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Henning Kagermann.

© Maurizio Gambarini/dpa

Henning Kagermann zur Elektromobilität: "Ich glaube nicht, dass Deutschland abgehängt wird"

7. eMobility Summit des Tagesspiegel: Henning Kagermann, Chef der Plattform Elektromobilität, im Interview über attraktive E-Autos, Privilegien im Verkehr und eine Zellfertigung in Deutschland.

Herr Kagermann, Sie fahren seit drei Jahren ein Elektroauto. Sind Sie zufrieden?

Ich bin von der hohen Qualität schon der ersten Baureihe überrascht. Ich hatte vorher befürchtet, dass ich häufiger in die Werkstatt muss – das war aber nicht der Fall. Es gab einen regulären Servicetermin und kürzlich den TÜV. Dabei ist gleichzeitig ein Software-Update gemacht worden. Das war’s.

Nie mit leerer Batterie liegen geblieben?

Nein. Ich pendle 80 Kilometer pro Tag. Wenn ich zu Hause ankomme, könnte ich noch 50, vielleicht 100 Kilometer fahren. Dann stelle ich das Auto in die Garage, stecke den Stecker rein – und morgens ist die Batterie aufgeladen. Das geht problemlos. Für mich ist ein E-Auto perfekt.

Wenn man eine Garage mit Stromanschluss hat.

Die haben ja viele Pendler. Elektromobilität wäre schon gestern für viel mehr Menschen möglich gewesen, die nicht in der Stadt leben. Und die Übrigen werden zunehmend durch technische Fortschritte, zum Beispiel bei der Reichweite, adressiert. Aber die eingeschränkte Reichweite dürfte für die meisten Nutzer kein Grund sein, kein Elektroauto zu kaufen. Es ist wohl eher der Preis. Elektroautos sind alltagstauglich, aber noch zu teuer.

Ihr „Kleinwagen“ dürfte mit passabler Ausstattung 50 000 Euro gekostet haben.

So ist es. Dafür bekäme man auch ein sehr gut ausgestattetes Mittelklassemodell. Der Preis ist wirklich noch eine große Hürde. Das wird sich zwar ändern, aber die Anbieter werden zunächst an der Batterie arbeiten, also zum gleichen Preis mehr Reichweite liefern. Das Dilemma bleibt: Die großen Premiummodelle stehen nicht so sehr unter Preisdruck, während sich kleine Elektrofahrzeuge noch nicht rechnen, obwohl sie für die Stadt ideal wären.

Die Kaufprämie ist nicht attraktiv genug?

Der Zuspruch fällt nicht so hoch wie erwartet aus. Der Anlauf war in Ordnung, aber in diesem Jahr werden wir wohl hinter der NPE-Prognose zurückbleiben, jeden Monat im Schnitt 10 000 neue Elektrofahrzeuge zuzulassen.

Sind 4000 Euro Kaufprämie zu wenig?

Gegenfrage: Würden 6000 Euro etwas ändern? Es ist sehr schwer zu sagen, ob ein paar tausend Euro mehr oder weniger die Nachfrage anschieben. Es ist auch zu früh, um jetzt schon nachzusteuern. Das ginge auch nicht von heute auf morgen, weil der Umweltbonus jeweils zur Hälfte vom Bund und von den Unternehmen getragen wird. Wir sollten das Jahr erst einmal abwarten.

Wenn es nicht an der Prämie liegt, woran liegt es dann? An der lückenhaften Infrastruktur?

Das ist eine Erklärung. Ich finde, es gibt zum Beispiel zu wenige Ladepunkte, wo man sehr einfach Strom laden könnte: in Tiefgaragen etwa, in Parkhäusern, am Flughafen oder am Bahnhof. In Tegel zum Beispiel muss man lange nach einer Lademöglichkeit suchen. Das ist schade, da könnte man mehr machen.

Preise und Infrastruktur sprechen gegen das E-Auto. Was ist mit dem Angebot?

