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Aldi? In den einfach, aber stylisch eingerichteten Pop-up-Bistros des Discounters (hier in Köln) gibt es nur ein Menü.

© Marius Becker/dpa

Ein Supermarkt im Wandel: Aldi wird zum Discounter für Genießer

Kunden kaufen wieder mehr hochwertige Nahrung. Darum erfindet Aldi sich neu – und wird zum Umsatzgewinner.

Wenn ihr das Gefühl habt, ihr kommt nicht vorwärts, dann bewegt euch!“, feuert Pro-Sieben-Moderator Daniel Aminati Aldis Ladenmannschaft im Videoclip an. Um sie „krass“ zu machen, wird der Markt alsdann zum Trainingsparcours und seine Regale nach „sauberem“ Essen gescannt. „30 Prozent ist Sport, 70 Prozent die saubere Ernährung“, doziert der Muskelprotz. Wer es Aminati gleichtun will, konnte seine Online-Work-outs samt Outfit bei Aldi Süd kaufen. Der Discounter motiviert Kunden zur Bewegung und sich gleich mit. Das ist spätestens seit Herbst klar, als der Konzern, der sich in Aldi Nord und Aldi Süd aufteilt, gleich mit zwei Paradigmen brach: Erstmals seit Gründung schaltete der Lebensmittelhändler TV-Werbung in Deutschland. Und Aldi Nord und Süd warben gemeinsam. Im Spot „Einfach ist mehr“ plädieren Kinder in selbstkreativen Spielewelten für die Besinnung aufs Wesentliche. Neben TV, Radio und Plakaten lässt man den Simplifizierungsappell auch durch den Berliner Rapper Fargo transportieren. Sein eigens komponierter Song „Einfach sein“ macht sich fürs Wiedererlernen des Schlichten stark und wirbt so für Aldis Musik-Downloads. Zudem wird Aldi witzig – im Spot „Götter“ kann Zeus nur deshalb weiter orgiastische Partys im Olymp feiern, weil er seine Leckereien jetzt kostengünstig bei Aldi einkauft.

Aldi Nord und Aldi Süd agieren bei der Werbung nicht immer gemeinsam

Aber nicht alle Werbewege geht das Aldi-Imperium gemeinsam. Der Südteil macht mit bemerkenswerten Aktionen von sich reden: Im Online-Spirituosen-Shop meine-weinwelt.de berichten von Starköchin Sybille Schönberger moderierte Video-Reportagen von renommierten Szenelokalen und Weingütern. Im Mai legte ein hippes Schiffscontainer-Bistro im Medienhafen Köln an. Nach drei Monaten zieht es in andere Großstädte weiter, um Streetfoodkoch Robert Marx aus Aldi-Produkten Menüs für 7,99 Euro zaubern zu lassen. Selbstredend wird mit den Maßnahmen kommuniziert: Aldi ist guter, erschwinglicher Lifestyle. Das soll sich auch in den Geschäften zeigen. Ein Jahr ist es her, da kündigten die Süd-Aldianer an, edler im Design und hilfreich durch Services wie Kundentoiletten oder Kaffeeautomaten zu werden. Aldi Nord begann bereits vor fünf Jahren, Läden ein wertigeres Aussehen zu verleihen, und macht damit munter weiter. Etwa in Bernau bei Berlin, wo Aldi im Ortsteil Schönow nicht nur die Verkaufsfläche des Markts vergrößern will, sondern auch – laut amtlicher Ankündigung – die „Schaffung einer exklusiven Einkaufsatmosphäre durch ein vollständig überarbeitetes Ladenkonzept“ plant.

Die Kaufmentalität wandelt sich

„Discount ist die Kunst des Weglassens“. So definierten es die Gebrüder Aldi, als sie das Preisjäger-Paradies erfanden. Weil man alles so einfach wie nur möglich machte, konnte Aldi unschlagbare Preise bieten, ohne selbst auf Margen zu verzichten. Nun Unsummen in Werbung und Ladendesign zu investieren, gefährdet die Preisführerschaft, warnen deshalb überzeugte Discountpuristen. Die Erneuerungsbefürworter halten dagegen: Günstig und gut allein reiche modernen Kunden nicht aus. Um relevant zu bleiben, müssten Billiganbieter sich neu erfinden. Warum? Weil sich die Kaufmentalität wandelte. Das belegen GfK-Zahlen: Früher dominierte der Preis die Produktwahl. 2012 zog er mit der Qualität gleich. Heute sind schon 60 Prozent der Käufer bereit, für Besseres mehr zu zahlen.

