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Der Desertec-Vordenker Gerhard Knies, hier bei einer Tagung im Mai 2011 in seiner Heimatstadt Hamburg, ist am 11. Dezember 2017 im Alter von 80 Jahren gestorben.

© imago stock&people

Gerhard Knies ist tot: Der Vordenker des Desertec-Wüstenstroms

Der Physiker Gerhard Knies trieb die Desertec-Vision voran. Jetzt starb er nach Krankheit mit 80 Jahren. Ein Nachruf

Ein Konferenzzentrum in Barcelona im Oktober 2010: Alle Tagesordnungspunkte sind abgearbeitet, da schiebt sich der heimliche Star des Abends, der Hamburger Physiker Gerhard Knies, durch ein Stimmengewirr aus Spanisch, Englisch, Deutsch, Französisch und Arabisch in Richtung Bierstand. „Ich bin total von den Socken“, sagt der damals 73-Jährige noch etwas aufgedreht und außer Atem. In diesen Minuten lebt der Senior seinen Traum.

1995 hatte Knies eine fast 100 Jahre alte Idee von der sauberen Stromerzeugung in der Wüste ausgegraben, entstaubt und mit Zahlen unterfüttert. Mehr als zehn Jahre lang hatte das nur ein paar Fachleute und chronische Weltverbesserer interessiert. 2009 aber schlossen sich einige der größten Industrie- und Finanzkonzerne Europas zur Desertec-Initiative zusammen, um Knies Konzept umzusetzen: Bis zum Jahr 2050 wolle man rund 400 Milliarden Euro in solarthermische Anlagen und Windräder in der Sahara investieren, damit die Region ihren Strom weitgehend ohne Öl und Gas erzeugen kann, genug um Teile nach Europa zu leiten, hieß es. Die Idee provozierte auch Widerstand, es gab Missverständnisse.

Knies wollte kein Desertec-Guru sein

Ein Jahr später sitzen in Barcelona mehr als 300 hochrangige Unternehmensvertreter, Politiker und Forscher zusammen, um über die praktische Umsetzung zu beraten. „In sechs Stunden geht auf die Wüsten der Erde mehr Sonnenenergie nieder, als die gesamte Menschheit innerhalb eines Jahres verbraucht.“ Diesen Satz von Gerhard Knies kennt jeder im Saal. Er steht auf der ersten Seite des Programms der Desertec-Stiftung. Gen Ende der Konferenz wird Knies dann vom Tagungsleiter als „Großvater von Desertec“ angekündigt. Der will aber kein Guru sein, schnappt sich das Mikro am Bühnenrand und antwortet: „Ja, danke. Aber es gibt sehr viele Väter.“ Dann lädt er die Teilnehmer in einer scheinbar freien und spontanen Rede nocheinmal richtig auf: „Wir müssen jetzt handeln“, ruft er zum Schluss.

Am Montag vergangener Woche ist dieser Gerhard Knies in Hamburg an einer Krebserkrankung gestorben. Das bestätigte seine Tochter Susanne Knies dem Tagesspiegel. Knies wurde 80 Jahre alt und hinterlässt seine Ehefrau, zwei Kinder, fünf Enkel – und eine unüberschaubare große Zahl von Mitstreitern, die wie er, das Mitglied der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome, hartnäckig und weiter nach Wegen suchen, wie diesem Planeten genug Ressourcen bleiben, damit bald auch zehn oder mehr Milliarden Menschen friedlich miteinander darauf leben können.

Als junger Physiker in Diensten der Kernkraft

Knies war als ältestes von sechs Geschwistern in einem pietistischen Pfarrhaus unter wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, berichtet ein enger Weggefährte, der Berliner Rechtsanwalt Friedrich Führ, Gründer der Desertec-Stiftung, in einem Nachruf. Knies erhielt ein Stipendium und arbeitete zunächst als Physiker im europäischen Kernforschungszentrum CERN in der Schweiz. „Die Tschernobyl-Katastrophe im April 1986 löste ein Umdenken bei ihm aus, er begann, sich mit den großen Menschheitsfragen zu befassen und sah zunehmend auch die Atomenergie kritisch“, schreibt Führ.

1995 verbrachte Knies dann ein Sabbatjahr am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), wo er das Potenzial der Wüsten für die Energieproduktion neu entdeckte. „Die Nationalstaaten sollten die Völker als Einheit und nicht als Konkurrenten begreifen und er steuerte Ideen bei, wie das praktisch funktionieren könne“, erklärt Führ. Oft habe Knies gefragt: „Sind wir wirklich so blöde und begehen als Menschheit kollektiven Selbstmord?“

Erste Projekte verlaufen im Sande

Nachdem sich Konzerne von Munich Re über Allianz und Eon 2009 feierlich darauf verständigt hatten, mit Partnern aus aller Welt in der Desertec Industrial Initiative (Dii) Wüstenstrom-Projekte voranzuschieben, war die Aufregung zunächst groß. Dann verliefen einzelne Projekte aber sprichwörtlich im Sande, erst stritt sich die Industrieinitiative mit der Stiftung, dann fiel sie auseinander – um jetzt mit neuem Konzept und realistischeren Ansprüchen weiterzuarbeiten.

Paul van Son, Geschäftsführer der Dii und nun außerdem Leiter des Energiekonzerns Innogy für die Mena-Region und die Türkei, verweist darauf, dass vieles von dem, was Knies angeregt hatte, noch kommen werde – nur anders. Neuerdings werde Solarstrom aus der Wüste zeitweilig für unschlagbar günstige zwei Cent je Kilowattstunde gehandelt. „Es ist unwirklich, dass Gerhard nicht mehr unter uns ist. Er war stets, durch dick und dünn, unser Freund, Kritiker und Inspirator. Desertec, seine Idee, woran er lange gearbeitet hat, lebt weiter und wird Realität“, erklärt van Son. Aber: „Gerhard hat einen Trend eingeleitet, der nicht mehr zu stoppen ist.“

Lesen Sie hier weitere Reaktionen zum Tode von Gerhard Knies auf der Seite der Desertec Foundation.

Wenige Monate vor seinem Tod hat Gerhard Knies einen Beitrag für den Band "Wir sind dran" des Club of Rome geschrieben. Er wurde im Herbst 2017 veröffentlicht. Der Beitrag findet sich ab Seite 354.

Korrektur: In einer ersten Version des Textes stand, Paul van Son sei "RWE-Manager" in Dubai.

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