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Silver Surfer. Im Jahr 2012 stieg der Anteil der Internetnutzung unter den 60- bis 69-Jährigen auf 62,7 Prozent – und mancher Rentner repariert heute in seiner Freizeit sogar Computer. Foto: dapd

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Wirtschaft: Im Unruhestand

Ein Internetportal vermittelt Rentner, die weiter arbeiten wollen. Vielen fehlt das Gefühl, gebraucht zu werden.

Berlin - Wolfgang Korduan kann man mieten. Für fünf bis 30 Euro, Verhandlungsbasis. So steht es in seinem Profil. Daneben ein Foto, das einen sympathisch aussehenden Mann Mitte 60 zeigt, mit rotem Hemd und Brille. Korduan ist gelernter Industriekaufmann und heute Vorruheständler, aber „nur Freizeit ist auch langweilig“, sagt er. Daher hat sich Korduan bei dem Internetportal rentarentner.de registriert, übersetzt heißt das: Miete einen Rentner. Seitdem wartet er auf Aufträge.

„Zu gut für den Ruhestand“, das ist der Slogan von Rent a Rentner, Menschen ab 50 können hier ihre Arbeitskraft, ihr Wissen, ihre Erfahrung an andere weitergeben – gegen Bezahlung. Im August ging das Portal in Deutschland online, inzwischen haben sich mehr als 5000 Rentner registriert, mehrheitlich Männer, die meisten kommen aus Großstädten wie Hamburg, Köln, München oder Berlin.

In Berlin hatte Wolfgang Korduan vergangene Woche seinen ersten Einsatz: Eine Frau aus Salzburg hatte ihm geschrieben und um Hilfe für ihre Mutter gebeten, die in Spandau wohnt; das Dach der Gartenlaube war eingebrochen. Korduan fuhr hin und reparierte es. Für diesen Einsatz hat Korduan kein Geld genommen, „es war mir ein Anliegen, der alten Dame zu helfen“, sagt er. Rentnern wie Korduan geht es darum, gebraucht zu werden. „Ich muss kein Geld verdienen“, sagt er, „aber ich möchte was machen!“ In seinem Profil, dort, wo bei anderen Standort oder Profession stehen, hat Korduan ein Zitat reingetippt: „Am angenehmsten und in gleichem Maße liebenswert ist das Tätigsein.“ Er will arbeiten, unbedingt. Kürzlich bewarb er sich um einen Aushilfsjob auf 400-Euro-Basis. Er suchte seine Zeugnisse raus, überarbeitete seinen Lebenslauf – die Stelle bekam er nicht. „Wahrscheinlich war ich überqualifiziert“, schätzt Korduan.

Rent a Rentner versucht das, was viele Unternehmen bisher versäumt haben: Ältere Menschen länger teilhaben zu lassen und von ihrer Erfahrung zu profitieren. Wenn die Generation 60 plus in Rente geht, sind die meisten der sogenannten „Best Ager“ körperlich und geistig fit. Warum also zu Hause sitzen und nichts tun? Im Juli machte der Hamburger Otto-Konzern Schlagzeilen, weil er pensionierte Mitarbeiter zurückholte, um personelle Engpässe zu kompensieren.

Wenn die Unternehmen die Alten nicht mehr wollen, werden die eben selbst aktiv; das Internet hilft ihnen dabei. Aus der aktuellen Onlinestudie von ARD und ZDF geht hervor, dass immer mehr ältere Menschen das Internet nutzen, sie sind die „neuen Onliner“. 2012 stieg der Anteil der Internetnutzung unter den 50- bis 59-Jährigen auf 76,8 Prozent, bei den 60- bis 69-Jährigen auf 62,7 Prozent. Und selbst unter denjenigen ab 70 ist inzwischen jeder Fünfte online.

Joachim Nägel hat aus der Zeitung von Rent a Rentner erfahren. „Ich bin froh, wenn ich helfen kann“, sagt der Berliner. Nägel ist 63, früher hat er als Techniker gearbeitet, irgendwann rüstete er das Kinderzimmer zu einer PC-Werkstatt um. Werkbänke, Testcomputer, Monitore und Motherboards stehen herum, an den Wänden hängen die Verpackungen von Spielen und Programmen. Von sich selbst sagt Nägel, dass er kein einfacher Schrauber sei. Seit er sich bei Rent a Rentner angemeldet hat, bekam Nägel drei Anrufe. Zwei konnte er direkt telefonisch lösen, das Notebook reparierte er in seiner Werkstatt, für 60 Euro.

Hinter der einfach strukturierten Internetseite, auf der alles in größeren Lettern geschrieben ist als auf normalen Seiten, stehen Jonas Reese und Lutz Nocinski, sie haben Rent a Rentner gegründet. Reese ist 33, die Idee zu solch einer Seite hatte er bereits 2007, während seines Germanistikstudiums. Reeses Vater stand damals kurz vor der Pensionierung. „Ich habe mir überlegt, wie man so eine Seite umsetzen kann“, sagt Reese. „Aber die Idee hätte damals noch nicht funktioniert, allein, weil die Senioren noch nicht so aktiv im Internet waren. Und auch das Internet war damals noch nicht so entwickelt wie heute.“ Vermittlungsbörsen seien damals noch nicht gängig gewesen. 2011 bekam Reese, der hauptberuflich als Journalist in Köln arbeitet, eine Postkarte. Lutz Nocinski hatte ihm geschrieben, ein Deutscher, 45-jährig, der in der Schweiz lebt und arbeitet. Auch Nocinski hatte die Idee zu Rent a Rentner, in der Schweiz gab es das Portal bereits, rentarentner.ch heißt es, im Jahr 2009 wurde es gestartet. Reese und Nocinski beschlossen, das Portal in Deutschland gemeinsam zu betreiben.

Reese schätzt, dass er täglich vier Stunden für Rent a Rentner arbeitet. Kürzlich twitterte er: „146 unbeantwortete Mails warten auf mich. Auf geht’s! Guten Arbeitstag an alle!“ Doch noch finanziert sich das Portal nicht. „Sobald die Seite weiter wächst, können wir das nicht mehr alleine schaffen“, sagt Reese. „Daher suchen wir derzeit nach Investoren und nach Möglichkeiten, mit Rent a Rentner Geld zu verdienen.“ Für Rentner bliebe die Seite aber auf jeden Fall kostenlos.

Seit der Gartenlaube hat Wolfgang Korduan keinen weiteren Auftrag bekommen. „Ich bin überrascht, dass nicht mehr Leute nachfragen“, sagt er. Gründer Jonas Reese vermutet, dass es für die Auftraggeber manchmal komisch sei, einen Rentner zu beauftragen. „Sie haben Angst, die Rentner auszunutzen“, sagt Reese. „Doch die bieten sich freiwillig an und legen selbst ihren Stundenlohn fest.“ Reeses Vater ist von Anfang an dabei, „ich habe ihn ermutigt, sich dort anzumelden“, sagt Reese. „Anfangs war er skeptisch, jetzt findet er das richtig gut.“

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