Die Marke Aldi wird erlebbar

Da Vollsortimenter fixer mit Bio- und Regionalangeboten reagierten, profitieren sie stärker vom Trend. Darüber hinaus schürten sie mit Frischeoffensive, Ausbau von Discount- und Eigenmarken und emotionaler Werbung ihren Absatz. Schielten Rewe und Aldi früher auf Aldi und Lidl, ist es heute umgekehrt. Die Billigheimer lernen von der qualitätsorientierten Käuferansprache der Supermärkte, denn deren Jahreszuwächse sind höher als die eigenen. Laut EHI-Statistik war Edeka im vergangenen Jahr mit 33 Milliarden Euro Umsatzspitzenreiter, gefolgt von Aldi Deutschland mit 25,8 Milliarden Euro. Lidl sichert sich mit 18,6 Milliarden Euro Platz drei, knapp gefolgt von Rewe mit 18,4 Milliarden Euro. „2015 war für Aldi Deutschland ein schwaches Jahr, weshalb der Konzern verstärkt Herstellermarken listete. 2016 erwirtschaftete Aldi Nord, vor allem dank modernisierter Filialen, ein starkes Umsatzplus. Aldi Süd kam, trotz Markenaufrüstung, eben noch in die Zuwachszone“, analysiert Gfk-Konsumexperte Wolfgang Adlwarth, warum die Marke im Süden dringend etwas tun musste.

„Wir machen die Marke erlebbar und kitzeln emotionale Benefits heraus, die immer schon da waren“, beschreibt Petra Koch, Client-Service-Beraterin der Agentur Ogilvy & Mather für Aldi, die Positionierung. Sortiment und Läden seien und blieben überschaubar, Kunden könnten blind auf Qualität zum günstigsten Preis vertrauen. „Aktionen wie das Bistro unterstreichen die Wertigkeit des Angebots“. Deshalb gebe es hier täglich nur ein Menü, die Einrichtung mit schlichtem Holz und Lampen aus Aldi-Flaschen ist simpel gehalten – wirkt dennoch stylisch. Das Bistro überträgt das Aldi-Prinzip auf neue Bereiche. Der Discounter demokratisiert den Luxus – vor 20 Jahren mit Champagner, vor zehn mit Laptops, nun mit Esskultur.

Die Nachfrage bestimmt die Sortimentspolitik

Und wie steht es um das Discountergesetz: Von jedem Produkt nur eins? „Ins Regal kommt, was für Kunden relevant ist! Dafür verschwindet weniger Nachgefragtes wieder“, skizziert Koch die Sortimentspolitik. Mit nach wie vor nicht mehr als 2000 Artikeln sei das Angebot deutlich kleiner als im Supermarkt. Lässt man Umsatz als Maßstab gelten, honorieren Konsumenten den neuen Kurs. Im ersten Quartal 2017 ermittelte die GfK ein Plus von 5,6 Prozent für Aldi. „Werblich wird derzeit viel ausprobiert. Von Premiumangeboten wird aber nur das bleiben, wofür Kunden bereit sind zu zahlen“, prognostiziert der Handelsberater Johannes Berentzen von Wiesenhuber & Partner. Nicht jede Neuerung ist lukrativ. Das dürfte seit Februar klar sein, als die Schwarz-Gruppe Lidl-Vorstand und Modernisierungskopf Sven Seidl schasste – trotz eines Umsatzplus und obwohl Lidl den Wettbewerber Aldi im Kundenmonitor erstmals von Platz eins verdrängte. Da Schwarz-Gruppen-Chef Klaus Gehrig mehr Kostenbewusstsein wünscht, besinnt sich Aldis härtester Konkurrent wieder aufs schlichtere Einkaufen sowie seine Amerika-Expansion. Die angekündigte Modernisierung des Bestands verwarf man, die Express-Shops wurden kurz vor dem Launch gestoppt. Was vorerst bleibt, sind schickere Neubauten, herzergreifende Spots und die Kampagne „Du hast die Wahl“, die teure Marken mit günstigen eigenen vergleicht. Kann es also sein, dass Aldi doch sein Geschäftsmodell konterkariert? „Entscheidend ist, ob die Positionierung Platz genug für einen Harddiscounter lässt“, sagt Johannes Berentzen und rät, Netto und Penny im Blick zu behalten.

Rahel Willhardt

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