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Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler sollen sich in geheimen Arbeitskreisen zu Technik, Kosten und Zulieferern abgesprochen haben.

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Update

Kartellverdacht: Alarm im Autoland

Gab es illegale Absprachen in der Autoindustrie? Fünf Herstellern drohen hohe Strafen und Massenklagen. Daimler könnte VW mit einer Selbstanzeige zuvorgekommen sein.

Die EU-Kommission hat bei der Aufklärung der Kartellvorwürfe gegen fünf deutsche Autokonzerne die Federführung übernommen. Direkt einschalten will sich die Bundesregierung nicht. „Die Kartellbehörden arbeiten aus gutem Grund unabhängig“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Montag. Das Bundeskartellamt erklärte, derzeit kein offizielles Verfahren zum Thema zu führen. Es lägen jedoch „Informationen“ zu möglichen Absprachen im technischen Bereich vor.

Sollten sich die Vorwürfe gegen die Autohersteller, jahrelang Kartellabsprachen getroffen zu haben, bewahrheiten, hat der Fall nach Einschätzung der Monopolkommission das Potenzial, einer der größten Kartellfälle in der deutschen Geschichte zu werden. Der Vorsitzende des Kommission, Achim Wambach, sagte dem Tagesspiegel, er rechne mit einer Klagewelle von Kunden und Zulieferern. Volkswagen rief seine Aufsichtsräte zu einer Sondersitzung am kommenden Mittwoch zusammen. An der Börse gaben die Kurse von BMW, Daimler und Volkswagen am Montag weiter nach. Umweltverbände sowie Grüne und Linke griffen die Regierung und Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) wegen Versäumnissen bei der Kontrolle der Autoindustrie an.

Forderung nach strafrechtlicher Verfolgung

„Schadensersatzklagen nach Kartellverstößen werden weiter an Bedeutung gewinnen“, sagte der Wettbewerbsexperte dem Tagesspiegel. Mit der jüngsten Novelle des Wettbewerbsrechts vom Juni dieses Jahres sei die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen erleichtert worden.

Kartellsünder sollten nach Meinung der Monopolkommission künftig härter bestraft werden. „Bisher werden Kartellabsprachen mit Bußgeldern geahndet“, sagte Wambach. „Wir sind der Auffassung, dass die handelnden Personen – wie in den USA – verstärkt strafrechtlich verfolgt werden sollten.“ Die Monopolkommission hatte außerdem in ihrem letzten Hauptgutachten eine Sektoruntersuchung der gesamten Autobranche durch das Bundeskartellamt empfohlen.

Wettbewerbsexperte Daniel Zimmer rechnet mit hohen Bußgeldern für die Autohersteller, falls sich der Verdacht bestätigen sollte. „Den Unternehmen drohen hohe Strafen im dreistelligen Millionen- bis hin zum Milliardenbereich“, sagte der frühere Vorsitzende der Monopolkommission dem Tagesspiegel. Schadenersatzklagen von Verbrauchern wegen der technischen Absprachen dürften nach Einschätzung Zimmers jedoch schwierig werden. „Die Kunden müssten nachweisen, dass ihnen durch die kleinen Harnstofftanks ein Schaden entstanden ist. Dieser Nachweis ist nicht leicht.“

Wenn ein Hersteller als Kronzeuge die Kartell-Ermittlungen entscheidend voranbringt, kann er auf den Erlass einer Geldbuße hoffen. Dafür kommt es jedoch darauf an, wer zuerst eine Selbstanzeige erstattet hat. Wie "Süddeutsche Zeitung", NDR und WDR nun berichten, soll Daimler dem Volkswagen-Konzern damit "deutlich" zuvorgekommen sein. Von VW ist eine Selbstanzeige aus dem Juli 2016 bekannt. Sollte Daimler schneller gewesen sein, könnten die Wolfsburger bestenfalls noch einen Nachlass von 50 Prozent erwarten.

