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Eigentlich kein Problem: Seit mehr als 30 Jahren betreiben Thomas Reichle (links) und Andreas Schmucker ihr Musikgeschäft.

© Doris Spiekermann-Klaas

UN-Sanktionen treffen Berliner: Wie zwei Musikhändler wegen Nordkorea Ärger bekamen

Sie verkaufen eine Flöte und eine Klarinette – und plötzlich stehen Zollfahnder im Laden, der Verfassungsschutz ruft an. Die Geschichte eines Versehens.

Von Carla Neuhaus

Die weißen Handschuhe der Männer fallen Thomas Reichle als Erstes auf. Zu siebt und ohne Vorwarnung kommen die Beamten an einem Vormittag in sein Musikgeschäft in Schöneberg. Die Männer positionieren sich kreuz und quer im Laden. Einer zeigt seinen Ausweis: Sie kämen von der Zollfahndung und hätten eine Frage zur Überweisung eines Kunden. „Er erklärte uns gleich, dass sie hier alles auch einpacken können, wenn wir uns nicht kooperativ zeigen“, sagt Reichle.

Noch heute, ein paar Monate später, klingt er schockiert. Als könne er nicht fassen, was ihnen da passiert ist. Wie es sein kann, dass ein mittelständischer Musikhändler plötzlich ins Visier der Behörden gerät. Wie sie es erst mit dem Verfassungsschutz zu tun bekommen, dann mit Zollfahndung und Staatsanwaltschaft. Wie über zwei Jahre gegen sie ermittelt wird. Wie man ihnen mit einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren droht. Alles wegen einer Klarinette und einer Querflöte.

Seit 30 Jahren führen sie bereits ihr Geschäft

Dabei sind Reichle und seine Kollegen keine Anfänger in ihrem Metier. Bereits seit über 30 Jahren führen sie zu dritt das Musikgeschäft in der Nähe des Innsbrucker Platzes. Sie haben sich auf Holzblasinstrumente spezialisiert: Flöte, Klarinette, Oboe, Fagott, Saxophon. Zehn Mitarbeiter beschäftigen sie mittlerweile, die sie zum Teil selbst ausgebildet haben. Unter Musikern sind „Die Holzbläser“, wie das Geschäft heißt, gut bekannt. Nicht selten statten sie ganze Orchester mit Instrumenten aus. Manche ihrer Kunden reisen extra aus dem Ausland an, um sich bei ihnen eine neue Klarinette oder Flöte auszusuchen. Einmal um die halbe Welt reicht ihr guter Ruf. Selbst bis nach Nordkorea. Doch genau das ist zum Problem geworden.

Auf diesen abstrusen Gedanken, dass Musikinstrumente, welche für den persönlichen Gebrauch bestimmt sind, in Deutschland nicht an Nord-Koreaner verkauft werden dürfen, kommt doch kaum einer.

schreibt NutzerIn Lanarkon

Mit großer Politik hat man in dem Schöneberger Geschäft normalerweise wenig zu tun. Ohnehin scheint das Weltgeschehen an kaum einem Ort so weit entrückt wie hier. Töne, Noten, ein guter Klang: Nur das spielt hier eine Rolle. Im Verkaufsraum läuft leise Musik. Hinten führt eine Tür in die Werkstatt, wo zwei Mitarbeiter Instrumente warten und reparieren. Im Laden geht es gemächlich zu. Wer ein neues Instrument kaufen will, noch dazu ein besonders teures, der lässt sich Zeit. Eins nach dem anderen nehmen Reichle oder einer der Kollegen dann aus der Glasvitrine, reichen es dem Kunden, damit der es in einem der Proberäume in Ruhe testen kann.

Zu dritt kommen sie in den Laden - zwei Musiker, ein Dolmetscher

Bei den drei Asiaten, die an einem Tag im Sommer 2015 ins Geschäft kommen, ist das nicht anders. Zwei scheinen Musiker zu sein, einer Übersetzer. Später werden sich Reichle und sein Geschäftspartner Andreas Schmucker fragen, ob der Begleiter tatsächlich Dolmetscher war – oder nicht doch ein Offizieller aus Nordkorea? Aber an diesem Morgen gibt es keinen Grund für solche Zweifel.

