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Hartmut Mehdorn, hier beim Tagesspiegel-Interview als Chef der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (2014).

© Mike Wolff

Hartmut Mehdorn über Air Berlin: "Berlin wird wie ein Dorf behandelt"

Hartmut Mehdorn, ehemaliger Chef von Air Berlin, spricht über die Profiteure der Pleite, hohe Vorstandsbezüge und Politikfehler. Ein Interview.

Herr Mehdorn, die Zeit läuft ab für Air Berlin. Gut die Hälfte der Airline geht an die Lufthansa. Wie bewerten Sie dieses Zwischenergebnis?
Ich finde das traurig. Ich denke, die Konstruktion, dass wir zwei starke Airlines in Deutschland hatten, hat sich bewährt. Der Investor Niki Lauda hat es auf den Punkt gebracht, als er sagte: Alles wird jetzt teurer und der Service wird schlechter. Monopolisten tun uns nicht gut.

Niki Lauda, Ryanair-Chef Michael O'Leary und andere sprechen von einem abgekartetem Spiel. Wurde der Lufthansa-Deal arrangiert?

Das sind nur Vermutungen, aber die Fakten deuten darauf hin, dass da im Hintergrund etwas gelaufen sein könnte. Man nehme allein den Vertrag des amtierenden CEOs, der von Lufthansa kam. Das ist alles sehr glatt gelaufen. Ein bisschen merkwürdig ist das schon.

Air Berlin konnte sich bisher nicht mit Easyjet verständigen, muss jetzt auch mit anderen Interessenten sprechen. Wird das noch was?

Ich weiß nichts aus den Verhandlungen, ich lese auch nur Zeitung, habe aber das Gefühl, dass die Briten sich überlegen, wie ihre Position ist: Wenn Easyjet den Klageweg gegen den Deal mit Lufthansa einschlagen will, kann die Airline schlecht selbst Teil dieses Prozesses sein.

Easyjet hat auch nicht mehr so viel Druck. Die können ja jetzt Flieger bei der überraschend insolventen Monarch-Airlines in Großbritannien bekommen.

Das spielt glaube ich keine so große Rolle. Es geht Easyjet um die Streckenrechte in Deutschland, die haben einen hohen Wert. Deshalb hat die Bundesregierung ja auch den Kredit gewährt, um Air Berlin in der Luft zu halten, bis ein Käufer gefunden ist. Es geht ja gar nicht um Flugzeuge. Air Berlin besitzt ja keine einzige Maschine mehr, sie sind alle geleast.

Sie erwähnten den Vertrag von Air-Berlin-Chef Winkelmann. Politiker kritisieren, dass er bis 2021 Gehalt bezieht und dieses vor dem Zugriff des Insolvenzverwalters hat schützen lassen. Wie bewerten Sie das?

Ich glaube, dass wir in Deutschland gewisse Ordnungsprinzipien hochhalten sollten. Dazu gehört ein funktionierender Corporate-Governance-Kodex. Und der sieht vor, dass niemand eine Abfindung erhält, die zwei Jahresgehälter übersteigt. Das ist die Regel, die Firmen halten sich normalerweise daran.

Aber…?

Die andere Seite ist: Wir leben in einem geordneten Land. Hier gilt: Vertrag ist Vertrag. Wenn jemand ihm diesen Vertrag geben hat, ist der auch verbindlich. Da hat eben der Aufsichtsrat damals gepennt. Sich jetzt darüber zu echauffieren, ist ein bisschen spät. Als Winkelmann Anfang des Jahres eingestellt wurde, war klar, was für einen Vertrag der hat. Aber im Prinzip sind solche Abmachungen nicht in Ordnung, vor dem Hintergrund, dass gleichzeitig Tausende Mitarbeiter im Regen stehen. Wenn Winkelmann Moral hat, begnügt er sich mit der Summe von zwei Jahresgehältern als garantiere Bezüge.

Thomas Winkelmann, Vorstandschef von Air Berlin (hier im September 2017 bei einer Pressekonferenz Berlin) bekommt von seinem Vor-Vor-Vorgänger Hartmut Mehdorn einen Rat: Gehaltsverzicht.
Thomas Winkelmann, Vorstandschef von Air Berlin (hier im September 2017 bei einer Pressekonferenz Berlin) bekommt von seinem Vor-Vor-Vorgänger Hartmut Mehdorn einen Rat: Gehaltsverzicht.

© Paul Zinken/dpa

Glauben Sie an ein gutes Ende für die Belegschaft?

Nein. Es wird in jedem Fall schwer werden für die Mitarbeiter in der Verwaltung. Die Mitarbeiter, die mit dem Flugbetrieb zu tun haben – Piloten, Stewardessen, Flight-Operator – werden wohl einen Platz finden, egal bei wem. Aber was Mitarbeiter zum Beispiel der Personalverwaltung und Buchhaltung angeht: Da muss ein neuer Eigentümer nur die Computer ein bisschen größer machen und die Daten ’rüber spielen. Dann braucht man diese Leute nicht mehr. Das ist schon eine bittere Nummer.

Am Wochenende wurde in Berichten daran erinnert, dass Sie Anfang 2012 Prüfer beauftragt haben, die Rechnungen ihres Vorgängers Joachim Hunold zu untersuchen. Wie was das damals?

Der Anlass, das Gutachten bei PwC in Auftrag zu geben, war seinerzeit ein Anfangsverdacht der Staatsanwaltschaft Hannover, die die Vorgänge um den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff untersucht hat. Als die auch bei uns ermitteln wollten, wurde ich hellhörig. Ich habe unsere Innenrevision gebeten, Unterlagen zu suchen. Mein Eindruck war: Da ist etwas.

Und darüber haben Sie Aufsichtsratschef Körber informiert.

