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Elektroautos fahren emissionsfrei. Das ist gut für das Stadtklima und wird vor allem in wachsenden Metropolen immer wichtiger.

© Illustration: Jens Bonnke für den Tagesspiegel

Elektromobilität in Deutschland: Elektro für die Massen

Wie wird Deutschland zum führenden Markt für E-Autos? Ein Fünf-Punkte-Plan für die nächsten Jahre.

Deutschlands Autofahrer können sich freuen: Die Benzinpreise sind so niedrig wie seit Jahren nicht mehr. Gleichzeitig exportieren unsere Autobauer erfolgreich in alle Welt. Die Momentaufnahme sieht also gut aus. Doch die Mobilität befindet sich mitten im Umbruch. Das Bedürfnis nach ihr wächst, während ihr Ressourcenverbrauch und ihre Emissionen sinken müssen. Ein Schlüssel liegt in der Elektromobilität. Sie wird kommen – die Frage ist nur, welche Rolle Deutschland dabei spielen kann.

Elektroautos fahren lokal emissionsfrei. Das ist gut für das Stadtklima und wird insbesondere in den wachsenden Mega-Cities immer wichtiger. Sie fahren energieeffizient und – aufgeladen mit „grünem“ Strom – sogar klimaneutral. Zudem können sie als mobile Energiespeicher die Energiewende stabilisieren.

Hinzu kommt die Digitalisierung im Mobilitätssektor, die von einer Revolution in der Fertigung – Industrie 4.0 – über neue Geschäftsmodelle mit Smart Services bis hin zum selbst fahrenden Auto reicht. Beide Umbrüche, Elektromobilität und Digitalisierung, werden die Spielregeln grundlegend verändern: weg von einer produktzentrierten und hin zu einer vernetzten, Service-orientierten Mobilität, in der Kunden die besten Mobilitätsdienstleistungen für ihre Wege kombinieren.

Deutsche Autobauer bauen ihre Führungsrolle aus

Im Dezember übergab die Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) ihren Fortschrittsbericht an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Bilanz der Marktvorbereitung kann sich sehen lassen. Mit 17 Fahrzeugmodellen heimischer Autobauer ist die Industrie auf dem Weg zum internationalen Leitanbieter. 2015 bringen die deutschen Hersteller weitere zwölf Serienmodelle auf den Markt. Die beteiligten Branchen – Automobil, Energie, Chemie, Maschinenbau und Informations- und Kommunikationstechnologien – arbeiten eng zusammen.

Dank des Combined Charging Systems (CCS) gibt es den Elektromobilitäts-Stecker für Europa und die USA. Und dank angepasster Studiengänge und Ausbildungen wird qualifiziertes Fachpersonal ausgebildet. Vonseiten der Anbieter ist Deutschland bestens aufgestellt für das Zeitalter der Elektromobilität.

So weit, so gut. Doch in der Marktentwicklung ist Deutschland erst im Mittelfeld angekommen. Bleibt also die Revolution in der Mobilität aus? Alle Beteiligten sind sich einig: Sie hat bereits begonnen. Der BMW-Aufsichtsratschef Joachim Milberg sagte kürzlich in einem Interview, er rechne bis 2020, spätestens 2023, mit zehn Prozent Marktanteil von Elektroautos.

Ab diesem Jahr beginnt Phase 2: der Markthochlauf mit dem Ziel eines internationalen Leitmarkts (Siehe Seite B2). Diese Phase entscheidet darüber, bei welcher Stückzahl wir 2020 landen und ob wir ein weltweit wegweisendes Gesamtsystem der Elektromobilität erreichen. Erstmals wurde in diesem Jahr die Marke von 2000 verkauften Autos pro Monat übersprungen. Im ersten Quartal sind mehr als doppelt so viele E-Fahrzeuge verkauft worden wie vor einem Jahr.

