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Die EZB flutet den Markt weiterhin mit viel billigem Geld. Und das für längere Zeit, so sagt EZB-Chef Mario Draghi.

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Entscheidung der Europäischen Zentralbank: Billiges Geld - wem nutzt es, wem schadet es?

Seit Jahren flutet Europas Zentralbank mit ihrem Chef Mario Draghi die Märkte mit billigem Geld. Am Donnerstag öffnete sie die Schleusen noch mal. Welche Folgen hat diese Politik für die Anleger?

Eines ist nach diesem Donnerstag klar: Geld wird in Europa noch sehr lange sehr billig bleiben. „Der Rat erwartet, dass die Leitzinsen für längere Zeit auf dem jetzigen oder einem noch niedrigeren Niveau liegen werden“, sagte der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, am Donnerstag nach der Sitzung des EZB-Rats. Zuvor hatte die, so Draghi, „überwältigende Mehrheit“ der Mitglieder dafür gestimmt, die Geldschleusen noch weiter zu öffnen. Der deutsche Bundesbank-Chef Jens Weidmann, ein Kritiker der Politik des billigen Geldes, durfte wegen des Rotationsprinzips im Rat ausnahmsweise nicht mitstimmen. Für die Finanzminister der Euro-Länder ist die Geldschwemme gut, denn sie zahlen kaum Zinsen auf die Staatsschulden. Doch für andere ist das billige Geld Gift. Sparer erhalten immer weniger für ihr Geld, das sie zur Bank bringen, Immobilien werden noch teurer und die Zukunft der Altersvorsorge ist ungewiss.

Drohen Blasen an den Börsen?

Das billige Geld, davon sind Experten überzeugt, landet zu einem großen Teil an den Finanzmärkten und damit am Aktienmarkt. Kein Wunder also, dass der Dax nach der überraschenden Entscheidung, den Leitzins auf null zu senken, erst einmal um 2,5 Prozent nach oben geschossen ist. Da Anleihen und Sparanlagen praktisch nichts bringen, fließt viel Geld in Aktien. Das schürt die Gefahr von Spekulationsblasen. Die Nervosität ist hoch. Die Kurse der 30 im Dax gelisteten Aktien, die im vergangenen Jahr in die Höhe geklettert waren, sind seit Jahresanfang um fast zehn Prozent gefallen – seit dem Höchststand im April vergangenen Jahres von knapp 12.400 Punkten sogar um nahezu 20 Prozent. Das spricht gegen eine Blase. Hinzu kommt, dass deutsche Unternehmen derzeit solide dastehen und – mit Ausnahme der Deutschen Bank und der Energiekonzerne – Rekorddividenden von insgesamt mehr als 30 Milliarden Euro ausschütten. Es gibt also durchaus gute Gründe, Aktien zu kaufen.

Stehen wir vor einer neuen Bankenkrise?

Das klassische Bankgeschäft lebt von der Zinsspanne, also der Differenz zwischen dem Einlagezins für Sparer und dem Zins für Kredite. Die Niedrigzinsen lassen diese Spanne immer weiter schrumpfen, dadurch steigt der Druck auf die Gewinne. Nicht nur Uwe Fröhlich, Präsident des Bundesverbandes der Volks- und Raiffeisenbanken, spricht daher von einer „zerstörerischen“ Geldpolitik der EZB. Experten befürchten, dass Banken möglicherweise wieder auf riskantere Geschäfte ausweichen, um Einnahmen zu erwirtschaften. Hinzu kommen die aus Sicht der Banken überzogene Regulierung und die verschärften Kapitalauflagen, die ebenfalls sehr viel Geld kosten.

Zahlen Sparer bald Strafzinsen?

Wenn die Banken bei der EZB über Nacht Geld parken, müssen sie einen Strafzins von derzeit 0,3, nach dem gestrigen Beschluss künftig von 0,4 Prozent zahlen. Damit steigt die Gefahr, dass Banken und Sparkassen diesen Minus-Zins auch an Sparer weiterreichen. Das wolle man den Sparern nicht zumuten, heißt es bei Volks- und Großbanken sowie den Sparkassen. Grundsätzlich ausschließen wollen die Banker das aber nicht. Bislang ist diesen Schritt aber nur die kleine Skatbank in Thüringen gegangen. Für Großkunden und mittlerweile zum Teil auch für den Mittelstand sind Negativzinsen aber schon seit mehr als einem Jahr Realität.

