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Negative Strompreise sind ein Zeichen für zu wenig Flexibilität im System. Wenn viel Wind eingespeist wird und konventionelle Kraftwerke weiterlaufen, rutschen an der Strombörse die Preise ab.

© Marcus Brandt/picture alliance / dpa

Negative Strompreise: Pfingst-Fluch an der Strombörse

Am Pfingstwochenende hat es wieder negative Strompreise gegeben. Die Sonne schien zwar nur spärlich, aber der Wind wehte umso heftiger. Die Preise sanken allerdings nicht auf Muttertagsniveau.

Pfingsten wird von Energieexperten immer mit Spannung erwartet. Diese Feiertage bieten ideale Voraussetzungen für negative Preise an der Leipziger Strombörse: Die Industrie macht Pause, die Stromnachfrage ist gering, und oft scheint die Sonne. In diesem Jahr hätte das Wetter diesen Mechanismus bremsen können. Die Sonne schien in Süddeutschland wegen Dauerregens wenig und im Norden fiel das Wochenende auch bewölkt aus. Allerdings wehte an der Küste eine steife Brise. Die Windeinspeisung ins Stromnetz fiel also relativ hoch aus. Am Sonntag rutschte der Strompreis dann tatsächlich für vier Stunden ins Negative. Zwischen 14 und 15 Uhr kostete es 35,02 Euro, Strom anzubieten.

Am Muttertag, dem ein Feiertag, ein Brückentag und ein Samstag vorausgingen, rutschten die Strompreise für sieben aufeinanderfolgende Stunden ins Negative. Das heißt: Wer Strom ins Netz eingespeist hat, hat seine Kunden dafür bezahlen müssen, dass sie ihm den Strom abnehmen. Zwischen 14 und 15 Uhr lag der Preis mit minus 130,09 Euro pro Megawattstunde am tiefsten. 2015 hatte es in 126 Stunden negative Strompreise gegeben, 2014 und 2013 waren es 64.

Negative Strompreise sind eine rationale Marktreaktion

Im Dezember 2015 haben vier Institute unter Federführung des Fraunhofer-ISI dem Wirtschaftsministerium eine Studie zu negativen Strompreisen vorgelegt. Dazu haben die Autoren drei Tage mit negativen Strompreisen genauer untersucht. Darin schreiben die Autoren: „Das Auftreten negativer Strompreise ist zunächst Ergebnis rationaler Entscheidungen der Akteure.“ Welche Gründe es gibt, konventionelle Kraftwerke weiterlaufen zu lassen, wenn der dort erzeugte Strom kein Geld mehr bringt, lässt sich in einer Studie nachlesen, die die vier Übertragsungsnetzbetreiber in Auftrag gegeben hatten und die seit Ende April vorliegt. Das Beratungsunternehmen Consentec hat festgestellt, dass 25 bis 30 Gigawatt konventioneller Kraftwerksleitung auch dann am Netz bleiben, wenn die Strompreise ins Negative rutschen. Acht bis 18,5 Gigawatt werden demnach gebraucht, um die Spannung im Höchstspannungsnetz stabil zu halten. Es sind Kraftwerke, die angeschaltet werden, wenn vor einem Netzengpass zu viel Strom eingespeist wird. Damit sich das wieder ausgleicht wird dort die Einspeisung gedrosselt und hinter dem Engpass erhöht. Der Fachbegriff dafür lautet Redispatch.

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Für mehr als zehn Gigawatt konventioneller Leistung haben die Consentec-Autoren aber keine technische Begründung finden können. Sie vermuten, dass die Eigenerzeugung für Industrieanlagen einen Anteil an dieser überschüssigen Leistung hat. Erzeugt eine Kraft-Wärme-Kopplungsanlage Prozesswärme für eine Fabrik, ist der Strom quasi ein Abfallprodukt, das weiter erzeugt wird. Das gleiche gilt für Blockheizkraftwerke, die der Wärme- und Warmwassererzeugung in Häusern dienen. Ein weiterer nicht näher quantifizierbarer Anteil sind Kraftwerke, die im Minimalbetrieb gefahren werden, um sie nicht ausschalten zu müssen. Denn danach dauert es Stunden, bis sie wieder ans Netz gehen können. Auch für diese Betreiber ist es rational für den erzeugten Strom zu bezahlen.