Autoverband VDA warnt vor Vorverurteilungen

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) sprach am Montag von „vorsätzlich organisierter Verbrauchertäuschung“, sollte sich der Kartellverdacht bestätigen. Verbraucher dürften am Ende nicht das Nachsehen haben, sollten Strafen verhängt werden. „Denn von einer möglichen Kartellstrafe profitieren nicht die individuell betroffenen Verbraucher, sondern der Finanzminister“, sagte vzbv-Vorstand Klaus Müller.

Während das Bundeskartellamt lediglich auf neue „Informationen“ zu möglichen Absprachen im technischen Bereich verwies und vorerst kein Auto-Verfahren eröffnen will, schwiegen die betroffenen Autobauer. Lediglich BMW hatte sie am Vorabend zurückgewiesen.

Matthias Wissmann, Präsident des Autoverbandes VDA mit 600 Mitgliedsfirmen, erklärte am Montag: „Die Vorgänge beziehen sich auf ein Format, das nicht Teil des VDA und seiner Arbeit ist.“ Der Verband betonte zugleich, „illegale Absprachen ebenso wie ein Surfen in rechtlichen Grauzonen“ seien inakzeptabel. „Der Stand des Verfahrens legt es gleichzeitig nahe, mit Vorverurteilungen zurückhaltend umzugehen.“ Wissmann räumte aber ein, die Branche müsse sich „kritischen Fragen offener stellen“.

Der Betriebsrat von Daimler forderte ebenfalls Aufklärung. „Arbeitsplätze dürfen nicht durch kartellwidriges Verhalten riskiert werden. Wir brauchen eine vollständige Aufarbeitung“, sagte Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht, der auch stellvertretender Aufsichtsratschef bei Daimler ist. „Es ist eindeutig, dass danach Konsequenzen gezogen werden müssen.“ An diesem Mittwoch legt Daimler den Quartalsbericht vor. Auch der Betriebsrat von Volkswagen verlangte Klarheit von seinem Management.

Umwelthilfe spricht von "organisierter Kriminalität"

Der ökologische Verkehrsclub (VCD) forderte eine neue Tagesordnung für den Diesel-Gipfel am 2. August. „Es ist skandalös, dass sich die Bundesregierung mit dem Kartell an einen Tisch setzt, Mediziner, Umwelt- und Verbraucherverbände aber draußen bleiben sollen“, sagte Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des VCD. Ein Kartell der fünf deutschen Autokonzerne zu fast allen technischen Details „übersteigt selbst unsere Erfahrungen, die wir mit der Kungelei in der Autoindustrie haben“, sagte Lottsiepen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ging noch weiter und kritisierte, dass die Bundesregierung „keine notwendige kritische Distanz zu diesem Teil der organisierten Kriminalität in Deutschland wahrt“, wie DUH- Geschäftsführer Jürgen Resch sagte.

Aus der Politik kam parteiübergreifend die Forderung nach rückhaltloser Aufklärung. Unionsfraktionschef Volker Kauder legte den Herstellern nahe, „reinen Tisch“ zu machen. „Und dann können wir miteinander wieder in die Zukunft schauen“, sagte der CDU-Politiker in der ARD. Sollten sich die Kartellverstöße bewahrheiten, wofür vieles spreche, „muss man schon den klaren Satz sagen: Recht und Gesetz gelten auch für die Auto-Industrie“.

Renate Künast (Grüne), Vorsitzende des Bundestagsausschusses Recht und Verbraucherschutz, bekräftigte ihre Forderung nach einer leichteren Durchsetzbarkeit von Schadenersatzansprüchen. Bei Kartellen könne man davon ausgehen, „dass Verbraucher einen zehn- bis 20-prozentig höheren Preis“ zahlten. Die genauen Aufschläge seien indes oft schwer zu beziffern und zu beweisen. „Darum braucht es eine Pauschalierung von Schadenersatzansprüchen, um Verbrauchern zu ihrem Recht zu verhelfen“, sagte Künast dem Tagesspiegel. (mit dpa, rtr)

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