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Dieses Flüchtlingsehepaar hatte Glück. Die Syrer zogen im Januar 2016 in eine Wohnung in Berlin Friedenau ein.

© Doris Spiekermann-Klaas

Flüchtlinge auf Wohnungssuche: Pendler zwischen den Welten

Wie Flüchtlinge die Wohnungskrise und deren Verwaltung in Berlin erleben können.

Abu Malik (Namen von der Redaktion geändert) zieht an seiner Zigarette aus Drehtabak. Auf seinem Feuerzeug ist ein Signet zu sehen, mit einem Fluss – dem Euphrat. „Das ist alles, was mir von meiner Heimat übrig geblieben ist. Dieses Feuerzeug ist immer noch bei mir, es begleitet mich in meiner Hilflosigkeit und meiner Schwäche, es hat mich nicht verlassen.“

Erschöpft hält er die Zigarette, dreht sie und führt sie an den Mund. „So lösen sich alle Probleme in Luft auf.“ Er hatte ein großes Haus in einem Außenbezirk von Rakka. „Ich konnte dort frei leben.“

Das Haus war geräumig. „Wir hatten fünf Zimmer und einen großen Garten. In vier Zimmern haben wir gelebt und das fünfte Zimmer haben wir als Gästezimmer für Besuch benutzt. Außerdem gab es traditionell einen großen Raum wo ich meine Gäste empfangen habe – den Madafa.“

Abu Malik trinkt aus einem kleinen Glas starken schwarzen Tee – mit viel Zucker. Er lächelt. „Wir in Rakka werden „Aljazeera“ genannt, wir lieben viel Zucker.“ Man glaubt dort, dass man den Durst mit Zucker löschen kann.

Abu Malik schaut in den Raum. „Es war nicht wie hier. Heute lebe ich in einem Raum, kleiner als 20 Quadratmeter, in einem Wohnheim. Gestern habe ich meinen ersten elektrischen Rollstuhl bekommen." Er zieht seine Papiere aus seinem Rucksack. Darin: viele Adressen von Vereinen und Organisationen, die Flüchtlinge unterstützen. Er hat auch Unterlagen von Unternehmen gesammelt, die Wohnungen oder Häuser vermieten und Adressen von Maklern.

Wer mit Abu Malik zusammensitzt, nimmt sein beständiges Lächeln wahr. Und sein fröhliches Gemüt, seinen Humor – trotz des Rollstuhls und den bescheidenen Lebensumständen.

"Wir drehen uns im Kreis"

Der 48-jährige Abu Malik nennt sich nach dem Namen seines Sohns (Malik), in Rakka war er Busfahrer. Seit 2015 lebt er in Berlin. Er ist der Vater von zwei noch lebenden Kindern. Seine Frau schaut in den Himmel und sagt mit Blick auf die zwei gemeinsamen Kinder, die ganz klein gestorben sind: „Gott wollte es so“. Ihr Mann ist seit drei Jahren gelähmt. Er hatte einen Schlaganfall, unmittelbar nachdem enge Familienangehörige von der Terrormiliz IS getötet wurden.

„Wir versuchten zu fliehen“, sagt Abu Malik, „und standen hilflos da, als die Terroristen auf uns zukamen. Sie sagten uns, wir sollten das Haus verlassen, wir haben das nicht akzeptiert. Ein Schuss reichte, um das Leben meines Cousins zu beenden, ein weiterer Schuss traf meine Schulter. Dann fiel eine Bombe und noch eine. Ich spürte danach nichts mehr, hatte einen gelähmten Körper, ein Herz, das noch schlug, und ein zerstörtes Haus.“

Abu Malik floh mit seiner Frau, seinen Kindern und Enkelkindern auf der Suche nach einem sicheren Ort. In Deutschland habe er aber das Gegenteil gefunden, sagt er.

„Für mich als Behinderten müsste es besonders viele Anstrengungen geben, aber ich habe nichts davon gesehen. Ich habe mehr als zwanzig Wohnungsanfragen gestellt, aber jeder sagt uns, dass er sich später mit uns in Verbindung setzen würde. Nichts passiert. Und andere sagen: Sie suchen besser selber für sich allein. Wir drehen uns in diesem Kreis."Die Wohnungskrise spiegelt die Stabilität und Sicherheit der Flüchtlinge wider

Eigene Wohnung gibt Flüchtlingen Sicherheit

Tausende anerkannte Flüchtlinge in Deutschland leben immer noch in Gemeinschaftsunterkünften, sogenannten Flüchtlingsunterkünften oder gar in Turnhallen, obwohl sie in privaten Wohnungen leben dürften. Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist sehr schwierig, besonders in Berlin. Hinzu kommt: Arabische Familien sind normalerweise viel größer als die deutschen. Doch große Wohnungen sind hierzulande rar.

Die gleichen Probleme hat sein ältester Sohn Malik*. Der 24-Jährige ist Vater von vier Kindern. Das älteste ist sieben Jahre alt, das Zweite vier, das Dritte zwei und das Kleinste ist knapp zwei Monate alt geworden. In Syrien hat er als Taxi- und Busfahrer gearbeitet. Die Schule hat er schon nach der sechsten Klasse verlassen, weil er auf dem Markt arbeiten musste.