Wie viele konventionelle Kraftwerke müssen laufen?

Die grüne Abgeordnete Julia Verlinden (Grüne) wollte von der Bundesregierung genauer wissen, wie hoch sie diese sogenannte konventionelle Mindesterzeugung (Must-Run-Kapazität) einschätzt. Uwe Beckmeyer (SPD), Staatsekretär im Wirtschaftsministerium, antwortete, dieser Anteil „kann nicht pauschal beziffert werden“. Weiter schreibt er in der Antwort, die dem Tagesspiegel vorliegt: „Die Verringerung der konventionellen Mindesterzeugung ist grundsätzlich ein mittel- bis langfristig angelegter Prozess.“ Julia Verlinden sagt dazu: „Minister Sigmar Gabriel konzentriert sich lieber darauf, den Ausbau der Erneuerbaren Energien abzuwürgen, statt die überschüssigen Must-Run-Kapazitäten bei Kohle und Atom zu verringern.“ Hermann Falk, Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbarer Energien (BEE) sieht darin vor allem ein Zeichen dafür, dass „unflexibler Strom aus Braunkohlemeilern“ und Atomkraftwerken die Netze verstopfe. „Wind- und Solarstrom wird abgeregelt, während Atom- und Braunkohlekraftwerke ungebremst weiterlaufen“, kritisiert er.

Abgeregelte Windräder bekommen eine Vergütung. Darauf hat Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) nach dem Gipfel zum Erneurbaren-Energien-Gestz (EEG) im Kanzleramt am Donnerstagabend angespielt, als er die Behauptung in die Welt setzte, „ein Großteil dieser Energie wird vernichtet“. Das lässt sich allerdings aus den Statistiken der Bundesnetzagentur nicht ablesen. Nach Angaben der Bundesnetzagentur sind 2014 insgesamt 162,4 Terawattstunden Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt worden. Davon konnten 1,17 Terawattstunden nicht eingespeist werden. Die Entschädigung dafür lag bei knapp 82,7 Millionen Euro. Bei einer Gesamtumlage von knapp 24 Milliarden Euro ein überschaubarer Betrag. Für 2015 liegen noch keine Zahlen der Behörde vor.

Keine Vergütung mehr bei negativen Preisen

Seit diesem Jahr bekommen seit 2014 neu gebaute Windräder oder Solaranlagen ab einer Leistung von 500 Kilowatt keine Vergütung mehr, wenn die Strompreise ins negative kippen. Der Vermarkter für erneuerbare Energien Statkraft, der 7700 Megawatt Wind- und 700 Megawatt Solarenergie zu einem virtuellen Kraftwerk zusammengeschaltet hat, hat am 8. Mai deshalb 3000 Megawatt Windstrom aus dem System genommen. Das habe den Stromkunden fünf Millionen Euro in der Ökostromumlage erspart, rechnet Statkraft vor. Das Beratungsunternehmen Energy Brainpool hat ausgerechnet, dass weitere 1500 Megawatt hätten aus dem System genommen werden können, was weitere 800 000 Euro Umlage gespart hätte.

Martin Grundmann, Geschäftsführer der Arge Netz, die Windräder, Solar- und Biogasanlagen mit einer Leistung von 3500 Megawatt zu einem virtuellen Kraftwerk zusammengefasst hat, sieht diese Regelung kritisch. „Es wird für Windprojekte schwieriger bei den Banken Kredite zu bekommen“, sagt er. Der Ausfall von Vergütungen bei negativen Strompreisen und die wachsende Zahl von abgeregelten Stunden, machten eine Kalkulation immer schwieriger. Und der Vergütung abgeregelter Stunden liefen die Betreiber oft monatelang hinterher, berichtet er.

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