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Konzernboss: Der zauberhafte Herr Tata

Scheu, charmant, tollkühn – wie der Inder Ratan Tata zu einem der mächtigsten Manager der Welt wurde, der nun nach den britischen Kronjuwelen greift.

Manchmal sieht man ihn abends in einem der Restaurants des Bombayer Nobelhotel Taj Mahal speisen, allein und schweigend über seinen Teller gebeugt. Man schaut zweimal hin, bevor man glaubt, wen man da vor sich hat: Ratan Tata ist einer der mächtigsten Konzernbosse Asiens, eine Art Nationalheld unter den Unternehmern Indiens. Und eine der Ausnahmepersönlichkeiten des Landes.

Nun hat es Ratan Tata wieder einmal allen gezeigt. Vor allem dem Westen und den ehemaligen britischen Kolonialherren, die 60 Jahre nach ihrem Abzug aus Indien „verkehrte Welt!“ rufen und nicht so recht verstehen, was da Unerhörtes geschieht: dass nun ein Inder die altehrwürdigen Luxusmarken Jaguar und Land Rover aufkauft und damit quasi nach den britischen Kronjuwelen greift. 2,3 Milliarden Dollar will sich Tata den Zukauf der Prestigemarken kosten lassen. Und Indien platzt beinahe vor Stolz. „Jaguar ist nun ein indisches Raubtier“, frohlockte die „Times of India“.

Es ist nicht das erste Mal, dass Ratan Tata den Westen und die früheren Kolonialherren verblüfft. Bereits vor sieben Jahren schluckte Tata die britische Teefirma Tetley Tea. Anfang 2007 erwarb der indische Konzern die Firma Corus, die als British Steel einst ebenfalls zu den Nationalschätzen des Inselreichs zählte. Und ganz nebenbei beglückte Ratan Tata die Autowelt mit dem billigsten Wagen aller Zeiten, dem Zwergflitzer Nano, und führte so die großen, etablierten Autohersteller vor. Sie hatten ein solches Vorhaben jahrelang als unmöglich abgetan. Das nur 1700 Euro teure Volksauto soll ab Herbst vom Band laufen und könnte für Millionen Menschen den Traum vom eigenen Auto wahr werden lassen.

Der 70-jährige Firmenpatriarch passt in keine Schublade. Mit seinen silbrigen Schläfen, der Adlernase und der hohen Statur strahlt er eine fast anachronistische Noblesse aus. Die Medien vergleichen ihn mit einem römischen Patrizier. Er gehört zur religiösen Minderheit der Parsen, die ebenso für ihren Geschäftssinn wie für ihre soziale und ethische Verantwortung bekannt sind. Mit den glatten, oft arroganten Konzernbossen Indiens, die gerne in Pomp und Protz schwelgen, hat er wenig gemein.

Auch in der Forbes-Rangliste der Superreichen taucht Tata nicht auf, obgleich sich inzwischen schon vier Inder unter den ersten zehn tummeln: der Stahlbaron Lakshmi Mittal, der sein Vermögen allerdings außerhalb Indiens machte, die verfeindeten Ambani-Brüder Mukesh und Anil, die den Familienkonzern geteilt haben, sowie der indische Immobilienbaron Kushal Pal Singh.

Dabei könnte Ratan Tata die anderen wohl leicht überflügeln. Immerhin ist die Tata-Gruppe der größte Privatkonzern Indiens. Doch die Profite fließen nicht in seine eigene Tasche, sondern vor allem in die vielen gemeinnützigen Stiftungen der Tata-Gruppe. Das Credo „Eigentum verpflichtet“ ist für Tata kein Lippenbekenntnis. Auch dafür lieben und schätzen ihn die Inder. Der 70-Jährige ist zugleich, wie er selbst einräumt, „ziemlich schüchtern“ und gilt als Einzelgänger. Wenn er vor vielen Menschen auf der Bühne steht oder Pressekonferenzen gibt, merkt man, wie unwohl er sich im Scheinwerferlicht fühlt. Und gerade dies nimmt für ihn ein, macht ihn sympathisch. Seine tadellosen Manieren sind ebenso Legende wie seine Bescheidenheit. Er trinkt nicht und raucht nicht.

