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Demografie bewirkt Landflucht: Wenn der Schwarm in die Stadt zieht 

Die Spaltung des Wohnungsmarktes vertieft sich. Geburtenarme Jahrgänge suchen Altersgenossen - und finden sie nur noch in den Zentren. Nachfrage nach Mietwohnungen in den meisten anderen Landesteilen geht zurück.

Die Hauptstadt hat es erkannt: „Kommen Sie mit Ihren Kindern nach Berlin. Die sind später sowieso hier.“ Mit diesem Slogan wirbt die deutsche Hauptstadt um junge Familien. Harald Simons würde sagen: um die Schwärmer. Und, dass die Hauptstadt so eine Werbung gar nicht nötig hat. Denn Berlin zählt der Ökonom ohnehin zu den „Schwarmstädten“.

Schwarmstädte, das sind für Simons Städte mit großer Anziehungskraft. Junge Leute, so beschreibt er, stiegen wie Vögel aus anderen Regionen Deutschlands auf, fänden sich zusammen und zögen als Schwarm alle in die gleiche Richtung: In eine dieser Städte, wo es eben mehr Yogastudios, mehr Bioläden, mehr Szenekneipen gibt als anderswo. Dort, in München, Leipzig, Frankfurt, Heidelberg, Darmstadt – so die Top 5 – werde der Wohnraum knapp. Die Landkreise, aus denen der Schwarm aufstieg, dagegen leerten sich.

Vor allem Menschen zwischen 30 und 35 Jahren, die gerade voll ins Berufsleben starten, wohnen nicht mehr gleichmäßig übers Land verteilt. Sie konzentrieren sich mehr und mehr auf wenige Städte, das weist Simons in einer Studie für die deutsche Wohnungswirtschaft nach. Insgesamt 29 Orten gelinge es, so viele Jüngere anzulocken, dass sich deren Geburtsjahrgänge mindestens verdoppelten. „Die demografische Spaltung des Landes wird getragen von den Jüngeren“, schreibt der Wissenschaftler dazu. Und, dass sie gefährlich sei.

„Dieser konzentrierte Zuzug junger Menschen in attraktive Städte ist die zentrale Ursache dafür, dass in einigen Städten die Nachfrage und die Mieten anziehen, während die Nachfrage nach Mietwohnungen in den meisten anderen Landesteilen zurückgeht“, schrieb auch der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) in seinem Frühjahrsbericht.

Das alte Bild – wohnen auf dem Land, arbeiten in der Stadt – dreht sich völlig um

Die Folge: In einigen Städten müssen Wohnungen, Kitas, Schulen gebaut, die gesamte Infrastruktur erweitert werden. In fünf Jahren habe sich ein Defizit von rund 260.000 Wohnungen angehäuft, sagt Wohnungswirtschafts-Präsident Axel Gedaschko. In den meisten Regionen dagegen machen Schulen zu, leerstehende Wohnungen verfallen.

Studenten und Berufseinsteiger, könnte man jetzt einwenden, sind doch schon immer in die Städte gezogen. Doch die Wissenschaftler widersprechen. Erst seit Mitte der 2000er Jahre sei das so stark zu erkennen wie jetzt. Die neue Wanderungsbewegung habe auch nichts mit Arbeitsplätzen zu tun. Stark gewachsen sei vielmehr die Zahl der in einer Stadt wohnenden, aber nicht dort arbeitenden Menschen. Wer einen Job in Merseburg bekomme, ziehe nach Leipzig und pendle. „Hauptsache ich wohne in der Schwarmstadt“, sagt Simons.

Das alte Bild – wohnen auf dem Land, arbeiten in der Stadt – drehe sich völlig um. „Demnächst kriegen wir morgens Staus aus der Stadt raus.“

Was aber macht eine Stadt zur Schwarmstadt? Nicht Yogastudios oder Bioläden, meint Simons, sondern Altersgenossen. Die ersten Schwärmer kämen aus der Generation des Pillenknicks mit den Geburtsjahrgängen 1974 bis 1978. „Das sind wenige – und weil das wenige sind, rotten sie sich zusammen.“ Nur so könnten sie in ihrem Umfeld ein junges Lebensgefühl erzeugen. Und der Effekt verstärke sich selbst: „Mit jedem, der von Gera nach Leipzig zieht, wird Leipzig attraktiver und Gera unattraktiver.“

"Mietpreisbremse nimmt den ländlichen Regionen das wichtigste Verkaufsargument"

Und wie steht es um die Wünsche der „Generation Y“ mit den Geburtsjahrgängen 1977 bis 1988? Sie ist gut gebildet, ist sich im Klaren darüber, dass es den „Job auf Lebenszeit“ vermutlich nicht mehr gibt, strebt nach Selbstverwirklichung, sowohl beruflich als auch privat und legt gesteigerten Wert auf eine „Work-Life-Balance“.

Wenn es ums Wohnen geht, sagt jeder Zweite, dass er großstädtisch respektive urban leben möchte – also in attraktiven Groß- und Mittelstädten. Dies förderte eine Studie des Immobilienberatungsunternehmens Ernst & Young Real Estate zutage. Allerdings scheint für diese Generation auch die Überschaubarkeit in der globalisierten Welt ein wichtiger Gegenpol zu sein: Idylle in Form von Kleinstädten oder gar ländlichen Regionen ist bei 29 Prozent der Befragten stärker gefragt als der Puls, den Millionenmetropolen wie Berlin, Hamburg oder München vorgeben. Dorthin zieht es nur 22 Prozent.

In der Umfrage gaben rund 1650 Studenten und Berufstätige – im Durchschnitt 27 Jahre alt – Auskunft darüber, wie und wo sie in Zukunft wohnen möchten.

Demnach sind konservative Wohnwünsche durchaus gefragt: Neunzig Prozent der Teilnehmer der Ernst & Young-Studie favorisieren die eigenen vier Wände, ob als Eigentumswohnung oder als Einfamilienhaus. Auch Eigentum als Kapitalanlage – in der Regel also die fremdvermietete Eigentumswohnung – spielt eine wichtige Rolle: Rund 70 Prozent sehen hier einen Beitrag zur Altersvorsorge.

Die Politik, das kritisieren die Wissenschaftler ebenso wie die Wohnungswirtschaft, treibe den Schwarm noch an. Mit der Mietpreisbremse und dem Versprechen von günstigen Wohnungen in der Großstadt nehme sie den ländlichen Regionen das wichtigste Verkaufsargument: dass Leben hier günstiger ist als in der hippen City. Um ländliche Gegenden attraktiv zu halten, müssten Fördermittel auf einige wenige Zentren konzentriert werden, fordern sie. Lieber ein lebendiger, als zwei halbtote Orte.

Solche Orte, wie sie die Eifel-Band Jupiter Jones beschreibt: „Wo sind all die Mädchen? Wo sind all die Freunde hin?“, singen die Jungs darüber, wie sich ihre Provinzstadt leert. Erst trotzig: „Ihr habt nur ein paar mehr Statisten, wo ich oft alleine bin.“ Dann nüchtern: „Wir sehen uns irgendwann. In Berlin.“ mit dpa

Blick über das Zentrum von Leipzig. Die Stadt gehört zu den großen Gewinnern der Schwarmbewegung und führt inzwischen den Spitznamen Hypezig.
Blick über das Zentrum von Leipzig. Die Stadt gehört zu den großen Gewinnern der Schwarmbewegung und führt inzwischen den Spitznamen Hypezig.

© Hendrik Schmidt/dpa

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