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Anton Schlecker mit seinen Kindern Meike und Lars

© dpa/Stefan Puchner

Update

Pleite der Drogeriekette: Gericht verkündet Urteil über Anton Schlecker und seine Kinder

Das Landgericht Stuttgart entscheidet, ob der Drogerieunternehmer Anton Schlecker und seine Kinder ins Gefängnis müssen. Wie konnte es dazu kommen?

Knapp neun Monate nach Prozessbeginn verkündet das Landgericht Stuttgart am heutigen Montag um 13.00 Uhr das Urteil gegen den früheren Drogerieunternehmer Anton Schlecker. Wie es ausfällt, hängt entscheidend davon ab, wie das Gericht Schleckers Kenntnis über die drohende Pleite der Drogeriemarktkette beurteilt. Dem 73-Jährigen wird vorgeworfen, Millionen zur Seite geschafft zu haben, als er die Insolvenz seines Unternehmens schon absehen konnte.

Die Staatsanwaltschaft hat drei Jahre Haft für Anton Schlecker gefordert. Dessen ebenfalls angeklagte Kinder Lars und Meike sollen nach dem Willen der Anklagevertreter zwei Jahre und zehn Monate beziehungsweise zwei Jahre und acht Monate ins Gefängnis. Schlecker selbst hat betont, immer an den Fortbestand seiner Firma geglaubt zu haben. Die Verteidiger der Familie halten die Forderung nach einer Haftstrafe für überzogen. Sie zweifeln die Gutachten an, mit denen die Anklage ihre Vorwürfe belegt sieht.

Ursprünglich hatte auch Ehefrau Christa vor Gericht gestanden. Das Verfahren ist jedoch gegen Zahlung von 60.000 Euro vorzeitig eingestellt worden.

Was stand am Anfang des Endes?

Wie erzählt man die Geschichte vom Aufstieg und Fall des Anton Schlecker? Man könnte mit den 25.000 Schlecker-Frauen beginnen, die in den Filialen geschuftet und trotzdem am Ende ihren Job verloren haben. Oder man erinnert an Ursula von der Leyen, die als Arbeitsministerin mit ihrem „Lex Schlecker“ verhindern wollte, dass der Drogeriekönig Beschäftigten die Kündigung schickt, um sie dann zu Billiglöhnen als Leiharbeiter anzuheuern. Auch Philipp Rösler könnte am Anfang dieser Geschichte stehen. 2012, als alles zu spät war und Schlecker Insolvenz anmelden musste, war der FDP-Mann Bundeswirtschaftsminister. Statt eine Transfergesellschaft zu unterstützen, riet Rössler den arbeitslosen Verkäuferinnen, sich mithilfe des Arbeitsamts eine „Anschlussverwendung“ zu suchen. Ein kaltes, technokratisches Wort, das zu Röslers Karriereende beigetragen haben dürfte.

Vorfahrt für die Familie

Vielleicht startet man aber am besten mit dem Aufzug. Der steht in einem Bürogebäude in Ehingen bei Stuttgart. Damals war dort die Firmenzentrale von Schlecker. Wenn Anton Schlecker, seine Frau Christa oder die Kinder Meike und Lars mit dem Lift fahren wollten, mussten alle anderen warten. „Bitte aussteigen, Privatfahrt!“, hieß es dann, wird erzählt. Die Schlecker-Firmenzentrale ist heute Geschichte, so wie das ganze Unternehmen. Aus dem Schlecker-Headquarter ist der EHD Businesspark Ehingen geworden. Christa Schlecker hat dort ein Büro gemietet, Anton Schlecker hat nichts mehr. Trotzdem soll der jetzt 73-Jährige noch immer fast jeden Tag mit dem Lift in den sechsten Stock der alten Zentrale fahren.

„Die Insolvenz war unvorstellbar für mich“, hatte Anton Schlecker zu Beginn des Prozesses im März erklärt. Ein knappes Dreivierteljahr später klingt das etwas anders. „Nach den vorläufigen Ausführungen des Gerichts kann man zu der rechtlichen Einschätzung gelangen, dass sich mein Unternehmen im Laufe des Jahres 2011 im Zustand drohender Zahlungsunfähigkeit befunden hat“, liest Anton Schlecker Mitte November vom Blatt ab. Es ist der 27. Prozesstag und der 27. Montag, den Schlecker und seine Kinder im Gericht verbringen. Was sie an diesen Montagen zu hören bekommen, ist wenig schmeichelhaft. Ehemalige Führungskräfte zeichnen das Bild eines Patriarchen, der sich nichts hat sagen lassen. Der das Imperium, das zu seiner Blütezeit 15.000 Filialen in 17 Ländern, 50.000 Beschäftigte und sieben Milliarden Euro Jahresumsatz hatte, als eingetragener Kaufmann wie einen Kiosk oder Imbiss führte. Das rächt sich jetzt. Weil in dieser Rechtsform Betriebs- und Privatvermögen praktisch eins sind, muss sich Schlecker wegen der Transaktionen an seine Familie verantworten – für überhöhte Stundenlöhne, die er der Logistikfirma von Lars und Meike gezahlt haben soll, für Geldgeschenke an die Enkel oder teure Karibikurlaube.

