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Vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hält ein Mann eine Anti-Atomkraft-Fahne hoch.

© Uli Deck/dpa

Reaktionen auf das Atomurteil: Eon macht hohe Fehlinvestitionen geltend

Unternehmen und Bundesregierung sind zufrieden mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts. Doch die SPD prangert Merkels „Zickzackkurs“ an.

Als Ferdinand Kirchhof, der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, noch das Urteil zum Atomausstieg in Karlsruhe verlas, schoss an der Börse in Frankfurt am Main der Kurs der Eon-Aktie um 6,5 Prozent in die Höhe. Am Nachmittag blieben davon noch gut vier Prozent übrig. Bei RWE waren es 1,7 Prozent. Offenbar hatten auch die Händler in Frankfurt irgendwann begriffen, dass Eon, RWE und Vattenfall mit dem Urteil des höchsten deutschen Gerichts am Dienstag nicht den Jackpot gewonnen haben. Bei näherem Hinsehen bleibt von der ursprünglichen Forderung von 19 Milliarden Euro nur noch ein Bruchteil übrig. So sagte auch eine RWE-Sprecherin in Karlsruhe, von Entschädigungen in Milliardenhöhe gehe sie nicht aus.

Nur ein bescheidener Teilerfolg für die Konzerne

Den Konzernen ist klar, dass sie nur einen bescheidenen Teilerfolg errungen haben. Entsprechend kleinmütig lesen sich auch die Stellungnahmen zum Urteil. „Der Kernenergieausstieg in Deutschland bleibt von der heutigen Entscheidung unberührt“, räumt RWE ein. Doch habe das Verfassungsgericht deutlich gemacht, dass die gesetzlichen Regelungen zur Umsetzung des Atomausstiegs einen Eingriff in die Eigentumsrechte von RWE darstellten. Die alten Strommengen, die das Unternehmen eigentlich noch in seinen AKW hätte produzieren dürfen, seien ohne Entschädigung beschnitten worden. „Das Gericht hat diesen Umstand als verfassungswidrigen Eingriff in das Eigentum gewertet“, schreibt der Konzern. „RWE begrüßt, dass das Gericht in Teilen der Rechtsauffassung des Unternehmens gefolgt ist.“ Auch Investitionen, die RWE im Vertrauen auf die Laufzeitverlängerung durch die schwarz- gelbe Bundesregierung im Jahr 2010 gemacht habe, würden vom Gericht rechtlich geschützt.

Um die Entschädigungsansprüche beziffern zu können, müsse das Urteil noch genau untersucht werden. Die Karlsruher Entscheidung aber im Einklang mit der Verfassung umzusetzen, „liegt in der Verantwortung der Politik“, so RWE.

Keine schnellen Zahlungen zu erwarten

Eon betonte, der Konzern habe „auf Basis des damaligen langfristigen Energiekonzepts der Bundesregierung von Ende 2010 hunderte Millionen Euro in einen längeren Betrieb der Kernkraftwerke investiert“. Durch den Reaktorunfall von Fukushima 2011 und den damit verbundenen schnelleren Kernenergieausstieg seien diese Investitionen „vollständig entwertet“ worden – und das ohne Entschädigung. Eon sei aber „zu konstruktiven Gesprächen über die konkrete Umsetzung des heutigen Urteils mit der Bundesregierung bereit“. Solche Gespräche könnten dauern. Mit schnellen Zahlungen rechne das Unternehmen nicht.

Die Konzerne haben zwei Probleme: Von ihren Forderungen über 19 Milliarden Euro könnte möglicherweise nur eine Milliarde Euro übrig bleiben. Und die Entschädigung muss nicht zwingend in Geld gezahlt werden. Wie Gerichtsvize Kirchhof sagte, kann der Ausgleich „in eine finanzielle Leistung münden“, aber auch „in Übergangsregelungen oder anderen Alternativen bestehen“.

Das könnten beispielsweise auch Laufzeitverlängerungen für einzelne Kraftwerke sein. Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth sagte, die Ausgleichsregelungen müssten nun im Ministerium erarbeitet werden. Dafür hat die Politik bis Ende Juni 2018 Zeit. „Milliardenforderungen sind definitiv vom Tisch“, zeigte sich auch Flasbarth überzeugt.

Christoph Degenhart, Professor für Verwaltungsrecht an der Universität Leipzig und Gutachter für Eon in dem Prozess, sagte, bei der Entschädigung für die verkürzten Laufzeiten und die gekappten Reststrommengen sei ein monetärer Ausgleich nicht zwingend. Anders sei das bei den entwerteten Investitionen.

Obwohl das Verfahren für den Gesetzgeber und die Bundesregierung relativ glimpflich ausgegangen ist, nutzten die Parteien das Urteil zum Angriff auf die Bundeskanzlerin. So sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley: „Angela Merkel hat den rot-grünen Atomausstieg durch ihr panisches Hin und Her kaputt gemacht. Hätte sie damals alles bei unseren Ausstiegsplänen belassen, gäbe es solche Probleme jetzt nicht.“ SPD-Vize Ralf Stegner sagte voraus: „Ihr Zickzackkurs wird die Steuerzahler Milliarden kosten!“ Wenn die Atomkonzerne jetzt für ihre Investitionen entschädigt werden müssten, sei das „allein Merkels Schuld“, sagte Stegner.

Grüne geißeln "unanständige und maßlose Firmenpolitik"

Anton Hofreiter, Fraktionschef der Grünen im Bundestag, warnte davor, erneut Geschenke an die Atomindustrie zu verteilen. Die Entschädigung müsse sich auf das Notwendigste beschränken. „Die Klagen der Atomkonzerne sind Beleg für eine unanständige und maßlose Firmenpolitik. Ich finde unerträglich, dass die Konzerne einerseits mit dem Staat über eine Übernahme des Atommülls verhandeln und ihn andererseits verklagen.“

Auch der Abgeordnete Jürgen Trittin, der als Umweltminister für die rot-grüne Regierung den Atomausstieg ausgehandelt hatte, forderte die Konzerne auf, alle anderen Klagen gegen den Atomausstieg zu stoppen: „Die Bundesregierung muss den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages mit den Konzernen an die Beendigung der Rechtsstreite knüpfen. Rechtssicherheit bei der Entsorgung beruht auf Rechtsfrieden.“

Umweltschützer zeigten sich zufrieden. Das Verfassungsgericht habe die Argumente der Atomkonzerne mehrheitlich zurückgewiesen, so Greenpeace. Der BUND forderte, den Atomausstieg im Grundgesetz festzuschreiben.

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