Es gibt aktuell mehr als 30 Modelle deutscher Hersteller und etwa 25 von ausländischen Marken. Trotzdem findet nicht jeder das, was er sucht. Die Vielfalt bei den herkömmlichen Fahrzeugen ist einfach größer und nur wenige möchten sich einschränken. Die Ankündigung der deutschen Hersteller, 2020 100 E-Fahrzeugmodelle auf dem Markt zu haben, ist aber ein sehr positives Signal.

Vor einem Jahr sagten Sie, der Markthochlauf habe begonnen. Wie weit sind wir?

Das Wachstum ist da, allerdings auf niedrigem Niveau. Wir sollten es dennoch nicht zu negativ darstellen. Ich war mir immer sicher, dass sich die Elektromobilität durchsetzen wird. Nicht vor 2020, aber auch nicht erst nach 2030. Ich denke, ab 2025 geht es richtig los. Weil dann alle Hindernisse, über die wir heute sprechen, beseitigt sein werden.

Über die eine Million E-Autos, die bis 2020 fahren sollen, spricht niemand mehr.
Entscheidend ist, dass wir nicht nur Leitanbieter sein werden – was wir heute schon sind –, sondern auch der größte Markt für Elektromobilität. Dafür müssen die Infrastruktur stimmen, der gesetzliche Rahmen, das Ausbildungssystem, die technischen Normen. Hier kommen wir gut voran. Ich glaube nicht, dass Deutschland abgehängt wird. Ich gebe zu: Es wäre schöner, es ginge schneller.

Die Regierung fördert den Aufbau der Ladeinfrastruktur mit 300 Millionen Euro. Kommt das Geld an?
Ja, das läuft gut. Die Nachfrage ist größer als das Angebot des ersten Förderaufrufs. Hier setzt sich offenbar bei den Energieversorgern – ähnlich wie bei den Autoherstellern – die Erkenntnis durch, dass man in Vorleistung gehen muss. Nur so bewegt sich etwas.

Vorleistungen für ein Geschäftsmodell, das es noch nicht gibt.
Die Bereitschaft, in Ladesäulen zu investieren, zeigt, dass es Geschäftsmodelle gibt. Nun bleibt abzuwarten, wie die Verbraucher reagieren.

An den Autobahnen sollen 400 Ladesäulen installiert werden. Wäre es nicht sinnvoller, mehr in den Städten zu tun?
Bedarfsgerechte Schnellladeinfrastruktur an wichtigen Verkehrsknotenpunkten und flächendeckende Normalladeinfrastruktur: Beides ist wichtig. Die Leute sollen sehen, dass Elektrofahrzeuge, die schnell geladen werden können, nicht nur für die Stadt geeignet sind. Außerdem war die Kooperation mit den Raststätten von Tank + Rast eine gute Lösung. Sicher brauchen wir auch in den Städten mehr Ladesäulen. Verbunden mit der Möglichkeit, frei zu parken, gibt das den Nutzern das Gefühl, privilegiert zu sein. Ich denke, dass dies eine bessere Wirkung erzielen wird als eine Anhebung der Summe bei der Umweltprämie.

Viele Städte und Kommunen schrecken vor Privilegien für E-Autos zurück.
Leider, ja. Ich finde, man könnte es dennoch wenigstens ausprobieren. Zum Beispiel freie Fahrt für Elektrofahrzeuge auf Busspuren. Wenn diese dann tatsächlich zu voll werden, kann man die Bevorrechtigung immer noch anpassen.

Ist das Elektromobilitätsgesetz ein Flop?
Kein Flop. Aber das Elektromobilitätsgesetz hat nicht den Effekt gehabt, den es haben könnte. Der Ansatz ist allerdings richtig: Privilegierungen im Straßenverkehr zum Beispiel können eine große Überzeugungskraft für die Nutzung von Elektrofahrzeugen entfalten. Man könnte mehr daraus machen.

