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Ein ICE unterwegs.

© Reuters

Neue ICE-Trasse: In vier Stunden von Berlin nach München

Das letzte große Verkehrsprojekt im Zuge der deutschen Einheit steht nach rund 25 Jahren vor dem Abschluss: Mit der neuen ICE-Trasse Berlin-München.

Superlative gehören nicht zum Alltag der Deutschen Bahn. Am Freitagmorgen ist das anders. "Willkommen zu dieser Weltpremiere", begrüßt Vorstandschef Richard Lutz die Passagiere an Bord des ICE "Wittenberge", der eine ganz besondere Reise unternimmt. Zum ersten Mal sind exklusiv geladene Fahrgäste auf der neuen Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Erfurt und Ebensfeld bei Bamberg unterwegs. Die Premierenfahrt führt über einen Teil des Verkehrsprojekts Deutsche Einheit Nummer 8 (VDE 8). Auf der schnellen VDE8-Verbindung wird sich die Fahrtzeit von Berlin nach München bald von sechs auf vier Stunden verkürzen, mit Geschwindigkeiten von maximal 300 Stundenkilometern.

VDE 8 ist das größte Infrastrukturprojekt in der Geschichte der Deutschen Bahn, verbunden mit der größten Fahrplanumstellung seit Jahrzehnten, zehn Milliarden Euro schwer, 1991 von der damaligen Bundesregierung beschlossen und seitdem in wechselvoller Geschichte politisch umstritten, mal gefeiert, mal verhasst, mit Jahre langen Unterbrechungen - und nun, nach mehr als einem Vierteljahrhundert kurz vor der Vollendung. "Die Strecke ist voller Premieren, Superlativen und Innovationen", verspricht Lutz. Die politischen Turbulenzen, die seine Vorgänger bei VDE8 erlebten, bleiben dem seit März amtierenden Bahn-Chef erspart.

22 Tunnel und 29 Talbrücken

Der 107 Kilometer lange Abschnitt durch Thüringen mit 22 Tunneln und 29 Talbrücken geht in 177 Tagen ans Netz. Die Bahn zeigt sie schon jetzt, weil sie stolz ist. Zeigt das Vorhaben doch: der Staatskonzern kann Großprojekte, Stuttgart 21 ist weit weg, hier im Thüringer Wald geht es planmäßig voran. "Die Strecke wird pünktlich fertig und liegt exakt im Kostenrahmen", sagt Lutz. Drei Milliarden Euro hat die baulich sehr anspruchsvolle Verbindung zwischen Erfurt und Ebensfeld gekostet. "Seit 2006 gibt es Kostenabweichungen von drei bis sechs Prozent. Das ist ein respektabler Wert in Deutschland", fügt VDE8-Projektleiter Olaf Drescher hinzu, den sie bei der Bahn "Mister VDE8" nennen.

Von einem "historischen Fortschritt" für Deutschland spricht der Bahn-Chef. Rund 17 Millionen Einwohner und potenzielle Kunden würden direkt oder indirekt von diesem "Projekt der Superlative" profitieren. Voran bringen soll VDE8 aber vor allem die Bahn, die mit der neuen Rennstrecke den Fluggesellschaften Kunden abjagen will. Aktuell hat der Schienenkonzern auf der Verbindung Berlin-München nur einen Marktanteil von 20 Prozent am Verkehrsaufkommen (Auto und Airlines), 40 Prozent haben sich die Bahn-Strategen dem Vernehmen nach vorgenommen. Dabei sollen auch mehr Geschäftsreisende auf die Schiene gelockt werden. Gegenüber dem Pkw sei die Bahn "unschlagbar", sagt Lutz. "Und im Vergleich zum Flugzeug von City zu City die bessere Alternative." Die Airlines, versichert man sich intern, "werden unter Druck geraten".

Im Zwei-Stunden-Takt über Berlin

Täglich drei extra-schnelle ICE Sprinter pro Richtung sollen ab Mitte Dezember von Berlin nach München und zurück fahren. Gehalten wird nur in Halle, Erfurt und Nürnberg. Wer aus Hamburg kommt, kann über Berlin im Zwei-Stunden-Takt mit dem ICE nach München fahren. Vom Fahrplanwechsel profitieren auch Reisende von Berlin nach Frankfurt (Main), die künftig zwei Mal pro Stunde fahren können. Erfurt wird zum neuen Bahn-Hotspot des Ostens: Mit 90 Zugabfahrten pro Tag verdoppeln sich die Fernverkehrshalte. Ob man schon ein Grundstück in Erfurt gekauft habe, fragen die Bahner zum Spaß.

Auf dem Abschnitt zwischen Erfurt und Ebensfeld fällt der Blick auf die baumreichen Täler und Höhenzüge des Thüringer Waldes - wenn der Zug nicht gerade durch einen Tunnel rauscht. 8,3 Kilometer misst der längste. Die Hälfte der 107 Kilometer verläuft unter der Erde oder auf Brücken. Für die Bahn war dies neben den zahlreichen bautechnischen Herausforderungen auch eine Rechenaufgabe. "Brücken kosten ein Drittel weniger als Tunnel", sagt Olaf Drescher. Und die Züge müssen hoch hinaus, bei jedem Wetter. Streckenweise auf einer Höhe von 600 Meter geht es durch schneesicheres Gebiet, wie Drescher erklärt. "Dafür gibt es in Deutschland keine Beispiele." Der nächste Winter wird zeigen, wie die ICEs damit klar kommen.

150 Testfahrten hat die Bahn seit Mitte Mai absolviert, 1000 sollen es bis November noch werden. Samstags laufen derzeit mit bis zu 700 Teilnehmern Rettungsübungen für den Ernstfall. Angepasst werden müssen Züge und Infrastruktur an das moderne europäische Zugbeeinflussungssystem ETCS - klassische Signale gibt es nicht mehr, alles läuft über Funk und Sensoren an Gleisen und Zügen. Im November werde es einen "großen Putztag" geben, berichtet Olaf Drescher, bevor die Strecke dann freigegeben und zum Fahrplanwechsel am 10. Dezember in den Regelbetrieb übergehen wird. Tickets können ab Mitte Oktober gebucht werden. Zu den Preisen will sich die Bahn noch nicht äußern

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