Das ist erst der Anfang

Trotz solcher Zuwachsraten um etwa 100 Prozent sind Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen noch ein Hingucker. Unsere Ziele, Leitmarkt, Leitanbieter und eine Million Elektrofahrzeuge in Deutschland bis 2020, sind deshalb in Reichweite – wenn wir die Markt- und Technologieentwicklung jetzt klug fördern. Die Nationale Plattform Elektromobilität schlägt deshalb einen 5-Punkte-Plan vor:

1. Mit einer Sonder-Abschreibung (Sonder-Afa) die Beschaffung von Elektrofahrzeugen in Fahrzeugflotten fördern

2. Das Gesetzespaket zur Förderung der Elektromobilität zügig umsetzen

3. Den Aufbau des öffentlichen Ladenetzes durch Investitionspartnerschaften beschleunigen

4. EU-Richtlinie für alternative Kraftstoffe inklusive Aufbau der Ladeinfrastruktur gemäß der Empfehlungen der Normungs-Roadmap Version 3.0 umsetzen

5. Private und öffentliche Beschaffungsinitiativen starten

Fast zwei von drei Neuwagen sind Dienstfahrzeuge. In Flotten zahlen sich die niedrigen Betriebskosten von E-Fahrzeugen wegen der hohen, aber planbaren Fahrleistung besonders gut aus. Ein überaus wirksamer Hebel, um den Markt aufzubauen, sind Beschaffungsinitiativen. Einige Politiker und Firmenmanager gehen ja schon mit gutem Beispiel voran und fahren elektrisch. Doch das ist erst der Anfang. Allein von den rund drei Millionen Fahrzeugen in öffentlichen Flotten könnten Studien zufolge bis zu 80 Prozent elektrisch fahren.

Es bleibt noch die Frage der Reichweite

Elektroautos fahren emissionsfrei. Das ist gut für das Stadtklima und wird vor allem in wachsenden Metropolen immer wichtiger.
Elektroautos fahren emissionsfrei. Das ist gut für das Stadtklima und wird vor allem in wachsenden Metropolen immer wichtiger.

© Illustration: Jens Bonnke für den Tagesspiegel

Es spricht also viel dafür, in der eigenen Firma oder öffentlichen Einrichtung Elektrofahrzeuge anzuschaffen. Deshalb ist eine Sonderabschreibung (Sonder-Afa) für gewerblich genutzte Elektrofahrzeuge ein besonders effektiver Marktanreiz. Sie ermöglicht es, E-Fahrzeuge im ersten Jahr zu 50 Prozent abzuschreiben. Nach Berechnungen der NPE kostet dieser Anreiz lediglich 0,2 Milliarden jährlich, entfaltet aber eine große Hebelwirkung. Und da viele dieser Autos später auf dem Gebrauchtwagenmarkt landen, öffnet die Sonder-Afa der Elektromobilität auch die Tür in den Privatmarkt.

Das jüngst vom Bundestag und Bundesrat verabschiedete Elektromobilitätsgesetz ist ein wichtiger erster Schritt und sollte rasch umgesetzt werden: Spezielle Kennzeichen für Elektrofahrzeuge ermöglichen erst Anreize wie E-Parkplätze oder die freie Benutzung von Busspuren. Kommunen können sich auf diese Weise zu Hotspots einer nachhaltigen Mobilitätsform machen, die zukunftsweisend ist und das Stadtklima sofort verbessert.

Beim Thema Reichweite muss man genau hinschauen. Durchschnittlich fahren wir rund 22 Kilometer am Tag. Schon heute decken die Reichweiten der verfügbaren Modelle 90 Prozent aller geplanten Fahrten ab. Dennoch verunsichert die niedrigere Reichweite viele Menschen. Für den Übergang sind Plugin-Hybrids eine Option.

Langfristig hilft eine bedarfsorientierte Versorgung mit Ladestationen: Die Menschen wollen sich darauf verlassen können, dass sie ihr Auto zu Hause, am Arbeitsplatz, aber auch an einer öffentlichen Normal- oder Schnellladesäule unterwegs auftanken können. Dies muss so einfach und zuverlässig funktionieren, als tanke man Benzin.

