbeiten. Viele der Berliner Start-ups fokussieren sich stark auf Anwendungen für Konsumenten. Daran ist nichts falsch. Aber gerade im Bereich Industrie 4.0 bieten sich noch große Chancen, ein ganzes Marktsegment zu besetzen. Darüber hinaus hat die Stadt auch eine einmalige Möglichkeit, eine ganz eigene Plattform zu etablieren: Berlin plant ja strategisch eine Smart City zu werden. Hier könnte die Verwaltung Initiativen starten, Start-ups, Behörden, Bürger miteinander zu vernetzen – im Bereich Fremdenverkehr, im Gesundheitsbereich, wo man mit der Charité schon ein sehr kompetentes Haus hat.

SAP ist Dienstleister für viele Mittelständler. Umfragen legen nahe, dass genau diese Unternehmen sich mit der Digitalisierung schwertun. Wie gehen Sie damit um?

Für Mittelständler ist die Digitalisierung eine Riesenchance – sie können Prozesse so effizient steuern, dass sie in der Produktion plötzlich mit den Großen mithalten können. Und da sie schlanker aufgestellt sind als große Konzerne, könnten sie sich sogar schnell wandeln. Dennoch ist die Bereitschaft zum Wandel in vielen Betrieben ausbaufähig. Wir bieten deshalb Komponenten an, mit denen die Unternehmen ihre Produktionsprozesse neu gestalten können. Aber mit unserer Hilfe müssen sie das Rad, was die Technologie angeht, nicht neu erfinden. Über Cloud-Plattformen können sie Anwendungen entwickeln, die genau auf sie zugeschnitten sind. Wir haben bereits über den Hamburger Hafen gesprochen – das ist ein sehr gutes Beispiel.

Für viele der digitalisierten Anwendungen ist die Cloud, also die Datenspeicherung in Serverparks von Dienstleistern, unerlässlich. Wie schafft man Vertrauen in Zeiten von Geheimdienstskandalen und gekippten Datenschutzabkommen?

Grundsätzlich sind Cloud-Systeme auch bei Mittelständlern in Europa, vor allem aber in den USA, weit verbreitet. Richtig ist: Deutschland hinkt hier ein bisschen hinterher. Gerade bei inhabergeführten Unternehmen spielt die Datenhoheit noch eine große Rolle. Die Bedenken, dass man diese Hoheit verliert, sind aus unserer Sicht aber unbegründet. Zudem bieten wir Unternehmen an, dass ihre Daten ausschließlich in der EU gespeichert und verarbeitet werden und die Wartung der Systeme ebenfalls nur aus der EU erfolgt. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal von SAP.

Wie wird sich die Bedeutung der Cloud in Ihrem Geschäft mittelfristig entwickeln?

Im Augenblick liegt der Anteil der Clouddienste am Gesamtumsatz bei ungefähr zehn Prozent. Beim Neugeschäft nimmt der Cloudanteil gegenüber dem klassischen Lizenzgeschäft rapide zu: Ab 2018 wird der Cloudumsatz voraussichtlich höher liegen als der Umsatz mit neuen Softwarelizenzen.

Das Gespräch führte Simon Frost

DER FINANZCHEF

Luka Mucic ist seit gut einem Jahr für die Finanzen beim Softwarekonzern SAP verantwortlich. Das Unternehmen kennt der Jurist und Betriebswirt gut: Seine Karriere bei den Walldorfern begann er vor 20 Jahren in der Rechtsabteilung. Mit seiner Familie lebt der 44-Jährige in der Rhein-Neckar-Region.

DER KONZERN

SAP ist der größte deutsche Softwarekonzern. Das Unternehmen, 1972 von fünf Ex-IBM- Mitarbeitern gegründet, ist spezialisiert auf Geschäftsprozesse von Firmen. Unter den Gründern: Dietmar Hopp, bekannt als Mäzen des Fußballklubs TSG Hoffenheim, und Hasso Plattner, der 1998 das HPI in Potsdam gründete.

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