Wer genauer hinschaut, sieht aber, dass faktisch auch auch schon viele Kleinsparer draufzahlen. Zahlreiche Banken und Sparkassen gewähren etwa auf Tagesgeld-Konten nur noch Zinsen von 0,001 Prozent. Selbst bei einer Inflationsrate von nur 0,5 Prozent müssen die Sparer Verluste hinnehmen. Zudem müssen sie sich auf höhere Preise für andere Bankdienstleistungen einstellen. Kostenfreie Girokonten wird es bald kaum noch geben. Mit der Berliner Hyp hat jetzt außerdem die erste Bank eine Anleihe über eine halbe Milliarde Euro mit einem negativen Zins aufgelegt: Rendite minus 0,162 Prozent. Anleger haben trotzdem beherzt zugegriffen, weil der Pfandbrief als sicher gilt.

Werden Immobilien jetzt noch teurer?

Geht es abwärts mit den Zinsen, geht es aufwärts mit den Immobilienpreisen. Und Experten sagen: Die Preise haben ihren Zenit noch nicht erreicht. Vor gut einem Jahr hat die Bundesbank in einem Bericht noch gewarnt, dass die „Gefahr einer Blase“ auf dem Immobilienmarkt drohe. Doch vor knapp einem Monat war im aktuellen Monatsbericht davon keine Rede mehr. Dafür aber von einer „Überbewertung“ von Immobilien in Höhe von rund 20 Prozent. Ähnlich äußerten sich jüngst auch die Immobilienweisen in ihrem Jahresbericht. Besonders betroffen seien Metropolen wie Berlin oder München. Und warum ist das dann noch keine Blase? Weil erstens weiterhin Kapital in den Markt in rauen Mengen fließt, da es wenig sichere Alternativen gibt. Hinzu kommt, dass es in Metropolen an Wohnungen mangelt, darin sind sich alle Experten einig. Das anhaltende Bevölkerungswachstum in den Ballungsgebieten werde die Wohnungsnot weiter verschärfen. Deshalb steigen die Mieten und die Kaufpreise immer noch. Die Immobilienkäufer spekulieren darauf, dass wenn sie die Wohnung heute über Wert kaufen, der Anstieg der Mieten und Kaufpreise in zwei bis drei Jahren diese Lücke schließen wird.

Ist die Altersvorsorge in Gefahr?

Die Zinspolitik der EZB macht die Altersvorsorge schwer. Lebensversicherer verdienen immer weniger, das bekommen auch die Versicherten zu spüren. Im vergangenen Jahr lag die durchschnittliche Gesamtverzinsung ihrer Verträge bei 3,9 Prozent, 2013 waren es noch 4,24 Prozent gewesen. Nur die hochverzinsten Wertpapiere der Versicherer aus alten Zeiten bewahren die Kunden vor schlimmeren Abstürzen. Doch diese Anlagen laufen peu à peu aus. Private Lebensversicherungen, Betriebsrenten und Versorgungswerke bringen daher weniger als einst kalkuliert. Aber auch die staatlichen Systeme sind betroffen, die gesetzliche Rentenversicherung etwa. Sie bekommt für die Milliarden, die sie als Reserve vorhält, weniger Rendite, der Gesundheitsfonds der gesetzlichen Krankenkassen musste 2015 sogar Strafzinsen zahlen. Noch härter trifft es derzeit die Mitglieder privater Krankenversicherungen. Viele Unternehmen erhöhen ihre Beiträge, weil sie mit Zinseinnahmen gerechnet haben, die weggebrochen sind.

Bremst die EZB Reformen der Euro-Länder?

Die Inflation ankurbeln und die europäische Wirtschaft stärken – das will die EZB mit ihrer Politik. Nach einer neuen Studie der DZ Bank profitieren vor allem Spanien und Italien von der Geldflut. Doch haben die Länder die Atempause genutzt, um Reformen einzuleiten? Ja, meint der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. „Länder wie Spanien, Portugal und Irland haben tiefgreifende Reformen umgesetzt, die unsere eigene Agenda 2010 bei Weitem übertreffen“, sagte Fratzscher dem Tagesspiegel. „Wir sehen bereits heute die ersten Erfolge – Spanien wächst sehr viel stärker als Deutschland.“ Selbst im Krisenstaat Griechenland macht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Anzeichen für eine Trendwende aus. „Die Reformen beginnen Früchte zu tragen“, sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría am Donnerstag. Für 2017 rechnet er dort mit einem Wachstum von fast zwei Prozent.

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