Einheitliche europäische Regelung ist nötig

Mit derzeit 5500 öffentlich zugänglichen Normalladepunkten und 100 Schnellladepunkten haben wir eine gute Basis für den Markthochlauf. Wir rechnen damit, dass 85 Prozent der Ladeinfrastruktur privat sein wird, dass also E-Fahrzeuge vielfach in der heimischen Garage oder am Arbeitsplatz geladen werden. Nur etwa 15 Prozent der benötigten Ladestationen müssen somit öffentlich zugänglich sein – hier ist erstrebenswert, dass sich während der Markthochlaufphase öffentlich-private Investitionspartnerschaften entwickeln.

Wir sollten beim Marktaufbau auch über den Tellerrand schauen. Wenn die Märkte allzu heterogen und E-Autos nicht grenzüberschreitend nutzbar sind, wird die Elektromobilität im kleinteiligen Europa ausgebremst. Die europaweite Interoperabilität der Bezahlsysteme beispielsweise ist technisch kein Problem und lässt sich über die jüngst angekündigte paneuropäische Kooperation der bestehenden Roaming-Plattformen garantieren.

Voraussetzung hierfür wäre, dass die Registrierung von Anbietern und Nutzern europaweit vereinheitlicht wird. Die rasche Umsetzung einer EU-Richtlinie für alternative Kraftstoffe und für den Aufbau der Ladeinfrastruktur gemäß der Empfehlungen der „NPE-Normungs-Roadmap 3.0“ muss dafür den Rahmen schaffen.

Die Rolle eines führenden Technologieanbieters erreichen wir, wenn wir Forschung und Entwicklung weiter vorantreiben: an der nächsten Generation von Elektrofahrzeugen und namentlich an der nächsten Batteriegeneration. Die Vorgaben sind klar: Wir brauchen möglichst Autos mit hoher Reichweite zu möglichst niedrigen Kosten.

Bei der Batterieproduktion hinkt Deutschland den Asiaten hinter

Bis zu 40 Prozent der Wertschöpfung entfallen beim E-Auto auf die Batterie. Deutschland hat in die Batterieforschung investiert und produziert erfolgreich Batterien in Deutschland. Allerdings beziehen wir noch weitgehend die benötigten Batteriezellen von Lieferanten aus Asien. Es ist im Interesse des Wirtschaftsstandortes, diese Lücke in der Wertschöpfungskette bei der nächsten Zellgeneration (Post-Lithium) zu schließen.

Dort erwarten wir einen Leistungssprung: Bis 2025 wird sich die Reichweite der Fahrzeuge verdoppeln – oder aber der Preis für eine gewünschte Reichweite halbiert sich. Investitionen in die Forschung und Entwicklung an der nächsten Fahrzeug- und Batteriegeneration werden sich deshalb auszahlen. Das Ziel muss sein, die nächste Batteriezellengeneration und natürlich die Batterietechnik als Ganzes in Deutschland zu entwickeln und auch zu produzieren

Dass Deutschland sich seit Gründung der NPE im Jahr 2010 vonseiten der Technologie bereits ins Spitzenfeld vorgearbeitet hat, ist beachtlich. Darauf aufbauend sollten wir nun auch bei der Marktentwicklung durchstarten. An der Leitanbieterschaft hängen Wertschöpfung und viele Arbeitsplätze. Doch erst mit der Entwicklung des Leitmarkts erfüllt sich das eigentliche Versprechen einer nachhaltigen, emissionsfreien und zugleich attraktiven und bezahlbaren Mobilität. Dann können wir uns über die niedrigen Benzinpreise von heute freuen, ohne uns von ihnen abhängig zu machen: Das Land, in dem das Auto erfunden wurde, kann und sollte auch ein Pionier der nächsten Fahrzeuggeneration werden.

Professor Dr. Henning Kagermann ist der Vorsitzende der Nationalen Plattform für Elektromobilität (NPE).

Henning Kagermann

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