zum Hauptinhalt
Dunkles Kapitel. Daimler und die Diesel-Krise.

© dpa

Diesel-Krise erreicht Daimler: Schick - und schmutzig?

Jetzt gerät auch Daimler zunehmend unter Druck. Bis zu einer Million Dieselmotoren könnten manipuliert worden sein. Was bedeutet das für die Automobilindustrie?

Die Diesel-Krise weitet sich aus. Auch Daimler soll Berichten zufolge die Abgasreinigung von bis zu einer Million Motoren manipuliert haben. Anders als bei Volkswagen ist noch nichts bewiesen. Deshalb gilt beim Stuttgarter Autobauer bis auf Weiteres das Wort von Konzernchef Dieter Zetsche aus dem Herbst 2015: „Wir halten uns grundsätzlich an die gesetzlichen Vorgaben und haben keinerlei Manipulationen an unseren Fahrzeugen vorgenommen.“ Daimler, das Kraftfahrt-Bundesamt, der Bundesverkehrsminister, die Justiz – sie alle wollten die jüngsten Berichte und Spekulationen am Donnerstag nicht näher kommentieren. Klar ist aber: US-Behörden und deutsche Staatsanwaltschaften ermitteln intensiv in der Diesel-Affäre – und sie haben in den vergangenen Tagen den Druck massiv erhöht. Nicht nur auf Daimler, sondern auch auf mehrere Autohersteller und Zulieferer.

Wie verlaufen die aktuellen Ermittlungen gegen deutsche Autohersteller?

Vor einer Woche wird bei den Ermittlungen gegen die VW-Tochter Audi erstmals ein Beschuldigter in Deutschland verhaftet. Dem früheren Motorenentwickler werde Betrug und unlauterer Werbung vorgeworfen, teilt die Münchner Staatsanwaltschaft mit. Der Mann, so erklärt sein Anwalt, will aussagen. Bei Audi soll die Software ausgetüftelt worden sein, die später auch bei VW zur Manipulation von Dieselabgaswerten eingesetzt wurde. Drei Tage später nimmt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen einer möglichen Abgas-Manipulation bei Porsche auf. Auch hier lautet der Vorwurf: Betrug und strafbare Werbung.

Derweil laufen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen den VW-Konzern weiter. Wegen Betrugsverdachts stehen hier fast 40 Beschuldigte im Visier der Justiz, darunter der frühere VW-Vorstandschef Martin Winterkorn. Gegen ihn sowie VW-Markenchef Herbert Diess und den früheren Finanzvorstand und heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden Hans-Dieter Pötsch laufen zudem Untersuchungen wegen des Verdachts der Marktmanipulation.

Ende Juni hatte die US-Justiz im Abgas-Skandal fünf frühere Manager und Entwickler von Volkswagen weltweit zur Fahndung ausgeschrieben. In den USA laufen noch strafrechtliche Ermittlungen gegen frühere Manager und Entwickler des Unternehmens. Zwei von ihnen sitzen in U-Haft, einer von ihnen gilt als Kronzeuge. Gegen ein Schuldeingeständnis und milliardenschwere Schadensersatzzahlungen – Gesamtvolumen: 22 Milliarden Dollar – hatte Volkswagen in den USA die Einstellung der Verfahren wegen Betrugs erreicht. In Europa sind darüber hinaus noch unzählige Klagen von Aktionären und Autobesitzern gegen Volkswagen anhängig.

Sowohl bei Volkswagen als auch bei Daimler ist der weltgrößte Zulieferer Bosch in die Diesel-Ermittlungen involviert. Denn Bosch hat die Software für die Abschalteinrichtung für VW entwickelt. Die Strafverfolger gehen deshalb beim Zulieferer dem Verdacht der Beihilfe zum Betrug nach. In den USA zahlte Bosch im Zuge eines Vergleichs 327,5 Millionen Dollar an US-Eigentümer von Dieselautos. Gegen den Autohersteller Opel, der ebenfalls unter Manipulationsverdacht stand, wird nicht mehr ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat Anfang April das Verfahren eingestellt.

Was wird Daimler vorgeworfen?

Daimler soll von 2008 bis 2016 in Europa und den USA Fahrzeuge mit einem unzulässig hohen Schadstoffausstoß verkauft haben, berichten „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR, die Einblick in den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Stuttgart hatten, der im Mai Grundlage einer Razzia bei Daimler war. Zwei bestimmte Motorenklassen (OM 642 und OM 651) hätten eine unzulässige Abschalteinrichtung enthalten, mit der die Schadstoffreinigung nur auf dem Prüfstand ein- und auf der Straße weitgehend ausgeschaltet worden sein soll. Die Motoren sollen dem Bericht zufolge in fast alle Mercedes-Typen eingebaut worden seien, unter anderem in die der C-, E- und R-Klasse. Grundsätzlich bestreitet Daimler, die Motorsteuerung seiner Fahrzeuge manipuliert zu haben. Stattdessen verweist der Hersteller – wie andere auch – auf gesetzlich erlaubte Spielräume bei der Abgasnachbehandlung in bestimmten Temperaturbereichen („Thermofenster“), um Bauteile im Motor zu schützen. Wie auch andere Hersteller hatte sich Daimler mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) darauf geeinigt, 247.000 Fahrzeuge „freiwillig“ zurückzurufen, um die Technik anzupassen.