Der Junggeselle, der Architektur und Wirtschaft studiert hat, lebt zurückgezogen in der Finanzmetropole Bombay, noch immer in einer mit Büchern und CDs gefüllten Wohnung eine Etage unter der seiner Stiefmutter. Er lässt sich nicht mit einer Nobelkarosse zur Arbeit chauffieren, sondern fährt selbst, einen Tata Sedan. Seine Wochenenden verbringt er am liebsten mit seinen beiden Schäferhunden in einem Haus am Strand, das er selbst entworfen hat.

Doch der scheue Magnat hat auch eine andere, eine abenteuerlustige, wagemutige, tollkühne Seite. Und die lebt er in seinen Hobbys aus. Er liebt alles, was schnell ist. Schnelle Autos, schnelle Boote und schnelle Flugzeuge. Noch mit 70 Jahren steuert er bisweilen den Firmenjet oder -hubschrauber eigenhändig. Und vergangenes Jahr setzte er sich mit einem damals 69-jährigen Freund als Copilot ans Steuer eines Kampffliegers F-16. Auch im Geschäft scheut Indiens Lieblingsunternehmer Risiken nicht.

Im Westen mag die Marke Tata noch kein Begriff sein, aber in Indien ist sie seit langem allgegenwärtig. Inder tragen Tata-Uhren, trinken Tata-Tee, fahren Tata-Laster und Tata-Autos, machen Licht mit Tata-Strom, telefonieren mit dem Telekom-Anbieter Tata und übernachten – wenn sie es sich leisten können – in Tata-Hotels. Fast 100 Tochterfirmen hat der Mischkonzern, der heute in 85 Ländern aktiv ist. Das US-Magazin „Fortune“ zählte ihn kürzlich zu den 25 einflussreichsten Managern der Welt.

Ratan Tata entstammt altem indischen Unternehmer-Adel – der Tata-Konzern zählt zu den großen, traditionsreichen Familienimperien auf dem Subkontinent. Sein Urahn, der Parse Jamsetji Tata, legte 1868 den Grundstein für das Weltunternehmen, als er noch zu Zeiten der britischen Kolonialherrschaft in Bombay eine Textilfirma startete. Später baute Tata das erste Wasserkraftwerk des Landes, 1907 das erste Stahlwerk in Indien.

Vor rund 17 Jahren übernahm Ratan Tata das Unternehmenskonglomerat von seinem Onkel Jehangir Tata. Er straffte die Gruppe zunächst, bevor er auf Weltkurs steuerte. Seit Jahren kauft er kräftig im Ausland ein, um aus dem indischen Konzern einen Global Player zu machen. Unter seiner Ägide verneunfachte sich der Umsatz auf 28,8 Milliarden Dollar im Jahr 2007. Doch laute Töne vermied der Herr über 289 000 Beschäftigte immer, er verfolgte seine Strategie der Globalisierung lieber still und leise. Dennoch scheint es, als treibe ihn ein gewisser Patriotismus – bei seinen Shopping-Touren durch die Firmenwelt nahm er immer wieder gerne britische Schmuckstücke ins Visier.

Auch bleibt er der Firmenphilosophie treu, die schon sein Urahn Jamsetji Tata begründete. Dem Pionier der indischen Industrialisierung zufolge soll der Konzern nicht nur Profit bringen, sondern auch daran mitwirken, ein unabhängiges, modernes Indien zu schaffen. Auch das Taj Mahal Hotel in Bombay, in dem Ratan Tata bisweilen speist, ist in diesem Geist entstanden. Angeblich hatte man einst Jamsetji Tata unter den britischen Kolonialherren den Zutritt zu einem Hotel verwehrt, weil er kein Weißer war. Der Urahn Tatas erbaute daraufhin 1903 kurzerhand ein eigenes Hotel, das Taj Mahal, das die anderen Nobelherbergen in den Schatten stellte. Bis heute ist es das Symbol indischen Stolzes.

Christine Möllhoff[Neu-Delhi]

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