Ich habe ihm gesagt, ich schließe nicht aus, dass wir zu diesem Vorgang befragt werden. Sich hinzustellen und zu sagen, wir haben keine Ahnung, wäre nicht gut. Wir wollten sprechfähig sein. Also haben wir die externen Gutachter beauftragt, die Sache zu prüfen. Unsere Innenrevision allein wäre dafür zu klein gewesen, zumal sie ja Teil des Systems Air Berlin war.

Was passierte dann?

Zum Jahresende 2012 habe ich mein Mandat bei Air Berlin beendet, da harte Schritte notwendig waren, um die Sanierung mit eigener Kraft zu schaffen. Ich hatte nur ein Interimsmandat, einst geplant für drei, dann sechs, dann neun Monate. Die harte Sanierung musste aus meiner Sicht von einem CEO geführt werden, der langfristig unter Vertrag ist.

"Die Politik des Senats dreht sich nur um Radfahrer"

"Aktive Mittagspause" von Mitarbeitern von allen Bereichen von Air Berlin im Hof der Zentrale in Berlin im Oktober 2017.
"Aktive Mittagspause" von Mitarbeitern von allen Bereichen von Air Berlin im Hof der Zentrale in Berlin im Oktober 2017.

© Mike Wolff

Insgesamt waren Sie dann 15 Monate an Bord.

Weil sich niemand anderes gefunden hat. Das vorläufige Gutachten kam dann kurz bevor ich gegangen bin. Ich habe es dem Aufsichtsrat geschickt und es ihm und meinem Nachfolger Wolfgang Prock-Schauer überlassen, mögliche Schlüsse daraus zu ziehen. Das abschließende Gutachten habe ich übrigens nie gesehen.

War dieser Vorgang mit ein Grund für ihren Abtritt?

Der Grund für mich war, dass klar war, dass Air Berlin in der bestehenden Form nicht lebensfähig war. Wir haben die Planungsziele ja nie erreicht. Wir hatten mit einem US-Unternehmensberater ein Restrukturierungsprogramm entworfen, was die Gesellschafter aber in dieser Form nicht wollten, weil Streiks zu erwarten waren. Man kann aber keinen Stellenabbau veranlassen, wenn man nicht akzeptiert, dass die auch für ihre Stellen streiken. Diese Trauerarbeit gehört zum Ritual in Deutschland und Europa. Das wollten die Herren bei Etihad aber unter allen Umständen vermeiden. Da waren auch noch ein paar andere Dinge, so war für mich klar: Das führt nicht in die Zukunft, das mache ich nicht mehr.

Freitag landet der letzte Flug nach fast 40 Jahren: Wie bewerten Sie die Geschichte von Air Berlin in der Gesamtschau?

Positiv und toll. Air Berlin war eine beliebte und gute Airline. Aber, das ist keine Frage von Sentimentalitäten, es geht um die Frage: Wie wollen wir in unserem Land leben? Hier sprechen wir viel über soziale Marktwirtschaft, erleben aber andauernd: Groß frisst Klein, diese Globalisierung sorgt für immer weniger lokalen Wettbewerb. Und wenn dann jemand erklärt, nicht so schlimm, der Wettbewerb findet jetzt eben mit China oder Amerika statt, dann kann man sich als Berlin-Kreuzberger nichts dafür kaufen. Ich glaube, dass mit der Air Berlin auch ein Stück deutscher Wirtschaftskultur verloren geht.

Wer trägt Schuld daran?

Die Bundesregierung trägt ihren Teil. Wir haben wie die Löwen gegen die unsägliche Luftverkehrssteuer gekämpft. Das waren 100 Millionen Euro, die Air Berlin in diesem Markt nicht verdienen konnte. Der arabische Gesellschafter hat uns 500 Millionen für ihre Unternehmensbeteiligung gegeben, um damit Air Berlin zu sanieren. Sie haben sich gewundert: Wir geben Euch Geld – und ihr gebt es weiter an Eure Regierung? Man hätte der notleidenden Air Berlin diese Steuer nicht aufdrücken dürfen. Es war klar, dass die schwarze Null damit nicht zu erreichen war. Dass sich die Bundesregierung heute zur Retterin erklärt, wegen ihres Kredits, den sie samt Zinsen zurückbekommt, ist nicht ganz ehrlich.

Und welche Rolle spielt das BER-Debakel?

Keine. Es ist andersherum: Air Berlin und ihr geplantes Drehkreuz wären gut für Berlin gewesen am eröffneten BER. Nun wird es so sein: Fast egal wohin wir fliegen, Berliner müssen in Frankfurt oder München umsteigen. Berlin wird wie ein Dorf behandelt. Schuld ist auch die schwache und taube Verkehrspolitik des Senats: Die dreht sich nur um Radfahrer und Beschränkung des individuellen Autoverkehrs, aber nicht darum, wie man Berlin per Fernbahn, Fernstraßen, Flughafen und Wasserstraßen adäquat anbindet. Das ist wirklich schade.

ZUR PERSON: Hartmut Mehdorn ist rumgekommen. 1942 in Warschau als Sohn eines deutschen Soldaten geboren, in Berlin zur Schule gegangen, bei einem halben Dutzend Unternehmen in Spitzenjobs gearbeitet, Ingenieur und Hauptmann der Luftwaffe. Der kleine Mann mit der hohen Stimme ist ein Wühler mit Durchsetzungskraft. Er war in der Flugzeugindustrie (Dasa), hat Maschinen gebaut (Heidelberger Druck), war kurz bei RWE und natürlich bei der Deutschen Bahn, deren Vorstandschef er zehn Jahre bis 2009 leitete. Für den Job brauchte man ebenso gute Nerven wie an der Spitze von Air Berlin (2011 bis 2013) und der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (bis 2015).

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