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Viel Arbeit fürs Geld. Im Zuge der Arbeitsmarkt-Liberalisierung ist der Niedriglohn-Bereich in Deutschland stark gewachsen.

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Update

OECD-Kritik an großer Koalition: "Deutschland muss jetzt handeln"

Die Ärmsten haben nichts vom Aufschwung: OECD-Generalsekretär Gurría findet deutliche Worte für die deutsche Politik. Wirtschaftsminister Gabriel kann der Kritik etwas abgewinnen.

Es seien die schönsten eineinhalb Stunden seines Arbeitstages, ließ Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die Journalisten wissen. OECD-Generalsekretär Angel Gurría sei ein höchst unterhaltsamer und humorvoller Gesprächspartner. Dabei hatte Gurría zuvor bei der Vorstellung des Länderberichts der Industriestaatenorganisation eher deutliche als freundliche Worte gefunden. Zwar habe sich die deutsche Wirtschaft in den jüngsten Krisen „bemerkenswert widerstandsfähig“ gezeigt, was unter anderem eine Folge der unter Rot-Grün eingeleiteten Hartz-Reformen sei. „Um nachhaltige Erfolge zu erzielen, muss der Reformprozess aber gerade auch in guten Zeiten weitergehen“, mahnte der Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) am Dienstag in Berlin. „Für Deutschland heißt das: Das Land muss jetzt handeln.“

Gurría lobt den Mindestlohn

In ihrem jüngsten Bericht stellt die Organisation fest, dass der Niedriglohnsektor in den vergangenen Jahren stark gewachsen sei und der Anteil befristeter Beschäftigung zugenommen habe. Sinkende Arbeitslosigkeit führe in Deutschland nicht zu sinkendem Armutsrisiko – im Gegenteil. Mit 37 Prozent sei der Anteil der privaten Haushalte ohne Vermögen verhältnismäßig hoch, heißt es in dem Bericht.

In diesem Zusammenhang lobte Gurría ausdrücklich eines der großen Projekte der großen Koalition. „Die Pläne der Bundesregierung zur Einführung eines Mindestlohns sind zu begrüßen“, sagte der Mexikaner auf Deutsch – um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen. Die vom kommenden Jahr angestrebte Untergrenze von 8,50 Euro sei niedrig genug, um den Wirtschaftsstandort nicht unattraktiver zu machen, und hoch genug, um als Sicherungsnetz ein Abrutschen der Beschäftigten unter die Armutsgrenze zu verhindern.

Zugleich plädiert die OECD für fairere Steuern und niedrigere Sozialbeiträge, vor allem für Geringverdiener. Steuersubventionen sollten gestrichen und das umstrittene Rentenpaket von Union und SPD aus Steuermitteln finanziert werden – und nicht über die Sozialkassen. Angesichts der alternden und zugleich schrumpfenden Bevölkerung müsse Deutschland zudem die Schulbildung stark verbessern und mehr Frauen ermöglichen zu arbeiten. Staatliche Ausgaben insbesondere für die Kinderbetreuung müssten deshalb wachsen.

Gabriel: Kritik ist hilfreich

Wirtschaftsminister Gabriel betonte, sein Haus empfinde auch die kritischen Passagen über soziale Ungleichheit und die Gefahr einer Spaltung des Arbeitsmarkts als „hilfreich“. Deutschland bewege sich jedoch bereits in die richtige Richtung. Als Beispiel führte der Wirtschaftsminister die Löhne und Gehälter an. Diese entwickelten sich wieder positiv – in der Größenordnung von Inflationsrate und Produktivitätszuwachs.

Für das laufende Jahr erwartet die OECD für Deutschland ein Wachstum von 1,9 Prozent. Kommendes Jahr könnte das Bruttoinlandsprodukt gar um 2,3 Prozent zulegen. Der Länderbericht erscheint alle zwei Jahre.

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