zum Hauptinhalt
Viele Flüchtlinge kommen zu den Tafeln, wie hier in Laatzen bei Hannover. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

© dpa

Weniger für die Ärmsten: Essen bei den Tafeln reicht nicht für alle

Trotz sinkender Arbeitslosenquote kommen immer mehr Menschen zu den Tafeln. Unter ihnen sind auch viele Flüchtlinge.

Die Tafeln haben in den vergangenen zwei Jahren Aufnahmestopps verhängt, Wartelisten an die Wände geklebt, Bedürftige weggeschickt. Der Grund: Immer mehr Menschen reihen sich in die Schlangen vor den Tafeln ein, um kostenlose Lebensmittel zu kriegen. Momentan kommen 1,5 Millionen regelmäßig. Das sind doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Es scheint, als würden sehr viele Menschen in Deutschland nicht von der guten wirtschaftlichen Lage und sinkenden Arbeitslosenquote profitieren.

Seit der Wiedervereinigung war das Risiko, hierzulande arm zu werden, noch nie so hoch wie im vergangenen Jahr, sagt die Hans-Böckler-Stiftung. Jeder Sechste war gefährdet. Und weil die Zahl der Tafelnutzer im Vergleich zu 2014 um 18 Prozent zunahm, der Spendenzuwachs aber nur um zehn Prozent, sagte Jochen Brühl, Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche Tafel, am Dienstag: „Trotz angestiegener Spendenmenge bekommt jeder Einzelne im Durchschnitt etwas weniger Lebensmittel.“

Hunderttausende Flüchtlinge stehen an

Eine weitere Entwicklung: Rund 220 000 Flüchtlinge kamen im vergangenen Jahr zu den Ausgabestellen. Vor allem am Anfang habe es wegen kultureller Unterschiede und Sprachproblemen Schwierigkeiten gegeben. So hätten syrische Männer Probleme damit gehabt, Hilfe von Frauen anzunehmen. Manche hätten Lebensmittel aus religiösen oder kulturellen Gründen nicht angenommen. Altkunden befürchteten, die Flüchtlinge nähmen ihnen etwas weg. Außerdem hätten viele Tafeln ihren neuen Kunden zunächst klarmachen müssen, dass Tafeln keine staatlichen Einrichtungen seien und sie keinen Anspruch auf Lebensmittel hätten. „Unser Problem sind aber nicht die Flüchtlinge, sondern es ist die Armut“, sagte Brühl mit Blick auf die Gesamtbevölkerung.

Schon vor drei, vier Jahren habe Brühl die Regierung darauf hingewiesen, dass immer mehr Flüchtlinge kämen. Ohne irgendeine Reaktion. Dass die Menschen aus Syrien und Afghanistan Tafeln nutzen, erklärte Brühl mit einer „mangelhaften Versorgung“ in den Unterkünften und dem Wunsch, mal rauszukommen, mit anderen zu sprechen. Bei Flüchtlingen, die in Wohnungen untergebracht seien, reiche die staatliche Unterstützung oft nicht aus – wie das bei Hartz-IV-Empfängern der Fall sei. Mittlerweile habe sich die Situation entspannt. Es gebe Dolmetscher und mehrsprachiges Informationsmaterial. Die Vorurteile langjähriger Kunden seien einem größeren Verständnis gewichen. Und: In 40 Prozent der Tafeln packen Flüchtlinge mit an und arbeiten als Ehrenamtliche. Tendenz steigend.

Fremdenfeindliche Kommentare und E-Mails

Statt der Verteilungsdebatte beobachte Brühl allerdings immer mehr „Versuche von außen, einen Keil zwischen die Ärmsten in diesem Land zu treiben.“ Vor Ort hätten Mitarbeiter NPD-Ortsgruppen weggeschickt, nach den Ausschreitungen in der Kölner Silvesternacht eine Bürgerwehr. Bei Facebook gebe es immer mehr rassistische Kommentare, wie „deutsche Lebensmittel für deutsche Arme“. Das Redaktionsteam reagiere darauf, nehme zum User Kontakt auf oder lösche den Post. In E-Mails kündigten Spender an, wegen der Flüchtlinge nicht mehr zu helfen. Wieder betonte Brühl: „Bereits vor der sogenannten Flüchtlingskrise sind immer mehr Menschen zu den Tafeln gekommen.“ Allein der Anteil der Rentner ist von 2007 bis 2014 von zwölf auf 24 Prozent gestiegen.

Die Idee der Tafeln stammt aus den USA. In Deutschland wurde die erste Tafel 1993 von der Initiativgruppe Berliner Frauen gegründet. Waren es 2002 gut 300 Tafeln, gibt es heute bundesweit etwa 900 mit rund 2100 Läden und Ausgabestellen. Die Nachfrage ist da. Und wird mehr. Neben Rentnern und Geringverdienern kommen vor allem Langzeitarbeitslose. Wobei es sich sehr oft um alleinerziehende Frauen und Migranten handelt. Knapp ein Viertel der Nutzer sind Kinder und Jugendliche. Jedes siebte Kind lebt hierzulande von Hartz IV.

Politik dürfe Hilfe nicht überzustrapazieren

Damit sich die Situation jener Menschen, die von ihrem Geld nicht leben können, verbessert, fordert der Verband einen Bundesbeauftragten zur Bekämpfung von Armut, eine bedarfsgerechte Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze und eine kostenloses Mittagsverpflegung für alle Kinder. Im Kontext der Flüchtlingsintegration wirbt der Verband außerdem für Antirassismusprojekte und möchte eine sachlichere Debatte. Die Organisation mahnt die Politik, die Angebote der Tafeln nicht überzustrapazieren „Verliert die Regierung die Ärmsten weiter aus ihrem Blickfeld, droht der gesellschaftliche Unfriede“, sagte Brühl.

Die Tafeln finanzieren sich ausschließlich durch Spenden und Mitgliedsbeiträge. Hin und wieder gibt es Kleidung und Bücher. Einige Stellen bieten warme Mahlzeiten an. Hauptsächlich bekommen die Tafeln aber Obst, Gemüse, Backwaren und Konserven. Von Discountern, dem Handel und Restaurants. Mal haben sie zu viel im Lager und wollen etwas loswerden, mal haben ihre Produkte ein bald endendes Mindesthaltbarkeitsdatum oder kleine Schönheitsfehler. 2015 verteilten die Tafeln 215 000 Tonnen. Die Hälfte von ihnen klagte, die Mengen reichten nicht aus. Im gleichen Jahr warf jeder einzelne Bürger 80 Kilogramm an Lebensmitteln in den Müll.

Zur Startseite