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Ein Steuerrad erhält der neue Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis (links), 2009 nach seiner ersten Wahl von Vorgänger Hubertus Schmoldt.

© DPA

Kongress der IG Bergbau, Chemie, Energie: Kurs auf Jamaika

Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis kann gut mit Christian Lindner. Aber auch Angela Merkel, Jürgen Trittin und Martin Schulz kommen zum Gewerkschaftstag.

Martin Schulz ist auch wieder da. Vor vier Jahren sprach der SPD-Mann, damals Präsident des Europaparlaments, zur Eröffnung des Gewerkschaftskongresses der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) über die Bedeutung der EU. In der kommenden Woche ist Schulz zum Schluss dran, wenn am Freitag der Kongress der drittgrößten Gewerkschaft zuende geht. Und wie es sich gehört für eine Organisation, die eng mit der Politik verbandelt ist, tritt bis dahin auch die Bundeskanzlerin auf und andere Parteiprominenz. Sogar Christian Lindner steht auf dem Programm, mit dem und dessen Partei die meisten Gewerkschaften nicht viel anfangen können. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Linke sind "Kommunisten"

Michael Vassiliadis hat in den vergangenen Jahren einen Draht entwickelt zum FDP-Vorsitzenden, der dem IG-BCE- Chef auf jeden Fall näher steht als die Spitzenleute der Linken, die Vassiliadis bisweilen als „Kommunisten“ beschimpft. Dem Gewerkschafter, Jahrgang 1964 und seit 1981 SPD-Mitglied, geht schwer auf den Geist, wie sich die Linke an seiner SPD abarbeitet und überhaupt eine Regierungsperspektive links von der Union verstellt. Dann doch lieber FDP. „Der Austausch mit Christian Lindner funktioniert“, sagt Vassiliadis. Und „das Verhältnis zu Angela Merkel ist gut“. Bleiben die Umweltschützer, die mit ihren permanenten Attacken auf die Kohle ein Kerngeschäftsfeld der IG BCE angreifen. „Was den Dialog mit den Grünen betrifft, waren wir schon einmal weiter“, sagt Vassiliadis im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Beim letzten Mal gab es 99,2 Prozent

Am kommenden Dienstag wird der gelernte Chemielaborant zum dritten Mal an die Spitze der Gewerkschaft gewählt. Vassiliadis wird sich verschlechtern, denn die 99,2 Prozent vom letzten Mal sind normalerweise nicht zu toppen. Vielleicht aber doch, Martin Schulz landete ja sogar bei 100 Prozent. Und Vassiliadis, der vor acht Jahren Hubertus Schmoldt ersetzte, ist bewährt und beliebt und sowieso ohne Alternative. Auf zwei Gebieten bewegt er sich erfolgreich. Zum einen als Lobbyist auf dem Berliner Parkett. „Wir sind als Organisation mit den von uns betreuten Wirtschaftsbereichen ganz stark von Entscheidungen der Politik abhängig“, sagt Vassiliadis, der ständig zwischen der IG-BCE-Zentrale in Hannover und Berlin pendelt. „Wenn wir irgendwo hinkommen, ist Vassiliadis schon da“, heißt es respektvoll bei der IG Metall über die Präsenz des Chemie-Kollegen im Regierungsviertel. Das Hauptspielfeld ist jedoch die Tarifpolitik.In den Jahren nach der Finanzkrise gab es ordentlich Geld für die 650 000 Mitglieder der IG BCE. „Wir hatten verteilungspolitisch eine gute Zeit“, sagt Vassiliadis. „In den erfolgreichen Branchen sind gute Tarife möglich.“ Den Chemie- und Pharmafirmen geht es gut. Bei den Energieversorgern hat sich das allerdings gravierend verändert in den Zeiten der Energiewende. „Wir haben einen Ausstiegsbeschluss nach dem anderen vor der Brust.“ Der Ausstieg funktionierte bislang, ob bei Steinkohle oder Atomkraft, ziemlich sozialverträglich. „So brutal wie anderswo hat bei uns noch niemand auf der Straße gestanden", sagt Vassiliadis. Das erklärt sich wiederum auch mit der besonderen Stellung der Chemiegewerkschaft im deutschen Tarifsystem.