"Es ist nichts mehr da", sagt Meike Schlecker

Am 23. Januar 2012 meldet Schlecker Insolvenz an. Eine Woche später stellt sich Tochter Meike der Öffentlichkeit, allein. Es fällt der Satz, der für Gläubiger wie ein Erdbeben ist. „Es ist nichts mehr da“, versichert die Unternehmerin. Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz übernimmt. Als er die Unterlagen durchsieht, kann er nicht fassen, wie vorsintflutlich Schlecker gewirtschaftet hat. „Alle Filialen haben mittels Liste per Fax bestellt“, erzählte Geiwitz dem „Handelsblatt“. Elektronische Warenwirtschaftssysteme oder andere IT-Lösungen, die im Handel selbstverständlich sind, tauchten in der Schlecker-Welt nicht auf.

Das Ende: 2012 musste Schlecker Insolvenz anmelden.
Das Ende: 2012 musste Schlecker Insolvenz anmelden.

© Mike Wolff

Man wundert sich, wie lange das System hält. Fieberhaft eröffnet der Firmenchef neue Filialen. Die Läden sind oft klein, die Lagen schlecht, die Filialen eng und dunkel. Schon lange vor der Insolvenz geht es bergab. Seit 2004 schreibt die Drogeriekette rote Zahlen, nur 2006 sieht es kurzfristig anders aus. Spätestens 2010 hätte Schlecker als erfahrener Kaufmann Bescheid gewusst, meinen die Ankläger. Schon 2009, also drei Jahre vor der Pleite, habe es „massive Liquiditätslücken“ gegeben. Anton Schlecker weist das bis heute zurück.

Der Insolvenzverwalter holt Geld von der Familie zurück

Geiwitz versucht, Geld aufzutreiben. 2013 holt er von der Familie 10,1 Millionen Euro zurück, vor wenigen Tagen treffen überraschend vier weitere Millionen von der Familie ein. Geld, mit dem man die Staatsanwaltschaft und das Gericht milde stimmen will. Ein Tropfen auf dem heißen Stein. Über 22.000 Gläubiger gibt es in dem Insolvenzverfahren. Die Forderungen belaufen sich auf über eine Milliarde Euro. Ansprüche der Arbeitnehmer sind darunter, auch die Bundesagentur für Arbeit, die einen dreistelligen Millionenbeitrag als Insolvenz- und Überbrückungsgeld gezahlt hat, gehört zu den Gläubigern. Geld haben sie bisher nicht gesehen. Das Insolvenzverfahren wird sich wahrscheinlich noch vier bis fünf Jahre hinziehen, sagte ein Sprecher des Insolvenzverwalters dem Tagesspiegel. Große Hoffnungen setzt Geiwitz auf Klagen gegen Hersteller von Süßigkeiten, Zucker, Waschmittel, Röstkaffee und Drogeriewaren. Sie sollen jahrelang die Preise abgesprochen und so dem Handel geschadet haben. Mehr als 300 Millionen Euro will der Insolvenzverwalter dafür zurück haben, im Spätfrühling nächsten Jahres sollen die Prozesse beginnen. „Dieses Geld, käme auch den Schlecker-Frauen zugute“, betont der Sprecher.

Was die "Schlecker-Frauen" sagen

Viele der „Schlecker-Frauen“ haben heute nicht mehr viel Gutes über ihre einstige Arbeit und den Chef zu sagen. haben. Dem „Handelsblatt“ haben einige ihr Herz ausgeschüttet. Britta Schröder etwa, die in Schwerin gearbeitet hat. Sie spricht von Testkäufern, die nur dazu da gewesen seien, „die Leute zu drangsalieren“. Oder Bettina Meeh. Sie war 20 Jahre dabei. Meeh erinnert sich daran, wie sie sich mit Kolleginnen und einer Gewerkschafterin abends heimlich in der Filiale traf, weil sie einen Betriebsrat gründen wollten. Plötzlich sei eine Bezirksleiterin mit Polizei gekommen, die alle aus dem Laden werfen sollte. Oder Karin Oelke, die während ihrer 14 Jahre bei Schlecker in verschiedenen Logistik-Service-Centern regelmäßig unter Migräne litt. Besser wurde es erst, als sie sich nach der Pleite mit einem eigenen Drogeriemarkt selbstständig machte: „Man hat erst, als man bei Schlecker raus war, gemerkt, wie anstrengend das war“, sagt sie heute.

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