Welche Konsequenzen drohen Daimler?

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Ermittlungen gegen Daimler ausgeweitet werden, ist gestiegen. Den Berichten zufolge wertet die Staatsanwaltschaft derzeit die Korrespondenz, vor allem den E-Mail-Verkehr, von 99 Daimler-Mitarbeitern aus. Konkret ermittelt wird gegen zwei namentlich bekannte Beschuldigte, man habe aber weitere Unbekannte im Blick. Treffen die Vorwürfe zu und wurden die Motoren tatsächlich regelwidrig manipuliert, drohen Daimler beziehungsweise den Fahrzeughaltern Stilllegungsverfügungen des Kraftfahrt-Bundesamtes, weil die Betriebserlaubnis der Fahrzeuge ungültig ist. Weder Daimler noch das KBA gehen davon allerdings derzeit dem Vernehmen nach aus.

Wie reagieren Politik und Verbraucherschützer?

Der Ton, den Politiker und Verbraucherschützer anschlagen, wird schärfer. Die frühere Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) forderte die Hersteller auf, sämtliche betroffenen Dieselfahrzeuge endlich so umzurüsten, „dass sie alle Vorgaben der Europäischen Union einhalten und ohne Fahrverbote überall fahren dürfen“, wie sie dem Tagesspiegel sagte. Auch der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir kritisierte, es werde „immer offensichtlicher, dass der Abgasskandal nur möglich gewesen ist, weil die Behörden über Jahre systematisch weggeschaut haben“. Dies sei „eine Bankrotterklärung der Bundesregierung“.

Herbert Behrens, Verkehrsexperte der Bundestagsfraktion der Linken und Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zum Abgasskandal, nannte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) „Komplize der Abgasbetrüger“. Dobrindts „Unfähigkeit, die Abgaskrise in ihrem gesamten Ausmaß zu erkennen und in den Griff zu bekommen“, bedrohe die Automobilindustrie mit ihren Beschäftigten und den Zulieferern im Kern.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte vor einer Woche die Zulassungsstellen in zehn deutschen Städten auf Entzug der Betriebserlaubnis für bestimmte Diesel-Modelle verklagt – unter anderem auch in Berlin. In Stuttgart und München werden nach erfolgreichen Klagen der DUH konkrete Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge vorbereitet, die nicht der Euro-6-Norm entsprechen.

Was tut die Autoindustrie?

Die deutschen Autohersteller haben den Ernst der Lage erkannt und sind beim Thema Diesel gesprächsbereit, wenn es etwa um die Nachrüstung älterer Fahrzeuge geht. Am 2. August tagt erstmals das von Verkehrsminister Dobrindt einberufene „Nationale Forum Diesel“. Ein staatstragender Titel für eine Diskussionsrunde mit offenem Ausgang. „Ziel ist es, wirksame Maßnahmen zur Reduzierung der Schadstoffemissionen bei Diesel-Pkw zu erreichen“, so lautetet Dobrindts Einladung. Neben den lange zerstrittenen Bundesministerien für Verkehr und Umwelt soll auch Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries am Tisch des Diesel-Forums sitzen. Hinzu kommen Vertreter der Bundesländer mit Autoindustrie, der Städte und Kommunen und nicht zuletzt die Branche selbst. Nicht allein die deutschen Hersteller und Zulieferer, die im VDA zusammengeschlossen sind, sondern ebenso der VDIK, der die ausländischen Marken vertritt. Bei einer möglichen Nachrüstung älterer Dieselautos plädieren die deutschen Konzerne für ein einheitliches Vorgehen. Es werde keine Stuttgarter und auch keine deutsche Lösung geben, sondern es werde ein europäisches Vorgehen erforderlich sein, sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche laut mehreren Berichten am Rande einer Veranstaltung. Dazu habe es auch ein Treffen in Brüssel gegeben.

Wie reagieren die Autokäufer?

Die Nachfrage nach Diesel-Fahrzeugen sinkt seit Monaten, zuletzt ist sie regelrecht eingebrochen. So fiel die Zahl der Neuzulassungen im Juni nach Angaben des KBA um 19 Prozent. Der Marktanteil lag nur noch bei 38,8 Prozent – vor einem Jahr waren es 46 Prozent. Für die Autohersteller wird die Entwicklung bedrohlich, denn Dieselmodelle zählen bislang zu ihren Verkaufsschlagern. Das liegt bei den deutschen Produzenten vor allem am hohen Dienstwagenanteil. Bei Audi und BMW sind zwei Drittel aller Neuzulassungen Diesel, Mercedes kommt auf eine Dieselquote von deutlich mehr als 50 Prozent.

Doch auch die europäischen Marken Renault, Fiat Chrysler oder PSA Peugeot Citroen haben ein Problem. Denn in Frankreich, Spanien und Italien sind die Diesel-Marktanteile noch höher als in Deutschland. Kleinere Hersteller wie Volvo ziehen aus der Abgaskrise Konsequenzen: Ab 2019 wollen sich die Schweden schrittweise vom Verbrennungsmotor verabschieden und auf Elektromobilität setzen. Vor einigen Jahren lag der Dieselanteil bei Volvo noch bei mehr als 80 Prozent.

Zur Startseite