Dass Kunden einen Begleiter mitbringen, der für sie spricht, ist nicht ungewöhnlich. Viele, die in den Laden kommen, studieren an einer der Musikhochschulen in Berlin. Unter ihnen sind auffallend viele Asiaten, die oft nur schlecht oder gar kein Deutsch sprechen. Da sind sie im Geschäft froh, wenn die Kunden jemanden mitbringen, der für sie übersetzt. Auch der Mitarbeiterin, die an diesem Tag die Kundschaft bedient, geht es so.

Sie suchen eine Klarinette und eine Querflöte. Die Mitarbeiterin zeigt ihnen mehrere Exemplare, die Kunden testen ein paar aus, wägen ab. Gekonnt beherrschen sie die Instrumente. Auch sind die Klarinette und die Querflöte, für die sie sich entscheiden, keine Exemplare, die ein Anfänger wählen würde. 9000 Euro kosten die zwei Instrumente zusammen.

Zahlen wollen die Kunden per Rechnung, bei der hohen Summe ist das nicht unüblich. Sobald sie den Betrag überwiesen hätten, könnten sie sich die Instrumente im Laden abholen, erklärt die Mitarbeiterin. Auch als sie für die Rechnung nach ihrer Anschrift fragt und eine Adresse in Pjöngjang genannt bekommt, wird sie nicht stutzig. Doch es soll dieses eine Wort auf der Rechnung sein, das für große Schwierigkeiten sorgt: der Name von Nordkoreas Hauptstadt.

Es geht um große Politik, um Sanktionen gegen Nordkorea

Denn von diesem Moment an geht es nicht mehr nur um einen Musikhändler aus Berlin, der zwei Instrumente verkauft. Es geht auch um einen Staat in Ostasien, der 2006 erfolgreich eine Atomrakete getestet hat und sein Kernwaffenprogramm bis heute vorantreibt. Als Reaktion darauf hat der UN-Sicherheitsrat internationale Sanktionen gegen Nordkorea verhängt. Erst vor wenigen Tagen sind sie noch einmal verschärft worden.

Diverse Produkte dürfen Unternehmen daher nicht nach Nordkorea verkaufen. Waffen, Hubschrauber, Schiffe und Technologie für Nuklearprogramme gehören dazu. Ebenso wie Luxusgüter. Die internationale Staatengemeinschaft will verhindern, dass die Elite Nordkoreas in Saus und Braus lebt, während die einfache Bevölkerung hungert. Deshalb dürfen auch keine teuren Autos dorthin exportiert werden, keine Weine, Kosmetika, Designerkleidung, keine Ausrüstung für Ski-, Golf- oder Wassersport. Und auch keine „qualitativ hochwertigen Musikinstrumente“. So steht es im Amtsblatt der Europäischen Union.

Dass man beim Verkauf ins Ausland vorsichtig sein muss, Vorschriften zu beachten sind, das weiß man im Musikgeschäft am Innsbrucker Platz durchaus. Trotzdem sagt Geschäftsführer Schmucker: „Mir wäre das genauso passiert.“ Auch er wäre womöglich bei der Adresse in Pjöngjang nicht stutzig geworden. Schließlich treten die drei als Privatleute auf. Nichts deutet darauf hin, dass sie die Instrumente im Auftrag des Staates erwerben.

„Hätte ein Orchester oder eine andere staatliche Einrichtung aus Nordkorea bei uns einen Satz Instrumente bestellt, hätten wir den Auftrag nicht angenommen“, sagt Schmucker. So jedoch scheint es für die Musikhändler ein Geschäft wie jedes andere zu sein. Als das Geld auf dem Konto eingegangen ist und der Begleiter die Instrumente kurz darauf im Laden abholt, ist die Sache für sie erledigt.

Für die Zollfahndung fängt die Arbeit da erst an. Alwin Bogan, Sprecher für den Fahndungsdienst in der Generalzolldirektion, sagt auf Anfrage, es sei unerheblich, ob man einer staatlichen Einrichtung oder einer Privatperson aus Nordkorea etwas verkauft. „Es kommt auf die Waren und ihren Bestimmungsort an – nicht auf den Käufer“, sagt Bogan.