Malik möchte in Deutschland als Busfahrer arbeiten, wie in Syrien, wie sein Vater. „Dazu brauche ich die Sprachprüfung B2. Aber das kann ich schaffen.“

Malik lebte mit seiner Frau (21) und seinen Kindern vier Monate lang in einer Halle, zog dann in eine Notunterkunft, blieb dort zwei Monate und zog nach seiner Anerkennung als Flüchtling in Deutschland um. „Wir leben jetzt in einem 30-Quadratmeter-Zimmer – in einem früheren Hotel. Alle zusammen. Das Badezimmer und die Toilette werden von allen Bewohnern geteilt, meine Frau trägt ein Kopftuch. Sie muss fast jede halbe Stunde ihr Kopftuch anlegen, um mit den Kindern zur Toilette oder ins Badezimmer zu gehen.“

Beamte können das Schicksal von Geflüchteten verändern

Malik hat im vergangenen Jahr einen Antrag auf einen Wohnberechtigungsschein (WBS) gestellt. „Die erste Wohnung, die ich gefunden habe, hatte drei Zimmer. Ich besichtigte sie mit meiner Frau und meinen Kindern, aber der Vermieter wusste nur, dass wir Muslime waren. Wir waren verzweifelt, meine Frau stand kurz vor der Geburt.“ Sie bekamen die Wohnung nicht. Viele wollen keine Flüchtlinge, besonders Muslime haben es schwer – wahrscheinlich aus Angst vor dem Fremden. „Manche sagen, wir wollen keine Terroristen unter uns haben“, sagt Malik: „Dabei bin ich selbst vor den Terroristen weggelaufen.“

Dies war nicht das erste Mal, dass sie abgelehnt wurden. „Ich habe eine geeignete Wohnung am Stadtrand von Berlin gefunden. Aber dafür habe ich neun Monate gebraucht und der WBS war da schon unwirksam. Ich musste einen neuen Antrag auf einen WBS stellen, aber die Entscheidung hat lange gedauert. Das bedeutet, dass die Wohnung dann schon weg war.“

Malik sagt, er habe unmögliche Bedingungen bei der Genehmigung eines WBS erlebt. Er erhebt schwere Vorwürfe. Ob und wer einen WBS bekomme, hänge von der Stimmung des Bearbeiters ab. „Als ich mich um einen neuen WBS beworben habe, sagte der Mitarbeiter zu mir: Ihr Aufenthalt endet 2018. Wir können Ihnen deswegen keinen neuen WBS geben.“ Sein Freund habe eine ganz ähnliche Wohnung gefunden, sein Aufenthalt ende im gleichen Monat. Doch er bekam einen WBS. „Hier können Angestellte das Schicksal von Flüchtlingen in eine bestimmte Richtung bewegen“, sagt Malik.

Maliks Zimmer ist klein, das Hotelzimmer muss reichen für sechs Personen. Im Internet fand sein Freund das Angebot einer Wohnungsbaugesellschaft. Malik spricht noch nicht so gut Deutsch. Deshalb konnte man ihn dort abspeisen: „Jetzt haben wir keine Wohnungen, kommen Sie zurück, wenn Ihr Deutsch gut ist. Wir beschäftigen uns jetzt nicht mit Ihnen.“ Malik fällt es schwer, darüber zu sprechen.

Dürfen sechs Personen in einer 2-Zimmer-Wohnung leben?

Flüchtlinge, die Asyl haben, erhalten Hilfen vom Jobcenter – bis sie die Sprache gelernt haben und einen Job finden. Das Jobcenter kümmert sich auch um die Miete. Doch viele Eigentümer befürchten, dass die Miete zu spät bezahlt wird. Und sie haben Vorurteile. Einige denken, dass Menschen Hilfen bekommen, weil sie sich vernachlässigen und nicht arbeiten gehen. Deswegen könnten sie die Miete nicht bezahlen. Eine falsche Logik.

Einige Vermieter verlangen von Flüchtlingen hohe Provisionen, manchmal bis zu 5000 Euro. Malik würde die für seine Familie sogar bezahlen – auch in Raten, damit sie endlich eine Wohnung bekommen.

Das tollste Ding, das Malik passierte: Zwar mietete er über einen Makler eine Zwei-Zimmer-Wohnung. Doch im Jobcenter wurde ihm gesagt, dass eine positive Entscheidung für eine Wohnung mit zwei Zimmern nicht möglich sei. Für seine Familie mit vier Kindern könne er nur eine Genehmigung für eine Wohnung mit drei oder vier Zimmern bekommen. Das kann er nicht verstehen.

„Ich lebe in einem Hotelzimmer, das das Jobcenter bis heute bezahlt, und meine Familie lebt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, die ich bezahle. Die Wohnung meiner Familie ist aber eine Stunde von meinem Zimmer im Hotel entfernt. Ich kann jetzt leider nicht richtig mit meiner Familie zusammenleben. Ich pendele zwischen der Schule meiner Kinder, meiner Schule, der Wohnung meiner Familie und meinem Hotelzimmer.“

Darüber ist Malik unglücklich. „Es ist besser für meine Frau und meine Kinder als im Hotelzimmer. Aber ich habe Angst, die ich etwas Irreguläres mache.“ Malik hofft – wie wohl alle Flüchtlinge – auf eine Wohnung. Plötzlich muss er lachen. Er denkt an Syrien. „Mein Haus in Rakka war aus Lehm gebaut. Das Material ist eigentlich sehr gut bei extremer Hitze und Kälte.“

Zoya Mahfoud

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