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In Berlin sind bezahlbare Wohnungen schwer zu finden.

© imago/Seeliger

Wohnungspolitik: Rot-Rot-Grün verliert die Berliner Verfassung aus dem Blick

Senat und Abgeordnetenhaus behindern die Bildung von Wohnungseigentum, beklagt Investoren-Verein und stützt sich dabei auf ein Rechtsgutachten.

„Wohnungssuchende können sich ab heute bei Hr. Florian Schmidt bedanken. Verhinderung von Wohnungsbau hat einen Namen“, heißt es in einem Leserkommentar von „Nala“ auf tagesspiegel.de zu den Plänen des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, das Gelände der ehemaligen Bockbrauerei künftig als reinen Gewerbegebiet auszuweisen. Baustadtrat Schmidt befürchtet im derzeitigen Mischgebiet aus Wohnen und Gewerbe an der Grenze zu Tempelhof, „Raumverluste für Gewerbe in Bezirk“ – sollten die Pläne des Investoren Jürgen Leibfried (Bauwert Gruppe) an Ort und Stelle Realität werden.

Investoren wie Leibfried fragen sich: Dürfen die das? Angesichts des Wohnungsmangels in Berlin einfach die Prioritäten beim Mieterschutz zu setzen?

Einer hat jetzt die Initiative ergriffen und zieht mit einem Rechtsgutachten in die politische Auseinandersetzung. Zielrichtung: gegen Florian Schmidt, gegen Katrin Lompscher, gegen Rot-Rot-Grün.

Die Hälfte der Deutschen haben den Traum von den eigenen vier Wänden aufgegeben

Jacopo Mingazzini ist Vorstand der Accentro Real Estate AG, die den politisch Handelnden vor allem als Umwandlerin von Miet- in Eigentumswohnungen unangenehm aufgefallen ist. Mingazzini hat im Sommer einen „Verein zur Förderung von Wohneigentum in Berlin“ gegründet, dem er vorsitzt. Der Verein soll ein Sammelbecken werden für diejenigen, die den privaten Wohnungsbau auf der Prioritätenliste der Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) gerne etwas weiter oben platziert sehen würden.

Angesichts kräftig gestiegener Hauspreise in Deutschland und dem europäischen Ausland platzt für viele Bürger der Traum von den eigenen vier Wänden. Fast die Hälfte der nicht über Immobilien verfügenden Europäer haben einer Studie der Bank ING zufolge die Hoffnung aufgegeben, dass sich ihr Wunsch noch erfüllen wird. Am stärksten ausgeprägt ist der Pessimismus in dieser Hinsicht in Großbritannien und in Deutschland, wie die in dieser Woche veröffentlichte Studie zeigte. Sie liegt dem Tagesspiegel vor („Home ownership – a smarter choice?“): Jeweils 56 Prozent gehen davon aus, dass sie nie eine eigene Immobilie besitzen werden. Der Pessimismus kommt nicht von ungefähr, denn angesichts der niedrigen Zinsen in der Euro-Zone und auch in Großbritannien stürzen sich viele Anleger bei der Jagd nach Rendite auf „Betongold“. Laut Schätzungen der Bundesbank haben die Preise in deutschen Metropolen wie Berlin, Hamburg und München seit 2010 um mehr als sechzig Prozent angezogen. Und auch in der britischen Finanzmetropole London sind Häuser oftmals für Durchschnittsverdiener unerschwinglich.

Die Bildung von Wohnungseigentum ist ein Staatsziel

Laut dem ING-Ökonomen Ian Bright zeigen die Umfragedaten, dass viele Bürger in diesem Hochpreis-Umfeld mit ihrem Schicksal hadern: „Die meisten Menschen möchten ein Haus kaufen. Doch viele müssen sich eingestehen, dass es wahrscheinlich nicht dazu kommt.“

So darf, so soll es aber nicht sein, fanden schon die Autoren der Berliner Verfassung (VvB) als hätten sie die aktuellen Zeiten des Wohnungsmangels in der Hauptstadt vorhergesehen. Sie formulierten im Absatz 1 des Artikels 28 unter Grundrechten und Staatszielen: „Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Das Land fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, sowie die Bildung von Wohnungseigentum.“

Verfolgen Landesregierung und Abgeordnetenhaus diese Ziele?

Mingazzini meint: Nein! Sein Verein gab bei Steffen Hindelang ein rechtswissenschaftliches Gutachten in Auftrag. Hindelang ist an der Freien Universität Berlin Juniorprofessor für Staats- und Verwaltungsrecht mit internationalen Bezügen.