Das Telefon klingelt - der Verfassungsschutz ist dran

Weil eben auch Musikinstrumente auf der Embargo-Liste stehen, ruft ein paar Tage später ein Mann vom Verfassungsschutz im Geschäft von Reichle und Schmucker an. Sie hätten Instrumente nach Nordkorea verkauft. Ob ihnen klar sei, dass das verboten ist, will er wissen. Erst von ihm erfahren sie, wie heikel der Verkauf tatsächlich war. Denn wie sich nun herausstellt, waren die Klarinette und die Querflöte wohl für die nordkoreanische Botschaft in Moskau bestimmt. Ob sie da tatsächlich angekommen sind, lässt sich nicht rekonstruieren. Wahrscheinlich wurden die Instrumente am Flughafen vom Zoll abgefangen.

Der Mitarbeiter vom Verfassungsschutz ist freundlich, er will die Händler aufklären. Per Post schickt er ihnen noch ein Merkblatt zu. Dann scheint der Fall abgehakt. Was Reichle und Schmucker zu dem Zeitpunkt nicht wissen: Die Staatsanwaltschaft schaltet sich ein und nimmt Ermittlungen gegen sie auf. Lange bekommen die Geschäftsführer davon nichts mit – bis ein Jahr später plötzlich die Zollfahnder in ihrem Laden stehen.

Ihnen drohen bis zu fünf Jahre Haft

Der Grund des Besuchs: Die Beamten wollen nachvollziehen, wann und wie die Instrumente bezahlt worden sind. Denn eine deutsche Rechnung zu begleichen, ist für Nordkoreaner nicht so einfach. Von dem Embargo ist auch der Geldtransfer in und aus der Volksrepublik betroffen. Nur in Ausnahmefällen werden Überweisungen gestattet, etwa wenn es darum geht, Lebensmittel zu bezahlen. So ist es dann auch nicht überraschend, dass das Geld von einer Bank aus Hongkong kam. Für die Fahnder eine entscheidende Information. „Zum Glück haben wir den Überweisungsbeleg auf Anhieb gefunden und konnten ihn ausdrucken“, sagt Reichle. So wird ihr Geschäft nicht durchsucht und nichts beschlagnahmt.

Abgehakt ist der Fall damit nicht. Nur wenige Tage später bekommen die Geschäftsführer Post von der Staatsanwaltschaft: Man wirft ihnen einen Verstoß gegen Paragraf 18 Außenwirtschaftsgesetz vor, weil sie das Embargo gebrochen haben sollen. Bis zu fünf Jahre Haft sind möglich. Schmucker kommt gerade aus dem Urlaub zurück, als ihn der Brief erreicht. „Meine Frau hat ihn geöffnet und war geschockt“, sagt er. Einzeln werden sie vorgeladen und sollen eine Aussage machen. Die Mitarbeiterin, die die drei Kunden bedient hat, soll als Zeugin erscheinen. Reichle und Schmucker schalten eine Anwältin ein, kommunizieren mit den Behörden jetzt nur noch über sie.

Sarah Diwell, die sich auf Wirtschaftsstrafrecht spezialisiert hat, hält den Fall für ungewöhnlich. „Die Kunden sind klar als Privatpersonen aufgetreten“, sagt sie. „Außerdem haben sie nie erwähnt, dass sie die Instrumente ins Ausland bringen wollen.“ Für sie ist klar: Das Verfahren kann nur eingestellt werden.

Zwei Jahre lang ist unklar, wie die Sache ausgeht

Doch die Ermittlungen gehen weiter, mehrmals kommen Nachfragen von der Staatsanwaltschaft. So wollen die Beamten noch einmal den zeitlichen Ablauf skizziert bekommen. Reichle und Schmucker kommen sich vor wie im falschen Film. „Man liest, dass die Staatsanwaltschaft in Berlin überlastet ist. Und dann beschäftigen sich die Beamten monatelang mit unserem Fall.“

Dass sie so lange unter Verdacht stehen, man ihnen nicht recht glauben mag, belastet die Geschäftsführer. Erst vor wenigen Tagen dann kommt endlich die Nachricht: Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren eingestellt  „mangels hinreichenden Tatverdachts“. Zurück bleibt Erleichterung. Aber auch das ungute Gefühl, wie schnell man ins Visier der Behörden geraten kann – wegen einer Klarinette und einer Querflöte.

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