Zum Beispiel indem man die Innenstädte für ältere Diesel sperrt?
Von generellen Fahrverboten halte ich nichts. Auch die Einschränkungen über eine Blaue Plakette werden nicht das Allheilmittel sein. Wir müssen allerdings aufpassen, dass wir das Ziel für den Flotten-CO2-Grenzwert von 95 Gramm pro Kilometer bis spätestens 2021 einhalten. Ohne Dieseltechnologie wird das nicht zu erreichen sein.

Vielleicht mit synthetischen E-Fuels?
Das wäre eine Option, wenn man sie zu konkurrenzfähigen Preisen und mit erneuerbaren Energien herstellen könnte. Und wenn die Batterieentwicklung länger dauert als erwartet. Dann wären Plug-in-Fahrzeuge mit E-Fuels-Verbrenner länger attraktiv, weil beispielsweise nach 100 Kilometern elektrischer Fahrt 300 oder 400 Kilometer mit sauberem Kraftstoff folgen könnten. Das heißt nicht, dass E-Fuels die Elektromobilität verdrängen. Plug-in-Fahrzeuge wird es noch 20 oder 30 Jahre lang geben, aber nicht 50. Es wäre eine Übergangstechnologie, um die Einhaltung der CO2-Grenzwerte sicherzustellen, bis Elektrofahrzeuge größere Marktanteile erreichen.

Wie tief sitzt nach dem VW-Skandal das Misstrauen gegenüber der Autoindustrie?
Der Skandal hat der Industrie geschadet. Ich glaube aber, dass der Vertrauensverlust mittelfristig wieder behoben werden kann. Trotzdem ist er bedenklich, denn Vertrauen wird in Zukunft noch wichtiger, gerade dann, wenn es um autonom fahrende Autos geht. Denn beim vollautomatisierten Fahren muss der Kunde der Technik das Steuer übergeben. Man kann nur hoffen, dass die Hersteller gelernt haben: Ihre Zusagen müssen der Wahrheit entsprechen.

E-Autos dürfen nicht weniger Reichweite haben, als auf dem Papier steht?
Hier sieht man zum Glück schon einen Lerneffekt: Reichweiten werden inzwischen „unter Idealbedingungen“ angegeben. Das heißt, die Hersteller sagen: Das Elektroauto fährt 300 Kilometer – aber nicht im Winter oder bei Vollgas auf der Autobahn. Es gibt nichts Schlimmeres als enttäuschte Erwartungen.

Beim Autokauf entscheidet auch der Bauch. Warum gibt es keine emotionale Werbung für Elektroautos?
Man ging in Deutschland zu lange zu rational an die Sache heran. Nehmen Sie Tesla. Als das erste Modell auf den Markt kam und die Begehrlichkeit auch bei deutschen Kunden wuchs, ein Elektroauto aus Kalifornien zu haben, hätte man reagieren müssen. Ich habe mich gewundert, dass hier sehr spät reagiert wurde. Hätte es gleich einen vollelektrischen deutschen Sportwagen gegeben, wäre die Tesla-Story eine andere geworden.

Lange wird auch schon über eine Batteriezellenfabrik in Deutschland diskutiert. Woran hapert es?
Der Business-Case ist nicht sehr attraktiv. Viele sehen vor allem das betriebswirtschaftliche Risiko. Außerdem ist die Frage, mit welcher Technologie man einsteigt, immer noch nicht beantwortet. Ich rechne mit mehr Bewegung nach der Bundestagswahl. Dann muss Farbe bekannt werden. Schließlich hat der Bund die Forschung und Entwicklung im Bereich der Batteriezellen auch gefördert.

Ohne eine weitere Förderung auf EU-Ebene keine deutsche Zellfabrik?
Wahrscheinlich muss es, wie bei der Mikroelektronik, eine bei der EU aufgehängte Förderung geben.

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