Der Untersuchungsauftrag ist vergleichsweise suggestiv formuliert, die Frage selbst aber alles andere als rein akademisch: „Darf das Land Berlin im Lichte von Art. 28 Abs. 1 VvB die Bildung von Wohnungseigentum nicht nur nicht fördern, sondern sogar behindern?“ Immerhin sind Staatsziele nicht nur allfällige Empfehlungen, denen man sich je nach politischer Couleur mal aus dieser, mal aus jener Richtung näher kann, sondern bindendes Recht für den Gesetzgeber.

Hindelang dekliniert in seinem Gutachten, das dem Tagesspiegel vorliegt, die Gemengelagen durch. „Fehlt es (…) an hinreichendem Wohnraum, der dem privaten Erwerb offensteht, ist eine Förderung der Bildung von Wohnungseigentum zunächst unmöglich“, überlegt der Professor. „Hier schlägt dann die staatliche Pflicht zur Förderung der Bildung von Wohnungseigentum in eine Pflicht zur (bestmöglichen) Schaffung von Wohnraum um, an dem entsprechend Eigentum gebildet werden kann.“

"Senat und Abgeordnetenhaus bewegen sich nicht mehr im Leitbild der Verfassung"

Gemeint ist hier nicht Wohneigentum ab 5000 Euro pro Quadratmeter aufwärts, an dem kurz- und mittelfristig wohl eher kein Mangel in der Hauptstadt bestehen dürfte. In einem Kommentar zur Verfassung und Verwaltung von Berlin heißt es bereits in der dritten neubearbeiteten Auflage von Ernst R. Zivier (1998) zu diesem Punkt: „Art. 28 begründet (…) eine verfassungsmäßige Pflicht der Landesorgane, alle Möglichkeiten, die ihnen das Bundesrecht einräumt, voll auszunutzen, damit Wohnraum „insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen“ bereitgestellt wird.“ Der Kommentator fährt fort: „Ebenso ist die Bildung von Wohnungseigentum zu fördern, und zwar – wie sich aus Satz 1 und 2 ergibt – als Eigentum der Nutzer und nicht als Kapitalanlage.“

Hindelang kommt in seinem Gutachten zu dem Schluss, „einseitig von einer Wohnungseigentumsförderung abzusehen, widerspricht dem landesverfassungsrechtlichem Leitbild eines ausgewogenen Förderungskonzepts“. Auf Nachfrage sagt er: „Wir sagen nicht, dass heute ein Verstoß gegen die Verfassung vorliegt. Aber Senat und Abgeordnetenhaus bewegen sich nicht mehr im Leitbild der Verfassung.“

Doch wer will hier werten, wer richten?

Fragt man bei der Investitionsbank Berlins IBB nach, wie viele Einheiten 2016 gefördert wurden, könnte der Betrachter immerhin auf den Gedanken kommen, dass Wohnungseigentumsförderung gewiss nicht im Fokus Berlins steht.

„Für den Bau und die Sanierung/Modernisierung von Eigenheimen und Eigentumswohnungen hat die IBB im Jahr 2016 Finanzierungszusagen in Höhe von 5,6 Millionen Euro erteilt“, teilt ein IBB-Sprecher auf Anfrage mit. Sage und schreibe geht es um „64 Förderverträge (sprich Baumaßnahmen), von denen 53 Neubaumaßnahmen und 11 Modernisierungen/Sanierungen betreffen“ – das in einer Millionenstadt wie Berlin, deren (mehrheitlich) schwächer Begüterte unter dem Wohnungsmangel ächzen.

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel betont Hindelang, dass die Staatsziele dem Land durchaus einen Spielraum geben. „Es kann auch Ziele zurückstellen“, sagt der Wissenschaftler: „Aber es geht nicht, dass das Land die Förderung von Wohnungseigentum auf den St. Nimmerleinstag vertagt.“

Accentro-Vorstand Jacopo Mingazzini sagt, es gehe bei dem Gutachten nicht darum zu klagen, sondern eine Diskussion in Gang zu setzen. Immerhin grenze die Verwaltung private Initiativen aus. Und dass Berlin bei der Grunderwerbsteuer mit sechs Prozent nach Brandenburg (6,5 Prozent) bei den Bundesländern an der Spitze liege, sei dem Gedanken der Wohneigentumsbildung auch nicht eben zuträglich.

Frank Stollhoff, Berliner Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, hält das Gutachten für „recht spannend“. Der Ansatz sollte auf Umsetzbarkeit überprüft werden: „Dies ist kein Selbstläufer, hier muss ausgelotet werden, welchen Spielraum das Bundesrecht der Landesverfassung lässt.“

Berlins Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wollte auf Anfrage des Tagesspiegels zu dem Gutachten bis zum Redaktionsschluss nicht Stellung nehmen.

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