Arbeitskämpfe gibt es nicht in der Chemie

Anfang der 1970er Jahre verlor die damals ziemlich links orientierte Organisation einen Arbeitskampf. Eine Zäsur, die einen Richtungswechsel bewirkte. Die IG Chemie-Papier-Keramik unter der Führung des ehemals linken Flügelmannes Hermann Rappe rückte nach rechts: von der Konfrontation über die Kooperation zur Sozialpartnerschaft. Arbeitskämpfe gibt es seitdem nicht mehr. Im Gegenteil: Gewerkschaft und Arbeitgeber bemühen sich gemeinsam um optimale Standortbedingungen. Der Einfluss der Gewerkschaft wuchs. Um nur einige Beispiele zu nennen: Ohne Rappes Einwirken auf Bundeskanzler Helmut Kohl hätte die Chemie in Mitteldeutschland rund um Leuna und Bitterfeld die Wende nicht so gut überstanden. Und ohne die Gewerkschaft, die in den 1990er Jahren mit der IG Bergbau-Energie fusionierte, wären die subventionierten Zechen im Ruhrgebiet viel früher geschlossen worden; die Beihilfen für die Steinkohle laufen erst Ende 2018 aus. So ähnlich stellt sich Vassiliadis auch den Abschied von der Braunkohle vor. „Wir können Strukturwandel und haben keine Angst vor der Diskussion über die Zukunft der Braunkohle.“ Allein in der Lausitz arbeiten rund 8000 Personen in der Kohle.
Er weiß, was auf ihn zukommt, zumal bei einer Regierungsbeteiligung der Grünen, die sobald als möglich die Förderung und Verfeuerung der Kohle stoppen wollen. Der Brennstoff ist zwar der einzige relevante fossile Energieträger hierzulande und im Tagebau kostengünstig zu gewinnen. Doch die Kohle ist feucht, und deshalb entstehen bei der Verbrennung deutlich mehr Kohlendioxide (CO 2) als zum Beispiel in Gaskraftwerken.

In Sorge um die Braunkohle

„Wir werden darauf achten, dass diejenigen, die einen Ausstieg zu verantworten haben, auch für die Folgekosten aufkommen. Beim Atomausstieg war das nicht der Fall“, sagt Vassiliadis. Auch deshalb hat er schwere Jahre hinter sich. Besonders zu schaffen gemacht hat ihm Staatssekretär Rainer Baake aus dem Wirtschaftsministerium. Als der SPD-Minister Sigmar Gabriel den Grünen Baake zu Beginn der vergangenen Legislatur auf den Posten berief, waren Vassiliadis und die Wirtschaftspolitiker in den Kohleländern NRW, Brandenburg und Sachsen fassungslos. Anderthalb Jahre später bestätigten sich die Befürchtungen, als Baake einen so genannten Klimabeitrag zulasten alter Kraftwerke vorschlug und damit das erste Sterbeglöcklein für die Braunkohlewirtschaft zu läuten versuchte. Am Ende verhandelte Vassiliadis auch im Auftrag der drei Kohleländer mit Gabriel. Baake wurde schließlich nach einem zähen Prozess ausbremst. „Ich war häufiger als Feuerwehrmann in der Politik unterwegs“, erinnert sich Vassiliadis an die große Koalition.
Der Gewerkschafter ist pragmatisch und ziemlich ideologiefrei, aber keineswegs konfliktscheu. Das gilt für den Umgang mit Arbeitgebern, Politikern und DGB-Kollegen. Die Auseinandersetzungen mit Verdi-Chef Frank Bsirske (Mitglied der Grünen) über die Politik der SPD, die Zukunft der Kohle, Tarifeinheit und gewerkschaftliche Konkurrenz in manchen Branchen belasteten den DGB. Vassiliadis, dem vieles zu langsam geht, stellt die grundsätzliche Frage nach Rolle und Selbstverständnis des DGB, in dem die beiden Großen – IG Metall und Verdi – dominieren.

AfD erfolgreich in der Lausitz

„Wir verstehen uns als Dialogorganisation und setzen auf Vernunft und Kompromissbereitschaft“, beschreibt er die eigene Organisation. „Doch der Austausch wird schwieriger, wenn die Gesellschaft zerfällt.“ Die Einschätzung bezieht sich auf das Ergebnis der Bundestagswahl und den Erfolg der AfD. Auch deshalb beschäftigt sich an diesem Sonntag der Gewerkschaftskongress in Hannover zum Auftakt mit dem Thema Demokratie. Neben Gastgeber Vassiliadis treten der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann auf. Ohne Meinungsfreiheit und Diskursfähigkeit, ohne die Gemeinschaft von Arbeitnehmern in Betrieb und Gewerkschaft, ohne eine Kultur des Miteinanders und des ergebnisorientierten Streitens, wie es die Sozialpartner pflegen, verändere sich die Gesellschaft, meint Vassiliadis. Und sieht ganz konkrete Folgen für den anstehenden Kohlenkampf. „Der Erfolg der AfD in der Lausitz macht es nicht einfacher, Lösungen für die Braunkohlestandorte zu finden.“

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