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Leuchtturmprojekt. Die Messe rund um den Funkturm soll in den nächsten Jahren komplett saniert werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

© picture-alliance/ dpa

Partygänger oder Messebesucher: Berlin sucht ein neues Tourismuskonzept

Mehr Qualität im Tourismus, das wünscht sich der Berliner Senat. Kongressbesucher könnten dabei eine wichtige Rolle spielen.

Gröhlende Junggesellenabschiede, volltrunkene Abschlussfahrten, Kegelclubs, die Berlin für einen riesigen Ballermann halten – beim Stichwort Tourismus fallen vielen Berlinern zuerst die Probleme ein. Der Symbol gewordene Sound von Rollkoffern auf Kopfsteinpflaster bestimmt auch den Ton der Debatte, sodass sich der Senat veranlasst sieht, ein Tourismuskonzept zu entwickeln. Das soll die Qualität im Tourismus heben. Mehr Kulturinteressierte, aber auch mehr Geschäftsleute sowie Messe- und Kongressbesucher. Es gehe darum, „die Akzeptanz für den Tourismus in der Stadt zu erhalten“, heißt es aus der zuständigen Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe. Damit reagiert sie nicht nur auf den Unmut vieler Berliner über eine scheinbar überforderte Stadt, sondern auch auf die wachsende Bedeutung Berlins als Messe- und Kongressstandort.

Mehr Veranstaltungen, mehr Messen

Denn die wächst und wächst. Seit 2001 ist hier ein Plus von 51 Prozent bei den Veranstaltungen verzeichnet, von 163 Prozent beim Umsatz und ein Plus von 239 Prozent bei den Übernachtungen. Allein im ersten Halbjahr 2017 fanden hier 64 000 Veranstaltungen statt mit rund 4,96 Millionen Teilnehmern, das ist ein Plus von knapp zwei Prozent zum Vorjahr. Im Schnitt dauert eine Veranstaltung zwei Tage, 80 Prozent der Veranstalter kommen aus Deutschland, der überwiegende Rest aus Europa, vorwiegend aus Großbritannien. Dadurch wurden in der ersten Hälfte dieses Jahres 3,9 Millionen Übernachtungen generiert.

Messen und Kongresse machen etwa 25 bis 30 Prozent der Berlinbesucher aus. Im internationalen Vergleich sei das zwar durchwachsen. Dennoch sei der Bereich ein wichtiger Faktor für den Tourismus, „weil der Messegast im Schnitt mehr Geld hierlässt als andere Touristen“, sagt Willy Weiland, Berlin-Chef des Deutschen Hotel- und Gastronomieverbands Dehoga. Außerdem sei dieser Bereich eine Chance, die Stadt noch einmal ganz anders zu vermarkten und sich als herausragenden Wissenschaftsstandort zu präsentieren.

2015 landete Berlin im ICCA-Ranking erstmals auf dem ersten Platz. Das Ranking gilt als wichtiger Messwert für die Kongress- und Messebranche. Seit 2007 liegt die Stadt hier weltweit kontinuierlich auf einem der ersten fünf Plätze. Deutschland landet im Ländervergleich auf dem zweiten Platz hinter den USA.

Hotels hat Berlin genug

Insbesondere bei den Hotels sei Berlin gut aufgestellt. „Wir profitieren von einer recht modernen Infrastruktur, die seit dem Mauerfall entstanden ist“, sagt Emanuel Höger, Pressesprecher der Messe Berlin. Das bestätigt auch Willy Weiland. Berlin habe eine Jahresauslastung von etwa 80 Prozent. Gerade Hotels wie das Intercontinental und das Estrel seien in dem Bereich gut ausgelastet, zumal das Estrel neben dem recht neuen City Cube eines der wenigen Kongresszentren in der Stadt ist. So gut wie die Stadt bei den Hotels aufgestellt ist, so defizitär ist sie bei den Veranstaltungsstätten. Weiland fordert deshalb: „Wir brauchen ein neues ICC. Eine repräsentative Kongressanlage ist wichtig für das Image der Stadt.“

Das ehemalige Kongresszentrum liegt brach und verfällt, und auch die Messehallen entsprechen längst nicht mehr den modernen Standards. Die Hallen sollen deshalb nach und nach modernisiert werden, festgehalten ist das im „Masterplan Messe“ (siehe Kasten).

Alle Beteiligten kennen die Situation und wissen also, wie fragil der Erfolg der Stadt in dem hart umkämpften Markt ist. „Wir sind in Berlin relativ gut aufgestellt“, fasst Höger die Gesamtlage deshalb trotz guter Zahlen vorsichtig zurückhaltend zusammen. Das Preis-Leistungsverhältnis sei im internationalen Vergleich besser als etwa in Paris oder London, doch nach Euphorie über den Status Quo klingt das nicht so recht.

Der BER wird zum Problem

Tourismuskonzept und Masterplan sind langfristige Strategiepapiere, akut sorgt sich Höger um ein anderes Thema, das auch für die anderen Tourismusbereiche eine gewichtige Rolle spielt: „Die internationale Anbindung der Stadt ist ein Problem. Es gibt zu wenige Direktverbindungen.“ Frankfurt oder München seien da deutlich besser aufgestellt. Noch habe es deshalb zwar keine unmittelbar negativen Rückmeldungen gegeben, aber auf Großveranstaltungen wie der IFA oder der ITB sei das regelmäßig Thema. Ursache Nummer eins ist das endlose Warten auf den BER, das sich nach aktuellem Stand noch mindestens bis 2021 hinziehen dürfte.

Verschärfend kommt nun die Pleite von Air Berlin hinzu, die auch den Tourismus insgesamt trifft. „Die internationale Anbindung ist teilweise unterbrochen. Ob die in der Form wiederhergestellt wird, ist zweifelhaft. Dadurch wird es teurer, und dann gehen die Menschen eben woanders hin. Wie Wasser – das sucht sich auch seinen Weg. Und wenn der eine zu schwierig ist, nimmt es eben einen anderen“, sagt Weiland vom Dehoga Berlin.

Immerhin ein Argument hat Berlin Städten wie München oder Frankfurt voraus: „Die Stadt selbst ist interessanter als andere“, sagt Emanuel Höger. Und irgendwie gehört es ja mittlerweile schon zu Berlin dazu, dass der ICC vor sich hin bröckelt und es sich am BER mal wieder verschiebt. Nur gut, dass dort keine Kongresse geplant sind.

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