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Gründer. August Oetker begann seine Erfolgsgeschichte mit dem Verkauf von Backpulver.

© promo

Geschichte: Kuchen fürs Volk

Vor 150 Jahren wurde August Oetker geboren: Er prägte das Markenbewusstsein der Deutschen.

Berlin - Marie-Luise Haase wollte nicht ins Fernsehen. Die langjährige Angestellte beim Bielefelder Lebensmittelkonzern Dr. Oetker leitete in den 60er und 70er Jahren die Versuchsküche, in der das Unternehmen seine Produkte erprobte – mehr wollte sie nicht. Doch die Geschäftsführung überredete sie schließlich, zu Aufnahmen für TV-Werbespots nach Hamburg zu fahren. So wurde die Frau mit den kurzen, braunen Locken zur Werbe-Ikone von Dr. Oetker und Ansprechpartnerin tausender deutscher Hausfrauen. Sie buk und kochte, gab Tipps fürs Gelingen von Russischem Zupfkuchen, Käsetorte oder Plätzchen. Wie keine andere prägte sie das Bild der von Dr. August Oetker gegründeten Firma, dem Hersteller einer der ersten Markenartikel für die Massen in Deutschland. An diesem Freitag wäre August Oetker 150 Jahre alt geworden.

1891 hatte der gelernte Apotheker und Bäckersohn eine Apotheke in Bielefeld eröffnet. Im Hinterzimmer entwickelte er Arzneien und Schönheitsmittel. Als der Erfolg ausblieb, wandte er sich einem anderen Produkt zu: Er stellte ein Backpulver her, das geschmacksneutral und lagerfähig war. 1893 brachte Oetker es unter dem Namen Backin auf den Markt. Es steckte in kleinen Tütchen und war exakt für einen Kuchen portioniert. So mussten die Hausfrauen das Pulver nicht mehr im Lebensmittelgeschäft abfüllen lassen, in dem die meisten Waren in Säcken und Kisten angeliefert wurden. Die wichtigste Besonderheit aber: Auf dem Produkt prangten ein Logo und ein Markenname, beides war zu dieser Zeit bei Lebensmitteln völlig unüblich. So schaffte Oetker es, sein Produkt von anderen abzusetzen.

Backin fand reißenden Absatz: 1900 gab Oetker die Apotheke auf und ließ eine Produktionshalle errichten. In jenem Jahr verkaufte er 20 Millionen Päckchen Backin, 1914 waren es bereits 110 Millionen. Bald kamen Puddingpulver und Vanillezucker hinzu. Oetker ließ die Markennamen und das Logo schützen. Es prangt noch heute auf allen Verpackungen der Firma und zeigt einen weißen Damenkopf. Inspiration soll der Werbespruch „Ein heller Kopf verwendet nur Dr. Oetker’s Backpulver“ gewesen sein.

Die Marken, die um 1900 entstanden, darunter auch Maggi oder Persil, waren eine Reaktion auf die aufkommende Massenproduktion in der Industrialisierung. „Die Marke galt fortan als Vertrauensbeweis zwischen Kunde und Hersteller“, sagt Hans-Gerd Conrad. Er promovierte über die Werbung von Dr. Oetker. „Oetker war ein Werbepionier, dafür nahm er viel Geld in die Hand“, sagt Conrad. „Viele Werbeinstrumente, die wir heute nutzen, hat Oetker erstmals eingesetzt.“

So begann der Unternehmer Anfang des 20. Jahrhunderts, Rezepte auf seine Backin-Päckchen zu drucken, bald folgten Rezeptsammlungen, später Kochbücher, die millionenfach verkauft wurden. Natürlich wurden für die Zubereitung Produkte von Dr. Oetker empfohlen. 1918 starb der Gründer, seine Nachfolger setzen weiter auf eindringliche Werbung. Mitte der 20er Jahre ließ das Unternehmen seine Hausfrauenberatung durch die Städte ziehen: Eine Küche auf Rädern, angetrieben von einem Generator in Form eines Gugelhupfes. Dort wurde gebacken und gekocht, es gab Kostproben und später auch Filmvorführungen.

Für seine Rolle im Zweiten Weltkrieg wurde das Unternehmen immer wieder scharf kritisiert. Der damalige Geschäftsführer Richard Kaselowsky, Ehemann von August Oetkers Tochter Ida, war überzeugter Nazi, die Firma unterstützte das Dritte Reich. Kaselowsky starb 1944 bei einem Bombenangriff.

Nach dem Krieg übernahm der Enkel des Gründers, Rudolf-August Oetker, im Alter von 28 Jahren die Firma. Unter seiner Leitung schaltete das Unternehmen den ersten Werbetrickfilm in deutschen Kinos und Hörfunkspots. Als der Fernseher Einzug in die Wohnzimmer hielt, vermarktete sich Dr. Oetker auch dort: Erst mit „Frau Renate“, die den Hausfrauen Tipps fürs Backen gab, in den 60ern dann durch Filme mit der 2004 verstorbenen Marie-Luise Haase. „Bei den Dreharbeiten war ständig ein Fahrdienst zwischen Hamburg und Bielefeld eingerichtet, der die Kuchen aus der Versuchsküche in Westfalen in den Norden brachte“, berichtet Frank Becker. Der Bielefelder hat ein privates Filmarchiv und sich intensiv mit der Geschichte der Oetkers beschäftigt. Das Scheinwerferlicht schadete besonders den Sahnetorten, die unter der Hitze der Strahler dahinschmolzen.

Weil im Laufe der 50er Jahre der Absatz mit den klassischen Produkten zum Backen und Kochen zurückging, setzte Dr. Oetker fortan auf Backmischungen und verzehrfertige Puddings. In den 70er Jahren kam das Geschäft mit Tiefkühlkost hinzu, Dr. Oetker brachte die erste Tiefkühlpizza nach Deutschland. Rudolf-August erschloss zudem neue Geschäftsfelder. Das Unternehmen investierte in Versicherungen, in ein Schifffahrtsunternehmen und in ein Bankhaus. So entstand die Oetker-Gruppe.

Die Zukäufe zahlten sich aus. Auch wenn die meisten heute bei Oetker an Backmischungen, Pudding und Pizza denken dürften, hat die Unternehmensgruppe längst wichtigere Standbeine: Die Zentrale in Bielefeld steuert rund 400 Unternehmen, darunter Brauereien, Sektkellereien, eine Reederei, ein Bankhaus sowie Luxushotels. Die bekannten Biermarken Jever und Radeberger, aber auch die Sektmarken Henkell und Fürst von Metternich und Wodka Gorbatschow gehören zu Dr. Oetker. Die Gruppe ist zu 100 Prozent im Familienbesitz der acht Nachfahren von August Oetker. Seit 2010 wird sie von Augusts Urenkel Richard Oetker geführt, macht einen Jahresumsatz von 9,5 Milliarden Euro und hat weltweit mehr als 25 000 Mitarbeiter. Den größten Umsatzanteil bei Oetker hat die Reedereigruppe Hamburg Süd.

In der Werbung ist Dr. Oetker bei seiner Linie geblieben. Das Unternehmen will mit seiner Marke Qualität und Tradition transportieren, Attribute, die nach Jahrzehnten der Discount-Mentalität gerade wieder modern geworden sind. Man wolle „ein Stück Zuhause vermitteln“, heißt es bei Dr. Oetker. Nur eine neue Frau Haase gibt es nicht.

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